Hilft Frontex bei illegalen Push-Backs?
Die Luftüberwachung der EU-Grenzagentur könnte völkerrechtswidrige Zurückweisungen ausgelöst haben. Entsprechende Einsätze erfolgten an den Außengrenzen vor Libyen und Bosnien-Herzegowina
Seit zwei Jahren bietet die Grenzagentur Frontex den EU-Mitgliedstaaten an, ihre Außengrenzen mit einem Flugzeug aus der Luft zu überwachen. Die Flüge dieser "Multipurpose Aerial Surveillance" (MAS) sind Teil des Grenzüberwachungssystems EUROSUR, mit dem Frontex alle Außengrenzen der Europäischen Union und den sogenannten "Grenzvorbereich" beobachtet. Zu EUROSUR gehören sogenannte "Fusion Services", darunter Satellitenaufklärung und Drohnenflüge.
Den bemannten Luftüberwachungsdienst hat Frontex im Sommer 2017 installiert. Die Agentur hat hierfür keine eigenen Flugzeuge beschafft, sondern eine Chartergesellschaft beauftragt. Im Rahmen dieses Betreibervertrages flog hierfür im vergangenen ein Jahr ein zweimotoriges Flugzeug des Typs "Diamond DA-42" mit dem internationalen Rufzeichen "G-DMNG". Die von dem Flugzeug aufgenommenen Videodaten werden in Echtzeit in das Frontex-Hauptquartier in Warschau übertragen. Auch einige nationale EUROSUR-Kontaktstellen, darunter in Spanien, Portugal und Italien, können diese Livebilder empfangen.
Pull-Backs in Libyen
Die Aufklärung aus der Luft soll helfen, irreguläre Einwanderung und grenzüberschreitende Kriminalität zu bekämpfen. Hierzu gehört auch die Fischereiüberwachung. Auch Schengen-assoziierte Länder wie die Schweiz oder Norwegen sowie andere EU-Agenturen können die Dienste anfragen. Frontex gibt entsprechende Informationen gemäß einem Abkommen außerdem an die EU-Fischereiagentur weiter. Als erster Mitgliedstaat hat Italien vor zwei Jahren MAS-Flüge bestellt. Patrouillen über dem zentralen Mittelmeer erfolgen seitdem von Lampedusa auf Sizilien. Laut Frontex wurden dabei im letzten Jahr 4.924 Migranten entdeckt und den zuständigen Behörden gemeldet.
Bei der Grenzüberwachung kommt es vor, dass Frontex Boote in Seenot sichtet. Dann informiert die Agentur eine Rettungsleitstelle, die anschließend die Bergung koordiniert. Für die Seenotrettung im südlichen Teil des zentralen Mittelmeers ist seit zwei Jahren die libysche Küstenwache zuständig. Menschenrechtsorganisationen werfen Frontex vor, dass die Weitergabe von Informationen an Libyen zu völkerrechtswidrigen Zurückweisungen (den sogenannten Push-Backs) führt. Menschen dürfen nicht in Staaten gebracht werden, in denen ihnen Folter oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. Zuletzt hatte der Flüchtlingshochkommissar der Vereinten Nationen am 6. September seine Einschätzung erneuert, wonach Libyen keinen sicheren Hafen darstellt und keine Geflüchteten dorthin ausgeschifft werden dürfen.
Zwar bringt Frontex die aus der Luft entdeckten Geflüchteten in Seenot nicht selbst zurück nach Libyen, sondern überlässt dies der dortigen Küstenwache. Dabei handelt es sich aber um eine Beihilfe und damit um sogenannte "Pull-Backs", die nach Ansicht von Völkerrechtlern ebenso verboten sind. Denn mit der Überwachung aus der Luft verfügen Frontex oder auch die EU-Militärmission EUNAVFORMED im Mittelmeer über "überlegenes Wissen", ohne das die libysche Küstenwache gar nicht in Aktion treten könnte. Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten müssen sich deshalb das Handeln der libyschen Küstenwache zurechnen lassen.
"Folgemaßnahmen" nach MAS-Flügen
Vor einem Jahr hat Frontex seinen Luftüberwachungsdienst ausgebaut. Zu den neuen Einsatzgebieten gehören nun Länder des Westbalkan, das Ägäische Meer, das Schwarze Meer und der Atlantik. Die meisten Flüge erfolgen mit bemannten Systemen, nur in Portugal erledigt Frontex den MAS mit einer Drohne.
Eine Überwachung von Landgrenzen erfolgte erstmals mit Kroatien. In Zusammenarbeit mit dem dortigen Innenministerium hat Frontex seit dem 18. Juli 2018 die EU-Außengrenze mit Bosnien-Herzegowina beobachtet. Die Flüge starteten vom Flughafen Zadar. Kroatien hat Verbindungsbeamte nach Warschau entsandt, gemeinsam mit den Experten des "Europäischen Überwachungsteams" bei Frontex werden nach Auswertung der Echtzeit-Videos "Folgemaßnahmen" eingeleitet.
