Hausbesetzungen an der Universität Amsterdam
Polizeiliche Räumung führt zu Protestmarsch mit neuer Besetzung
In der niederländischen Hochschullandschaft werden seit Jahren im Namen von Effizienzsteigerung und Kostenreduktion Reformen und Kürzungen durchgesetzt. Leidtragende davon sind vor allem Studierende. Es trifft aber auch immer mehr die Hochschulen selbst und ihre Angestellten. Die Unzufriedenheit unter Studierenden führte an der Universität von Amsterdam schließlich zur Besetzung eines Gebäudes der Geisteswissenschaftlichen Fakultät. Nach elf Tagen kam es nach dessen polizeilicher Räumung gestern zu einem Protestmarsch und der Besetzung des Verwaltungsgebäudes.
In den Niederlanden ist seit Jahren eine schrittweiser Umbau der Hochschullandschaft in Gange. Im Namen von Effizienzsteigerung und Kostenreduktion beschließt die Regierung in Den Haag eine Gesetzesänderung nach der anderen. Häufig trifft es die Studierenden, die stärker kontrolliert werden und mehr bezahlen müssen. Doch auch Fakultäten und Institute der Hochschulen sind zunehmend von Kürzungen betroffen.
Ein Beispiel ist die bindende Studierempfehlung. Wer im ersten Jahr nicht genügend Kurse besteht - an Universitäten geht es in etwa um zwei Drittel bis drei Viertel der Credit Points -, wird vorübergehend fürs Studium gesperrt. Diese Sperre kann sich sogar auf andere Studienfächer auswirken. Zurzeit laufen Experimente, diese Regelung auf spätere Studienjahre auszudehnen. Zum 1. September 2015 wurde gerade das Basispaket des Studiergelds abgeschafft, ein staatlicher Zuschuss von ca. 100 bis 300 Euro pro Monat, je nach Wohnsituation. Studierende können stattdessen monatlich bis zu 1000 Euro als Kredit aufnehmen.
Sparen an Geistes- und Sprachwissenschaften
Doch auch für manche Fakultäten wird die Luft dünner. So kündigte im November 2014 die Universität Amsterdam (UvA), mit ca. 31.000 Studierenden die größte des Landes, Restrukturierungen in den Sprach-, Literatur und Geisteswissenschaften an. Nicht nur kleine Sprachen könnten als Studierfächer gänzlich verschwinden, sondern sogar Deutsch, Französisch oder Spanisch. Ein Vorschlag sieht vor, viele Fächer in einem breiten Liberal Arts-Bachelor zusammenzufassen.
Kurz darauf, im Dezember 2014, kündigte die nach dem humanistischen Philosophen Erasmus benannte Universität Rotterdam (ca. 21.000 Studierende) ebenfalls Kürzungen an. Trotz dieser Tradition dürfte es dort bald keine Philosophische Fakultät mehr geben. Zwar waren deren Kurse und Vorlesungen gut besucht. Doch viele studierten Philosophie nur als Zweitfach, während Gelder ausschließlich über die Erstfächer zugeteilt werden. Womöglich wird man aber zumindest einen Teil der Philosophie durch Kombinationen mit anderen Fächern retten können, sodass die Erasmus-Universität nicht ganz auf die Disziplin ihres Namensgebers verzichten müsste.
Hausbesetzung in Amsterdam
Vor allem in Amsterdam, wo auch die geplante Zusammenlegung der UvA mit der Freien Universität Amsterdam (VU, ca. 25.000 Studierende) für Unsicherheit sorgt, schwelte seit längerem ein Konflikt zwischen Studierendenvertretern und der Universitätsleitung. Befeuert wurde dieser durch interne Dokumente über die geplante Fusion, die an die Öffentlichkeit geleakt wurden. Die Präsentation des strategischen Plans für das Jahr 2016 sowie Gerüchte über den Verkauf des Bungehuis, eines Gebäudes für die Geisteswissenschaften im Stadtzentrum, brachte dann das Fass zum Überlaufen.
So rief eine "Neue Universität" genannte Gruppe am 12. Februar zu einer "großen Aktion" auf. Diese mündete in der Besetzung des Bungehuis. Zentrale Forderungen waren die Demokratisierung der wichtigsten Verwaltungsebenen der Universität, finanzielle Transparenz, Stopp der Fusion der beiden Unis Amsterdams, Abschaffung der bestehenden Leistungsindikatoren für die Forschung und die Verbesserung der Vertragsbedingungen für den akademischen Mittelbau.
