Himmelfahrtskommando
Keine Ablenkung durch das Leben: Der Ratgeber der Terroristen für die letzten irdischen Stunden vor der Einfahrt in das Paradies
Boston Logan Airport: Im fehlgeleiteten Gepäck des mutmaßlichen Terrorpiloten Atta fanden sich jetzt sein Testament von 1996 sowie ein Vademecum, das spirituellen und technischen Rat für die letzten Stunden des heiligen Kampfs spendet. Der Seelentrost des letzten Akts ist weit mehr als ein Kuriosum aus der Hexenküche des Schreckens, sondern ein Leitfaden, um die Anatomie des Terrors, seine psychologischen Voraussetzungen und fanatischen Abgründe besser zu verstehen. Hier gewährt der Terror einen tiefen Einblick in seine Mentalität, die als gottgefälliges Werk deutet, was dem größeren Teil der Menschheit als unfassbares Tun erscheint.
Vielleicht sollten die rotierenden Sicherheitsagenturen der Welt neben politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Deutungsmustern stärker psychologische bemühen, um dem nicht ganz neuen Terror effektiver zu begegnen. Die nationale Sicherheitsberaterin Condoleeza Rice hat den "Krieg des Geistes und des Willens" ausgerufen. Eine Stoßrichtung des Antiterror-Kriegs wäre es danach, diesen "Geist" besser zu verstehen, der sich als selbstermächtigter Kampf der Religionen nobilitiert. Nach dem Verständnis aller reformierten und aufgeklärten Religionen, ob nun Islam oder Christentum, ist es untersagt, Menschen zu töten, um Gott wohlgefällig zu sein.
Fanatismus, Opferbereitschaft bis zum Selbstmord, religiöse Verblendung sind aber mitnichten eiskalte Konditionen des Terrors, sondern gedeihen in einem überhitzten Milieu, das politische und religiöse, persönliche und gesellschaftliche Schwierigkeiten mit letzten transzendentalen Sicherheiten verdrängt. Die finale Passion zwischen Taxi, Flugzeug und dem WTC, dem Gateway zum Paradies, wird mit glaubensstärkenden Sprüchen bis hin zur Kleiderordnung genauso handlungsstrategisch wie psychologisch beschrieben: "Oh, Herr, öffne alle Türen für mich. Oh, Herr, der meine Gebete erhört und diejenigen erhört, die dich bitten, ich erbitte deine Hilfe. Ich erbitte deine Vergebung. Ich bitte dich, erleuchte meinen Weg." Auf allen Stationen durch den letzten Akt sollten die Selbstmordattentäter die religiösen Formeln meditieren, um Selbsterhaltungstrieb und Todesängste zu verlieren. Selbst ihre Kleider sollten sie vor der Schlacht ordnen, die Schuhe fest zuschnüren, Socken tragen, damit die Standhaftigkeit in den Schuhen – und vor dem Schrecken - nicht leiden möge. Der Terrorratgeber präsentiert sich als eine minuziöse Todesversicherung zwischen höchster Glückseligkeit im Paradies und grotesken Zwangshandlungen, um nur nicht das Ziel zu verfehlen.
Atta hatte schon in seinem 1996 aufgesetzten Testament erklärt: "Ich wünsche, dass meine Familie und jeder, der dies hier liest, den allmächtigen Gott fürchtet und sich nicht durch das Leben ablenken lässt." Vom irdischen Leben hat er sich in seinen letzten Stunden nicht mehr ablenken lassen, stattdessen aber von der überirdischen Glückseligkeit leiten lassen, weil nur im immer währenden Vertrauen auf Gott und seine Engel der Gläubige zu solchen Taten gestärkt wird: "Wenn ihr in das Flugzeug eintretet und Platz nehmt, beginnt wieder mit dem gottesfürchtigen Flehen. Denkt immer während an Gott." Wer den Glauben pervertiert und zugleich seine Frohbotschaften zu Lebzeiten über Bord wirft, verliert jede Bodenhaftung, wähnt sich im Himmel, vor allem, wenn er das Äußerste tut, um seinem Gott dadurch besonders nahe zu sein. Die Terroristen sollten sich nach dem Todesratgeber jederzeit daran erinnern, dass es eine Schlacht für Gott sei. Die Wut, die Terroristen lediglich als eiskalte Killermaschinen, als Auswurf der menschlichen Gesellschaft klassifiziert, wird diesen Tätertyp nie verstehen.
Sexualphobie, Zwangsneurose, Berührungsängste selbst über den Tod hinaus – in Attas Gedankenwelt drehte sich das grausame Kaleidoskop eines zutiefst verunsicherten Menschen: "Frauen sollen weder bei der Beerdigung zugegen sein noch irgendwann später sich an meinem Grab einfinden". Das sind die wahren Helden des Terrors. Fatal wird man an Wilhelm Reichs hoch umstrittene Charakteranalysen erinnert: "Der religiöse Mensch ist in Wirklichkeit völlig hilflos geworden, da ihm die Glücksfähigkeit und die Aggressivität Schwierigkeiten des Lebens gegenüber durch Unterdrückung seiner Sexualenergie verloren gingen." Was Reich vorschnell als ein allgemeines Charakteristikum der Religiösität definiert, findet in Attas letztwilliger Verfügung zumindest reiches Anschauungsmaterial: "Derjenige, der meinen Körper rund um meine Genitalien wäscht, sollte Handschuhe tragen, damit ich dort nicht berührt werde." Die Gefahr besteht fünf Jahre nach seinem Testament nicht mehr. Bei seinem Himmelfahrt ins Glück trug er im Gepäck das Wissen, dass er noch am Tag des Massakers mit den willfährigen Frauen des Paradieses, in Gesellschaft der Propheten, der Märtyrer und aller guten Menschen zusammen sein werde. Der Terroristentranquilizer versprach: "You should feel complete tranquility, because the time between you and your marriage [in heaven] is very short."
