Herausforderung Weltraum
Die Science-fiction-Filme "Deep Impact" und "Armageddon" interessieren sich erstaunlich wenig für die Umgebung, in der sie spielen.
Gewaltige Eruptionen kinematographischer Energie sind das Markenzeichen Jerry Bruckheimers. In den früheren Filmen des Hollywood-Produzenten war das auch völlig in Ordnung: "The Rock" etwa ließ den Zuschauer die furchtbare Kraft moderner Massenvernichtungswaffen hautnah spüren. "Con Air" erzählte mit unruhiger Kamera, rasanten Schnittfolgen und suggestivem Soundtrack durchweg packend vom Kampf eines amerikanischen Elitesoldaten mit den gefährlichsten Kriminellen des Landes. Mit seinem neuesten Film "Armageddon" jedoch hat Bruckheimer sich an einen Ort begeben, der sich mit den Mitteln des Actionkinos denkbar schlecht erfassen läßt: den Weltraum.
Armageddon erzählt von einem Asteroiden, der auf die Erde zurast, und von den Versuchen, die Kollision mit Hilfe von Raumschiffen und Atombomben abzuwenden. Im Zusammenhang mit diesem Film gab Bruckheimer erstaunlich freimütig zu, sich nie für Raumfahrt interessiert zu haben. Dazu gebe es auf der Erde noch zu viel zu entdecken.
So mußte ihm entgehen, was er im Weltall hätte entdecken können - etwa die faszinierende Stille des Vakuums etwa oder Schwerelosigkeit. Statt dessen donnern die Raumfähren in berüchtigter "Star Wars"-Manier mit lautem Getöse wie Düsenjäger durch den luftleeren Raum. Als wären die Treibstoffvorräte unbegrenzt, glimmen dabei ständig die Heckdüsen in attraktivem bläulichen Licht. Auch die ungewöhnlichen Schwereverhältnisse im All werden nur berücksichtigt, wenn es dramaturgisch paßt. Bei Bruckheimer, dem offenbar Stil über Inhalt geht, paßt es nur selten.
Der Konkurrenzfilm Deep Impact, der eine nahezu identische Geschichte erzählt, ist deutlich stärker um wissenschaftliche Authentizität bemüht. Er bietet immerhin ein wenig Platz zum Staunen über die eigenartigen Klimaverhältnisse auf einem Kometen und bleibt hinsichtlich der Größenverhältnisse auf dem Teppich: Während "Armageddon" einen mehrere hundert Kilometer durchmessenden Asteroiden auf die Erde zurasen läßt, den es in der Realität nicht gibt, geht der von Steven Spielberg produzierte Film von einem Kometen mit wenigen Kilometern Durchmesser aus - völlig ausreichend, um die menschliche Zivilisation zu zerstören.
Auch "Deep Impact" mag indessen bei Explosionen im Weltall nicht auf Knall und Druckwelle verzichten. Am Enttäuschendsten bei beiden Filmen ist jedoch der Plot: abknallen, in Stücke sprengen - mehr fällt ihnen zur Bedrohung der Erde durch Asteroiden und Kometen nicht ein. Die Herausforderungen des Weltalls beantworten sie mit den Träumen amerikanischer SDI-Ingenieure, die nach dem Untergang der Sowjetunion händeringend nach neuen Feinden suchen, um den Aufbau einer Weltraum-Verteidigung weiterhin rechtfertigen zu können. Insbesondere in "Armageddon" kommt diese militaristische Komponente unangenehm zur Geltung.
Es ist natürlich kein Zufall, daß gleich zwei aufwendige Produktionen sich mit diesem Thema beschäftigen: Wie alle Science-fiction-Erzählungen haben auch diese ihre wissenschaftliche Vorgeschichte. Die läuft in diesem Fall unter dem Titel Shoemaker-Levy-9: So hieß der Komet, dessen Trümmer vor vier Jahren auf den Jupiter stürzten. Es war das erste Mal, daß Astronomen ein solches Ereignis direkt beobachten konnten. Die Bilder von den riesigen Explosionswolken, aufgenommen vom Hubble-Space-Telescope und bodengestützten Teleskopen, gingen um die Welt und nährten das Bewußtsein für die Gefahr, die auch der Erde aus dem All droht.
