Haushalt 2024: Zeitenwende heißt Sozialabbau

Die Aufrüstung reißt Löcher in andere Etats, die für ein soziales Miteinander essenziell sind. Bild: włodi / CC BY-SA 2.0

Militärnahe Kreise pochen auf "nationale Prioritäten". Das Bundesfinanzministerium scheint auf solche Stimmen zu hören.

Kürzlich legte Finanzminister Christian Lindner (FDP) den Regierungsentwurf für den Haushalt 2024 vor: Wie sich schon länger abzeichnete, müssen nahezu alle Ministerien darin Einbußen hinnehmen, verschont bleibt aber unter anderem das Verteidigungsministerium, das sogar zusätzliche Gelder erhält. Erstmals sollen im kommenden Jahr Ausgaben von 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) erreicht werden – gleichzeitig wurde auch die Finanzplanung bis 2027 vorgelegt, die vor allem eines zeigt: Die Zeitenwende bedeutet Sozialabbau!

Entgegen der bisherigen Planungen erhält die Bundeswehr im kommenden Jahr 1,7 Mrd. Euro mehr, wodurch der offizielle Haushalt auf 51,8 Milliarden, Euro ansteigt. Hinzu sollen 2024 noch 19,2 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen der Bundeswehr kommen. Zusammen mit den Ausgaben, die von den sog. Nato-Kriterien erfasst werden (unter anderem die Kosten für Waffenlieferungen an die Ukraine), sollen 2024 damit erstmals zwei Prozent des BIP für Militärausgaben aufgewendet werden – nach den April-Schätzungen des IWF wären das 84 Milliarden Euro.

Der Gesamthaushalt für 2024 beträgt 445,7 Milliarden Euro. Das Gesundheitsministerium erhält davon beispielsweise nur noch 16,2 Milliarden (rund ein Drittel weniger als zuletzt) und das Bildungsministerium 20,3 Milliarden (zuvor 21,5 Milliarden). Für das Ressort Wirtschaft und Klimaschutz sind 10,9 Milliarden veranschlagt (zuletzt standen hierfür gut 14,5 Milliarden zur Verfügung).

Verstetigung der Zeitenwende?

Gleichzeitig mit dem Haushaltsentwurf wurde auch die Finanzplanung bis 2027 vorgelegt, laut der zwischen 2024 und 2027 nun rund 7,3 Mrd. Euro mehr Militärausgaben als bislang geplant vorgesehen sind. Daraus ergibt sich für 2027 ein geplanter Militärhaushalt von 57,4 Mrd. Euro plus weitere Ausgaben nach Nato-Kriterien dürfte sich dies auf 65 bis maximal 70 Mrd. Euro summieren.

Da das Sondervermögen der Bundeswehr spätestens 2026 verbraten sein muss, weil es sonst verfällt, ergibt sich eine riesige Lücke zu den angepeilten Ausgaben von zwei Prozent des BIP – nach den aktuellsten IWF-Schätzungen wären das 2027 rund 95 Milliarden Euro.

Sehenden Auges wird hier also auf eine Situation zumarschiert, in der entweder vollmundig gemachte Zusagen wieder einkassiert werden, oder von einem Jahr auf das andere eine Erhöhung der offiziellen Militärausgaben um 25 bis 30 Milliarden Euro erfolgen müsste. Interessierten Kreisen ist das schon lange klar und sie breiten jetzt schon den Stimmungsteppich für die anstehenden Debatten aus.

Schon im August letzten Jahres forderte etwa das Institut der Deutschen Wirtschaft eine "Verstetigung" der Zeitenwende nach 2026 mittels dauerhafter Militärausgaben von mindestens zwei Prozent des BIP durch ein "gut 60 Prozent vergrößertes reguläres Verteidigungsbudget."

"Nationale Prioritäten": Rüstung vs. Sozialabbau

Aufgrund der sogenannten Schuldenbremse müsste eine Verstetigung der Zeitenwende aber auf Kosten nahezu aller anderen Ministerien gehen – vor allem eine Kürzung der Sozialausgaben wäre nahezu unausweichlich.

Mit beeindruckender Deutlichkeit offenbart ein Beitrag in der Europäischen Sicherheit & Technik, Deutschlands führendem Magazin der Militär- und Rüstungssparte, die Konsequenzen, die sich hieraus ergeben: Es bedürfe einer "grundlegenden gesellschaftlichen Debatte über die nationalen Prioritäten", gibt dort Redakteur Ole Henckel zum Besten.

Am Ende stehe man aber vor einer simplen Wahl: "entweder die Kürzung sozialer Leistungen oder das Scheitern der Zeitenwende für die Bundeswehr". Weiter heißt es in dem Artikel: "30 Milliarden Euro mehr bräuchte es derzeit im Verteidigungshaushalt, damit dieser eigenständig das Zwei-Prozent-Ziel erfüllt. Der einzige Posten im Bundeshaushalt, der die Masse dieses zusätzlichen Bedarfes decken könnte, ist der des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.

Die Debatte wird sich also um die Streichung von Sozialausgaben für Militär und Rüstung drehen. […] Der entscheidende Punkt und die damit verbundene Debatte wird allerdings erreicht werden, wenn das Sondervermögen verausgabt ist und man im Bundeshaushalt Prioritäten setzen muss. Voraussichtlich wird dieser Zeitpunkt auch mit der kommenden Bundestagswahl zusammenfallen. Rüstung oder Soziales. Dann wird sich zeigen, wie nachhaltig die viel zitierte Zeitenwende ist."