Solidarität mit den Besetzern
Trotz Bemühungen der Universitätsleitung, die Protestler als "kleine Gruppe" vom Rest der Universität abzuspalten, erklärten schon am 16. Februar Dutzende Mitarbeiter, einschließlich Professoren, ihre Solidarität mit den Besetzern. Am 17. Februar wurde ihnen dann die Zentralheizung abgedreht; am 18. sollte den Besetzern mit einer gerichtlichen Verfügung zu Leibe gerückt werden. Vor allem wegen des Vorwurfs, Forschung und Lehre zu behindern, wurde ein Strafgeld in Höhe von 100.000 Euro pro Tag für jede Person angedroht, die sich unberechtigt im Bungehuis aufhält.
Daraufhin bekundeten wieder dutzende Dozierende der Fakultät für Geisteswissenschaften, aber auch Akademiker anderer Universitäten ihre Solidarität. Die "Neue Universität" erhielt nun sogar inhaltliche Unterstützung von der Platform zur Reformierung Niederländischer Universitäten, die wiederum mit Gewerkschaften und universitären Gremien vernetzt ist und in ihrem Manifest Für eine andere Universität ähnliche Ziele verfolgt.
Es kam zur polizeilichen Räumung
Obwohl bereits am 19. Februar ein Gericht urteilte, dass die Besetzer das Haus verlassen müssten und andernfalls pro Tag und pro Person ein Bußgeld in Höhe von 1.000 Euro anfällt, ließ die Universitätsleitung das Gebäude aber vorläufig nicht räumen und versuchte den Dialog. Dabei schaltete sich auch der Bürgermeister Amsterdams als Vermittler ein. Die Besetzer blieben aber bei ihren Forderungen und bestanden ausdrücklich auch auf dem Rücktritt der (nicht demokratisch gewählten) Universitätsleitung und Durchführung demokratischer Neuwahlen binnen eines Monats.
Am 24. Februar kam schließlich die Polizei zum Bungehuis, einschließlich der berüchtigten Mobilen Einheit. Diese entstand in den 70er und 80er Jahren in Reaktion auf die damals in den Niederlanden lebendige Hausbesetzerszene. Nach einer letzten Warnung wurden schließlich 46 im Gebäude verbleibende Besetzer abgeführt und 44 von ihnen über Nacht in Haft gehalten. Im Laufe des gestrigen Mittwochs wurden sie freigelassen. Unter der Auflage, dass sie in den nächsten zwei Jahren keine Straftaten begehen, wird von einer strafrechtlichen Verfolgung abgesehen (Fotostrecke NRC.nl von der Besetzung zur Räumung).
Protestmarsch führt zu neuer Besetzung
In Reaktion auf die Räumung fand gestern um 17 Uhr ein Protestmarsch "Für demokratische Hochschullehre" durch Amsterdam statt. Auf Facebook hatten sich 1.700 hierfür angemeldet. Laut Medienberichten erschienen rund 1000 Personen. Der Marsch startete am geräumten Bungehuis und endete mit Kundgebungen am Spuiplatz, der vielen Touristen wegen der wöchentlichen Buch- und Kunstmärkte bekannt ist.
Am Abend wurde von zwei- bis dreihundert Protestlern kurzerhand das am Spuiplatz gelegene Maagdenhuis besetzt, das Hauptgebäude der Universitätsverwaltung der UvA. Dieses ist ein historischer Ort der Studierendenproteste in den Niederlanden und wurde damit zum elften Mal seit 1969 besetzt. Wie Medien im Laufe des Tages berichteten, wurde das geräumte Bungehuis der finanziell ausgelaugten Fakultät der Geisteswissenschaften jedoch bereits an einen Immobilienmakler verkauft, der es an die britische Soho House vermieten werde. Diese besitzt Privatclubs für Kreativschaffende in verschiedenen Hauptstädten der Welt, einschließlich London, New York und Berlin.
Besetzung hält an
Im Maagdenhuis wurde indes lebendig debattiert - mit Übertragung ins Internet und viel in englischer Sprache. Gegen 22 Uhr kamen schließlich die Universitätspräsidentin Louise Gunning und der Rektor Dymph van den Boom ins besetzte Verwaltungsgebäude. Diese warfen den Protestlern vor, mit Gewalt fremdes Eigentum in Besitz genommen zu haben. Sie sollten nachhause gehen und am Folgetag zu Gesprächen zurückkommen. Es kam jedoch zu keiner Einigung: Nach einer Dreiviertelstunde verließ die Universitätsleitung unter Rücktrittsforderungen das Gebäude.
Inzwischen wurde von der Leitung Anzeige wegen Hausfriedensbruchs gestellt. Kurz vor Mitternacht kam der Bürgermeister mit dem Hauptkommissar der Amsterdamer Polizei ins Gebäude. Laut Medienberichten verurteilte er die Aktion nicht, sprach aber von einer Pattsituation und wünschte den Besetzern "Weisheit, etwas Harmonie und ein besseres Studium". Einige der Besetzer übernachteten auf dem Steinboden im Maagdenhuis, das bisher (Stand 8:30 Uhr, 26. Februar) noch nicht geräumt wurde.