Gewiß, die katastrophalen Folgen größerer Meteoriteneinschläge waren schon vorher bekannt. Doch sie waren das Ergebnis theoretischer Kalkulationen, nicht von Beobachtungen. Es wird eben nur allgemein angenommen, daß das große Artensterben vor 65 Millionen Jahren, dem auch die Dinosaurier zum Opfer fielen, auf den Einschlag eines 10 bis 20 Kilometer durchmessenden Himmelskörpers zurückzuführen ist. Es gibt starke Indizien, die die Annahme stützen, wie den Chicxulub-Krater vor der Yucatan-Halbinsel. Aber niemand weiß, wie es wirklich war.
Wissenschaftler rätseln bis heute, was die gewaltige Explosion verursacht haben könnte, die am 30. Juni 1908 in der Tunguska-Region in Südost-Sibirien ein Waldgebiet von 40 Kilometern Durchmesser verwüstete. Berechnungen deuten darauf hin, daß sie höchstwahrscheinlich auf einen etwa hundert Meter großen, lockeren Asteroiden oder Kometen zurückzuführen ist. Bruchstücke dieses kosmischen Geschosses konnten in dem schwer zugänglichen Gelände allerdings bis heute nicht gefunden werden.
Bei Shoemaker-Levy-9 hingegen konnten die Einschläge live mitverfolgt werden. Die Aufnahmen des Hubble-Space-Telescope wurden direkt ins Internet eingespeist und boten Reality-Fern-Sehen im ursprünglichsten Sinne. Wie die Trümmer des Kometen, der zuvor durch die Schwerkraft des Jupiter zerrissen worden war, auf den riesigen Gasplaneten zurasten - das hatte schon die Dramatik eines Hollywoodfilms. Verglichen mit einem Actionreißer wie "Armageddon", lief das Geschehen natürlich in extremer Zeitlupe ab. Aber so bewegt sich das Weltall: langsam und majestätisch. Die grandiose Vorführung mahnte uns, unser Verhältnis zu ihm genauer zu bestimmen.
Wie gehen wir mit dem Wissen um, daß uns aus dem All ständig Tod und Vernichtung drohen? Wollen wir die Auslöschung der menschlichen Zivilisation, die in einem oder in hundert Millionen Jahren erfolgen mag, als unvermeidliches Schicksal bedauern? Wollen wir uns hinter einem Netz nuklearer Sprengköpfe verbarrikadieren? Oder nehmen wir die Herausforderungen des Weltraums an?
Es ist gewiß sinnvoll, wie von Astronomen gefordert, die Himmelskörper, die die Erdbahn kreuzen, möglichst vollständig zu katalogisieren und über Abwehrmaßnahmen nachzudenken. Louis Friedman, geschäftsführender Direktor der Planetary Society, beklagte zurecht unlängst, daß sehr viel mehr Geld für Unterhaltungsprogramme über gefährliche erdnahe Objekte ausgegeben werde, als für Bemühungen, sie zu lokalisieren. Als kleines Gegengewicht hat die Planetary Society im vergangenen Jahr das Gene Shoemaker Near-Earth Objects Grants program ins Leben gerufen, das Stipendien an professionelle und Amateur-Astronomen vergibt. Neben dem 100-Millionen-Dollar-Budget von "Armageddon" nehmen sich die 35000 Dollar, die letztes Jahr ausgezahlt wurden, allerdings sehr bescheiden aus.
