"Hilfsorganisationen sind kein Reparaturbetrieb des Krieges"

Der Sprecher der Hilfsorganisation terre des hommes zu den Problemen mit indonesischem Militär und ausländischen Truppen in der indonesischen Provinz Aceh

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Vor dem Hintergrund der Flutkatastrophe in Südostasien sind die politischen Probleme der Region nur allzu rasch in den Hintergrund getreten. Zu denen gehört vor allem der seit fast drei Jahrzehnten andauernde Bürgerkrieg in der nordindonesischen Provinz Aceh, bei dem Aufständische der Separatistengruppe Bewegung Freies Aceh Regierungstruppen gegenüberstehen.

Vor wenigen Tagen nun appellierte ein Bündnis deutscher Hilfsorganisationen an die Bundesregierung. Der Zusammenschluss Gemeinsam für Menschen in Not - Entwicklung hilft! fordert von der Bundesregierung, sich im Dialog mit der indonesischen Staatsführung gegen Sammellager für Flutopfer einzusetzen. Nach Informationen des Bündnisses plant Jakarta drei solcher Lager für jeweils 100.000 Menschen, um die Kontrolle über die Zivilbevölkerung aufrechtzuerhalten.

Doch nicht nur die unmittelbaren Auswirkungen des Bürgerkrieges bereiten den Hilfsorganisationen Sorgen - auch die Präsenz ausländischer Truppen wird mit Argwohn betrachtet. Ein Gespräch mit Wolf-Christian Ramm, dem Sprecher des Bündnismitglieds terre des hommes.

Über ein Dutzend Armeen sind derzeit im südostasiatischen Krisengebiet im Einsatz. Wie stehen Sie diesem Engagement von Soldaten in humanitären Hilfsaktionen gegenüber?

Wolf-Christian Ramm: Grundsätzlich lehnt terre des hommes eine solche Einbindung des Militärs in humanitäre Hilfe ab. Gegen eine Versorgung von Verletzten durch Lazarettschiffe der Bundeswehr ist aus unserer Sicht jedoch nichts einzuwenden.

Erwachsen aus der Präsenz von Soldaten Probleme für die Arbeit ziviler Hilfsorganisationen?

Wolf-Christian Ramm: Die Anwesenheit von Soldaten birgt verschiedene Probleme für zivile Hilfsorganisationen. Für die Zivilbevölkerung sind neutrale Helfer und Militär oft kaum voneinander zu unterscheiden. In Irak und Afghanistan sind humanitäre Helfer bereits Anschlägen zum Opfer gefallen, die US-Soldaten gegolten hatten. Hilfsorganisationen bemühen sich in der Regel darum, einheimische Zivilgesellschaften zu stärken und wieder aufzubauen. Diese brauchen Freiraum und dürfen nicht im Verdacht stehen, vom Militär kontrolliert zu werden.

Wie entwickelt sich die Lage in der indonesischen Krisenprovinz Aceh?

Wolf-Christian Ramm: Wir sehen mit Sorge den Trend zur Remilitarisierung der Situation in Aceh. Schon vor der Flutkatastrophe war die Region von der Außenwelt stark abgeschnitten und wurde vom indonesischen Militär kontrolliert. Die mit der Nothilfe einhergehende Öffnung der Region scheint in manchen Fraktionen des Militärs die Sorge zu wecken, dass sie ihre Kontrolle über die Bevölkerung verliert. Uns liegen Berichte vor, dass rund um die Region Banda Aceh große Lager für bis zu 100.000 Menschen für die internen Flüchtlinge aufgebaut werden sollen. Wir befürchten, dass dies unter der Ägide des Militärs geschehen soll und haben die Bundesregierung gebeten, bei den jetzt beschlossenen Hilfszusagen darauf zu achten, dass die Hilfe dezentral organisiert wird und die Menschen in kleineren Lagern in der Nähe ihrer alten Dörfern untergebracht werden. Sie könnten dann direkt beim Wiederaufbau mithelfen und in die Bemühungen eingebunden werden. Zudem könnten Streitigkeiten auf Grund unklarer Landrechte mit den Betroffenen gemeinsam gelöst werden, und die Flüchtlinge blieben in ihrer gewohnten sozialen Umgebung. Dies ist vor allem für die Verarbeitung der weit verbreiteten Traumata sehr wichtig.

Wie beurteilen sie die zunehmende Einbindung von Militärs in die humanitäre Hilfe generell?

Wolf-Christian Ramm: In der Vermengung von Militär und humanitärer Hilfe sehen wir ein großes Problem. Humanitäre Organisationen dürfen niemals von Krieg führenden Parteien als Helfer instrumentalisiert werden, beispielsweise dadurch, dass ihnen bestimmte Aufgaben wie die Betreuung von Flüchtlingen, die Errichtung von Schutzzonen oder insgesamt die "Humanisierung" des Krieges zugewiesen werden. Hilfsorganisationen sind kein integrierter Reparaturbetrieb des Krieges, sondern unabhängige und politische Akteure, die sich nicht auf derartige Arbeitsteilung mit dem Militär einlassen können. Andererseits ist es natürlich ihre Aufgabe, auch in dieser Situation den Opfern zu helfen. Hier liegt ein schwieriges Spannungsfeld für humanitäre Organisationen.

Sollte der Trend zum "helfenden Soldaten" von Hilfsorganisationen nicht grundsätzlich zurückgewiesen werden?

Wolf-Christian Ramm: Entwicklungspolitisch orientierte Hilfsorganisationen wehren sich dagegen, vom Militär in die Rolle gedrängt zu werden, Kriege "humanitär abzufedern". Ihre Aufgabe ist es allerdings, Menschen auch in durch Kriege hervorgerufenen Notsituationen zu helfen und bei dieser Hilfe gleichzeitig die bewährten Qualitätsstandards ihrer Hilfe zu wahren. Dies betrifft sowohl "prominente" Kriegsgebiete wie Irak und Afghanistan, aber auch Regionen, in denen seit Jahrzehnten ein schleichender Bürgerkrieg herrscht, wie etwa in Kolumbien oder Myanmar. Übrigens war auch die Region Aceh in Nord-Sumatra eine solche "vergessene" Region - bis zur Tsumani-Katastrophe am Zweiten Weihnachtstag.