Laut dem Frontex-Jahresbericht für 2018 haben die MAS-Flüge im gesamten letzten Jahr bei 46 Sichtungen 635 irreguläre Migranten festgestellt, die offensichtlich die bosnisch-kroatische Grenze überqueren wollten. Meistens wurden kleine Gruppen gesichtet, als "größte Einzeldetektion" nennt Frontex einen Vorfall mit 89 Personen. Die kroatischen Behörden seien "unverzüglich über das Vorhaben" der Migranten informiert worden. Anschließend sei eine "operative Reaktion vor Ort" erfolgt.
Push-Backs in Kroatien
Frontex lobt die Echtzeitüberwachung mit den MAS-Flügen als "hohen Mehrwert" und schreibt, in 2018 seien mehr als 1800 Flugstunden durchgeführt worden. Diese hätten in Kroatien nicht nur zur Aufdeckung irregulärer Migration beigetragen, sondern auch Strafverfolgungsmaßnahmen ausgelöst.
Die EU-Grenzagentur hat auf diese Weise womöglich auch zu illegalen Abschiebungen durch die kroatische Grenzpolizei beigetragen, über die Geflüchtete und Hilfsorganisationen mehrfach berichtet haben. Ohne die Möglichkeit Asyl zu beantragen werden Migranten dabei von der kroatischen Polizei mit Gewalt über die Grenze nach Bosnien-Herzegowina zurückgeschickt.
Im Dezember 2018 hatte die ARD Aufnahmen von einem dieser Push-Backs veröffentlicht. Kroatiens Polizei hatte in diesem Fall 368 Menschen unter Einsatz von Schlagstöcken, Pfefferspray und Hunden nach Bosnien geführt. Regelmäßig stellt das Projekt "Border Violence Monitoring" weitere Beweise für solche illegalen Zurückweisungen ins Internet. Auch Frontex erhält von Beamten seiner Missionen immer wieder Meldungen über mögliche Verletzungen der Menschenrechte. Ein paar dieser "Serious Incidents Reports" enthalten auch Vorfälle an der kroatischen EU-Außengrenze. Sie werden vom Grundrechtsbeauftragten der Agentur untersucht.
Wie kann Frontex vor Gericht verfolgt werden?
Wenn die Frontex-Dienste die illegalen Abschiebungen tatsächlich ausgelöst haben, ist es schwierig, die Agentur hierfür zur Rechenschaft zu ziehen. Bei üblichen Frontex-Operationen, bei denen ein Einsatzstaat die Leitung innehat, stammen Personal und Ausrüstung zu großen Teilen aus anderen EU-Mitgliedstaaten. Die aktuelle Frontex-Verordnung bestimmt, dass in diesen Fällen die entsendenden EU-Mitgliedstaaten Disziplinarmaßnahmen für Verstöße ihrer Polizisten durchführen sollen.
Die MAS-Flüge sind jedoch keine gemeinsame Aktion mit entsandten Beamten. Es handelt sich stattdessen um von der Agentur in Warschau bei einer Chartergesellschaft in Auftrag gegebene Maßnahmen. Damit ist Frontex auch auch zivil- und strafrechtlich für dort begangene Verstöße verantwortlich.
Frontex-Beamte genießen als EU-Beamte aber diplomatische Privilegien und Immunitäten. So ist es in einem Sitzabkommen geregelt, das die Agentur mit der Regierung in Polen geschlossen hat. Alle Frontex-Angehörigen sind demnach für in amtlicher Eigenschaft vorgenommene Handlungen in weiten Teilen von der nationalen Gerichtsbarkeit befreit.
Menschenrechtskonvention ohne EU
Auch der Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg, bei dem Betroffene Klagen wegen Menschenrechtsverletzungen vortragen können, hilft nicht weiter. Die Europäische Union ist trotz Aufforderung im Lissabon-Vertrag nicht Mitglied des Europarates geworden und unterliegt deshalb nicht der Jurisdiktion der Europäischen Menschenrechtskonvention. Das gilt auch für ihre Agenturen.
Zwar kann Frontex für ihre Handlungen vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg verklagt werden, der Rechtsschutz gegen Handeln gewährt, das einer EU-Agentur zurechenbar ist. Betroffene Einzelpersonen können ihre Fälle dort aber nur über nationale Gerichtsverfahren einbringen. Bleibt also die unwahrscheinliche Möglichkeit, dass die kroatische Justiz gegen Frontex vorgeht. Dazu müsste es aber zunächst Ermittlungen wegen der Push-Backs gegen die eigenen Grenzbehörden geben.
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