Hat die ältere Generation "alles verkackt"?
Die "U24 Taz" zeigt, politisch wird nichts besser, wenn die Jugend allein bestimmen könnte, auch nicht für junge Menschen unter Hartz IV
"Wir die U24-Leser*innen, haben zum 40. Geburtstag der taz die Redaktion besetzt, um den älteren Generationen unsere Sicht auf die Welt deutlich zu machen", hieß es am vergangenen Donnerstag auf der Titel-Seite der linksliberalen Taz.
Die bis auf das Gendersternchen korrekte Meldung ist natürlich nicht wörtlich zu nehmen. Besetzt wurde am Donnerstag nichts, wie wir im Editorial erfahren: "Schon seit Monaten läuft die Organisierung auf Hochtouren, viele haben schon Artikel geschrieben. Ganz alleingelassen werden wir natürlich auch nicht. Schön zu sehen, dass wir trotzdem diejenigen sind, die Entscheidungen getroffen haben." Für einen Tag wird eine ganze Zeitung von Menschen unter 24 Jahren hergestellt. Auf jeden Fall eine gute Idee für die Werbung und auch gute Gelegenheit, sich zu überzeugen, dass "die Jugend" in der Gesamtheit kein Garant für radikale Vorstellungen und ein grundsätzliches Infragestellen der gesellschaftlichen Verhältnisse mehr ist.
Das macht die Anklage an die ältere Generation auch so zahnlos und kann schlechterdings in eine wirtschaftsliberal grundierte Neiddebatte junge Generation versus alte Generation führen. Gleich auf der Titelseite schreibt unter dem Motto "Habt Ihr es verkackt?" Jungredakteurin Judith Gebhardt: "Der menschengemachte Klimawandel bedroht meine Entscheidungsfreiheit und verschlechtert mein Lebensgefühl. Ich fühle Machtlosigkeit und Ungerechtigkeit, und ja, ich mache die Generationen verantwortlich, die vielzulange untätig geblieben sind."
Gebhardt kennt keinen strukturellen Rahmenbedingungen wie den Kapitalismus, in dem Menschen und auch Unternehmen agieren. Deshalb kann sie auch nur Generationen vor ihr anklagen, eine Entwicklung nicht verhindern zu haben, die ihr angeblich Entscheidungsfähigkeit raubt. Es wird nicht einmal erwähnt, ob der vom Kapitalismus gemachte Klimawandel vor allem Menschen im globalen Süden nicht nur die Entscheidungsfähigkeit, sondern die Lebensgrundlagen raubt. Da wird in der Taz viel über kulturelle Aneignungen von Menschen des globalen Nordens geschrieben, von Diskriminierung und von Ausgrenzung. Dabei wird gar nicht gesehen, dass Julia Gebhardts Kommentar in der permanenten Ich-Bezogenheit ein einziges Dokument der Ausgrenzung ist.
Wie Kapitalinteressen in ein Generationsschema gezwängt werden
Auch Thilo Hoeland zeigt in seinen Beitrag ein merkwürdiges Demokratieverständnis. Er kritisiert mit Recht, dass die EU-Urheberrechtsreform im Eilverfahren und ohne größere gesellschaftliche Öffentlichkeit von der EU durchgesetzt wurde. Dabei geht es um den Konflikt unterschiedlicher Industriebranchen. Doch dann wurde auch daraus ein Generationenkonflikt. "Es geht einfach nicht, dass Menschen, weil sie jung sind, nicht angehört werden."
Das ist gerade auf der EU-Ebene so selten nicht. Vor allem, wenn Kapitalinteressen tangiert sind, werden Menschen jeglicher Generation, die sich dagegen wenden, im Zweifel dort nicht angehört. Es sind also nicht nur junge Leute betroffen. Zu fragen wäre auch, ob Hoeland für ein Vetorecht für Menschen unter 24 eintritt, besonders bei Themen, die die Generation betreffen. Darauf liefe seine Kritik heraus, dass gegen die Urheberrechtsreform recht viele, auch junge Menschen auf die Straße gegangen sind und die Maßnahme dennoch umgesetzt wird.
Doch es gibt viele andere Beispiele, wo Menschen aller Altersgruppen mit einem politischen Anliegen auf die Straße gegangen sind und ignoriert wurden. Da wäre es doch eigentlich vernünftiger, wenn sich Menschen generationenübergreifend nach politischen Positionen und Interessen organisieren, als an dem Konstrukt Jugend festzuhalten.
Die unterschiedlichen Artikel in der U24-Taz machen das noch mal deutlich. Es war keine Zeitung von der Jugend, sondern eben von 50 Menschen unter 24 Jahren, die an dem Tag für den Inhalt in der Zeitung verantwortlich waren. Überwiegend waren es Liberale aus dem Mittelstand, die die die Jugend-Taz machten. Sie tolerieren vieles, aber bestimmt keinen Sozialismus. So hatte man den Eindruck, dass die Beiträge der U24-Taz eher rechts von der Taz stehen. Radikale Ideen waren kaum vertreten. Kapitalistische Ausbeutung wurde in den Artikeln der Jugend-Taz kaum erwähnt, ausgiebig hingegen unterschiedliche Formen der Diskriminierung, was sehr erfreulich ist.
Haben Jugendliche keine sozialen Probleme?
Wenn dann allerdings nicht einmal in einem Artikel die großen Probleme erwähnt werden, die beispielsweise Menschen unter 25 Jahren im Hartz IV-Regime haben, merkt man schon, dass es eben keinen Generationen-, sondern einen Klassenkonflikt gibt. Die jungen Menschen, die die Jugend-Taz produzierten, haben wohl mehrheitlich noch keine Erfahrungen mit Hartz IV, was sich aber schnell ändern kann. Schließlich sind auch vermehrt Menschen aus dem wissenschaftlichen Prekariat als Aufstocker vom Hartz IV-System betroffen.
Trotzdem wäre es sinnvoll gewesen, junge Menschen, die heute schon Probleme mit Hartz IV haben und beispielsweise nicht die Wohnung frei wählen können, in der Jugend-Taz scheiben zu lassen. So verfestigt sich der Eindruck, dass eben die jungen Menschen, die heute als die Jugend, die zu wenig gehört werde, auftritt, vor allem Interessen der jungen Mittelklasse vertritt, aus der sie kommt.
Junge Erwerbslose unter Hartz IV haben auf jeden Fall mehr mit Menschen der älteren Generation in der gleichen soziale Lage gemein als mit Jugendlichen, die so emphatisch die Möglichkeiten der neoliberalen EU beschwören. So zeigt die Jugend-Taz einmal mehr, dass eine Spaltung innerhalb der Generationen letztlich den alten Machtstrukturen nützt. Wenn sich Menschen gegen vielfältigen Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse wehren wollen, sind sie auf jeden Fall gut beraten, Unterstützung von Menschen zu bekommen, die älter sind und schon Erfahrungen beim Umgang beispielsweise mit dem Hartz IV-System gesammelt haben.