Hilf dir doch selbst!
Geld erzeugt bei Menschen das Gefühl von Unabhängigkeit - sie sind dann weniger bereit, fremde Hilfe anzunehmen oder anderen Unterstützung anzubieten
Die einen glauben, dass Geld die Menschen zu Leistung antreibt, die anderen beklagen, dass es die zwischenmenschlichen Beziehungen trübt. Jetzt hat ein Team aus Marketingfachleuten und Psychologen diese Thesen in verschiedenen Experimenten geprüft und festgestellt, dass beides stimmt, weil beide Annahmen das Ergebnis desselben Prozesses sind: Denn Geld verleiht dem Einzelnen das Gefühl von Unabhängigkeit (engl. self-sufficiency) - und entsprechend benimmt er sich.
"Geld verdirbt den Charakter", sagt ein Sprichwort und auch ohne die negative Wertung ist an dieser Aussage einiges dran. Geld beeinflusst das menschliche Verhalten, selbst wenn es nur im Nebenbei als Reiz vermittelt wird: Es reicht, wenn irgendwo in einem Zimmer ein Bündel Spielgeld liegt, mit Geldscheinen bedruckte Poster an der Wand hängen oder jemand einen Text vorlesen muss, in dem es um Reichtum geht. Zu diesem Ergebnis kommt ein Forscherteam unter der Leitung von Kathleen D. Vohs vom Institut für Marketing der Carlson School of Management der Universität von Minnesota. In der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Science (Vol. 314 vom 17. November 2006) stellt die Gruppe die Experimente vor, mit denen sie das Thema untersuchten.
Auf Distanz zu den anderen
Neun verschiedene Experimente führten die Forscher mit insgesamt 75 Universitätsstudenten durch. Der Ablauf war fast immer gleich: Jeweils eine Probandengruppe musste eingangs eine Übung absolvieren, bei der "Geld" als ein Schlüsselreiz auf einer eher unbewussten Ebene abgerufen wurde. Beispielsweise flimmerte in ihrer Nähe zufällig ein Bildschirmschoner, der verschiedene Währungen zeigte, während die Kontrollgruppen Fische (neutraler Reiz) bzw. einen schwarzen Bildschirm sahen. Mit der Aufgabe, die sie erledigen mussten, hatte der Bildschirmschoner jedoch nichts zu tun.
Anschließend wurden sie verschiedenen Test unterzogen, in denen ihre Bereitschaft auf die Probe gestellt wurde, bei anderen Hilfe zur Lösung bestimmter Aufgaben zu suchen bzw. anderen, die dabei um Unterstützung baten, zu helfen. Das Ergebnis war durchgängig gleich: Testpersonen, denen der Stimulus "Geld" verabreicht worden war, mühten sich - selbst bei unlösbaren Aufgaben - lieber länger allein ab, als andere um Hilfe zu bitten. Umgekehrt waren sie auch weniger bereit, anderen Testpersonen bei der Lösung von Aufgaben zu helfen. Dies brachten sie bei der Aufgabe, ein Kennenlerngespräch zu simulieren, sogar durch Herstellung einer räumlichen Distanz, das Wegrücken ihres Stuhls, zum Ausdruck. Darüber hinaus zeigten sie sich selbstzentrierter: Hatten sie die Wahl, vier Einzelkochstunden zu erhalten oder ein Dinner für Vier spendiert zu bekommen, entschieden sie sich fürs Kochen.
"Geld muss als Idee nur irgendwie präsent sein, allein das verändert die Leute", kommentiert Kathleen Vohs. "Die Folgen können negativ oder positiv sein, je nachdem, wie man es interpretiert. Doch es ist allein der Reiz, der das Gefühl von Unabhängigkeit steigert. Dann wollen die Leute niemandem eine Last sein."
Auch der Status dessen, der um Hilfe bat oder seine Hilfe anbot (ob Experimentleiter oder Proband), spielte keine Rolle. Es war auch gleichgültig, ob zur Lösung einer Aufgabe ein Vorwissen nötig war oder nicht.
"Offenbar glaubten diejenigen Probanden, bei denen der Reiz Geld abgerufen wurde, dass ihre Mitstreiter schon allein herausfinden würden, wie die Aufgabe zu bewältigen ist - so wie das eben eine unabhängige Person tun würde", schreiben Vohs und Kollegen.
Zwiespältige Einschätzung
Der deutliche Ausgang ihrer Experimente hat die Forscher doch ziemlich erstaunt, "weil alle Teilnehmer sehr vertraut mit Geld waren, und es sich bei den Manipulationen nur um geringfügige Veränderungen der Umgebung bzw. um wirklich kleine Aufgaben handelte, die die Probanden zu erfüllen hatten", schreiben Vohs und Kollegen weiter. Und so resümieren sie:
Das Konzept Unabhängigkeit erklärt, warum die Menschen Geld gleichzeitig als größtes Gut und größtes Übel betrachten. Als sich Länder und Kulturen entwickelten, könnte Geld den Leuten erlaubt haben, Waren und Dienstleistungen zu erwerben, die ihnen das Erreichen hochgehaltener Güter gestattete, was gleichzeitig aber auch die Abhängigkeit von Freunden und Familie minderte. So gesehen, förderte Geld die Individualität, reduzierte aber auch die Beziehungen zur Gemeinschaft - ein Effekt, der sich heute noch in dem widerspiegelt, wie die Menschen das Geld beurteilen.