Die NASA will unterdessen den Etat für die Suche nach erdnahen Objekten auf drei Millionen Dollar verdoppeln und ein neues Forschungsbüro einrichten, das die von Raumsonden und erdgebundenen Beobachtungsstationen gesammelten Daten koordinieren soll. Ziel ist es, alle Asteroiden von mindestens einem Kilometer Durchmesser zu erfassen, die die Erdbahn kreuzen. Die Zahl solcher potentiell gefährlichen und bislang noch unbekannten Brocken wird auf 2000 geschätzt.
Aufgabe des Büros soll es außerdem sein, einheitliche Verfahren für die Veröffentlichung von Beobachtungsdaten zu entwickeln. Eine unnötige Verwirrung der Öffentlichkeit, wie im Zusammenhang mit den Meldungen über den Asteroiden 1197 XF11, sollen in Zukunft vermieden werden: Im März hatte es zunächst geheißen, daß dieser Asteroid im Jahr 2028 der Erde gefährlich nahe kommen werde, was einen Tag darauf widerrufen wurde. Astronomen sehen durch solche übereilten Veröffentlichungen ihre Glaubwürdigkeit gefährdet.
Aber selbst wenn alle potentiell gefährlichen Objekte bekannt und Abwehrraketen in Stellung gebracht worden sind, bleibt ein Restrisiko. Keine noch so sorgfältig konstruierte Atomrakete kann der Menschheit völlige Sicherheit vor Meteoriteneinschlägen bieten. Die findet sie nur im Weltraum selbst: Eine kosmische Zivilisation, die sich auf mehreren Planeten ansiedelt, muß die Kollision mit einem großen Asteroiden oder Kometen zwar immer noch fürchten - aber nur noch als große Katastrophe, nicht mehr als Weltuntergang. Abgesehen davon dürfte sie quasi automatisch über bessere technische Mittel zur Abwehr gefährlicher Himmelskörper verfügen als eine Zivilisation, die ihren Lebensraum auf einen Planeten beschränkt.
Die vernünftigste Antwort auf die Gefahren, die uns aus dem Weltraum drohen, ist es, dorthin aufzubrechen. "Armageddon" und "Deep Impact" erlauben uns dagegen nur einen flüchtigen Blick ins Weltall, um ihn gleich darauf erschrocken wieder abzuwenden. Wo eine Chance wäre, unser Verhältnis zur Natur zu überdenken, plädieren sie dafür, auf dem gleichen Weg weiter voranzugehen wie bisher. Insbesondere von Steven Spielberg, immerhin Mitglied im Board of Directors der "Planetary Society" wäre mehr zu erwarten gewesen.
Dabei scheinen die Zeiten durchaus günstig für Weltraumfilme, die ihren Handlungsort so ernst nehmen wie einst Stanley Kubricks "2001 - Odyssee im Weltraum". Die auf die Wirkung der Stille und der Schwerelosigkeit vertrauen, statt sie mit lauten und grellen Effekten zu übertünchen. Die fremde Welten als Verlockung begreifen, nicht als Bedrohung.
Es mehren sich die Zeichen, daß die Menschen ihre Sehnsüchte und ihre Kraft wieder stärker ins All richten: Werbeanzeigen präsentieren unsere Kinder als mögliche zukünftige Mars-Pioniere. Der Spielzeughersteller Mattel produziert mit Nasa-Lizenz Modelle des Marsroboters "Sojourner" und der Jupitersonde "Galileo". Die Mars Society die eine bemannte Mission zum roten Nachbarplaneten privatwirtschaftlich organisieren will, weist in der Einladung zu ihrer Gründungskonferenz im August in Boulder, Colorado, vorsorglich darauf hin, daß leider nur für tausend Teilnehmer Platz sei.
Ein Film, der diese Tendenzen aufgreift und in angemessene Bilder umsetzt, dürfte eigentlich nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen. Angeblich soll "Titanic"-Regisseur James Cameron bereits an einer Verfilmung der Mars-Romane von Kim Stanley Robinson (übrigens einer der Mitbegründer der Mars Society) arbeiten. Aus der Verbindung könnte tatsächlich etwas Großartiges hervorgehen und Raumfahrt auch im Kino wieder spannend werden.