Reich spricht von der Verblendung solcher Menschen, die glauben, ihre unmenschlich- übermenschliche Kraft stamme von Gott. Auch hier weiß das Vademecum Rat und Seelentrost: "God is with his faithful servants, He will protect them and make their tasks easier, and give them success and control, and victory". Nach dem Islamexperten Gernot Rotter soll Attentäter Atta das Produkt einer "pseudoreligiösen Gehirnwäsche" sein. Aber die Selbstaufhebung des Menschen in Gott ist eine der ältesten Konditionen der zu allem bereiten Gotteskrieger. Das gilt für ungezählte fanatische Schlächter, die mit dem letzten transzendenten Zweck jedes Mittel heiligen, so schändlich es vordergründiger Betrachtung erscheinen mag. "Shouldn't we take advantage of these last hours to offer good deeds and obedience?" beschreibt dann das ganze Ausmaß der Verblendung, die einer fanatischen Logik folgt, in der die eigene Verantwortung nichts und der vermeintlich Gehorsam vor Gott alles ist.
Generalstaatsanwalt John Ashcroft sprach davon, dass der handgeschriebene Leitfaden, einen "schockierenden und verstörenden Blick" in die Geisteswelt der Terroristen eröffne. Die religiöse Rückversicherung des Kriegs, die Segnungen von Waffen, die geistliche Truppenbetreuung, die nicht nur Trost, sondern auch Kampfeslust stimulieren, ist aber eine alte Erfindung. Die Kreuzzugsmoral, immer im Auftrag des Herrn unterwegs zu sein, so schändlich das Tun auch dem verblendeten Blick der Ungläubigen erscheinen mag, belastet die Religionen mit schweren Hypotheken. Auch Goebbels brüllte die Durchhalteparole "Wir werden in den Krieg ziehen wie in einen Gottesdienst", weil selbst den Gottlosesten die transzendente Rückversicherung die stärksten Gefühle für den übermenschlichen Kampf verleiht. Religionen schöpfen aus den tiefsten Gefühlen, die Menschen neben Liebe und Todesangst aufbringen. Deshalb sind Religionen in besonderem Maße missbrauchsgeeignet, mit der unendlichen Gerechtigkeit auch noch die inhumansten Akte zu rechtfertigen.
Der religiöse Wahn hat unzählige Menschen sterben lassen. Das Christentum kann für seine Sturm- und Drangzeit auf eine bluttriefende Kriminalgeschichte verweisen: Kreuzzüge, Inquisition und namenlosen Terror gegen Andersgläubige. Auch die Märtyrer demonstrierten, dass das eigene Leben nichts gilt, wenn Erlösung und Erhöhung das Heilsprogramm bestimmen. Davon handelt auch der gegenwärtige Terror: "Pray for yourself and all of your brothers that they may be victorious and hit their targets ... and ask God to grant you martyrdom facing the enemy." Jede Ideologie, in der das Subjekt nichts ist, hat ihre Märtyrer, die zu einem weltenthobenen Glück mobilisiert werden, um das fragile Glück des irdischen Daseins als wertlosen Tand wegzuwerfen. Die eigene Schwäche hebt sich in der göttlichen Kraft auf. Dahinter steckt die Aggression gegen eine Welt, die man nicht versteht, die man in einfachen Formeln bekämpft, weil sie so unheimlich wie bedrohlich ist.
"Was zählen schon die Stunden der Prüfung vor dem Einzug in das Paradies, wenn die große Belohnung Gottes gewährt wird", räsonniert das Vademecum der Vernichtung. "Glaubt ihr etwa, dass ihr in den Himmel kommt, bevor Gott weiß, wer von euch für ihn gekämpft hat". Aber ist es wirklich ein Unterschied, der einen signifikanten Unterschied macht, wenn ein deutsches Boulevardblatt Atta – kurze Zeit nach dem Ereignis - ewige Höllenpein wünschte für ein Handeln, das ihn in seinem Verständnis unmittelbar in den Kreis der Seligen führen sollte?
Welche Sprache, welche Strategien will man hier finden, um diesen Verblendungen, diesen inhumanen Überhöhungen zu einem Gott der Rache zu antworten? Hier gibt es keinen herrschaftsfreien Diskurs, das vermeintliche Kommunikationsapriori humaner Gesellschaften kommt hier zu spät. Fanatismus verliert die menschliche Sprache und regrediert auf eine "Selbstbefriedigung in Glaubensangelegenheiten" (Niklas Luhmann). Faroque Khan, Sprecher des "Islamic Center" von Long Island hat deutlich gemacht, dass selbst der Krieg keine islamische Rechtfertigung kennt, Frauen und Kinder zu verletzten. Allein diesem Tätertypus verkehrt sich die von allen aufgeklärten Muslimen als "evil mission" bewertete Tat zum segensreichen Himmelfahrtskommando. Neben den staatlichen Agenturen sind nun auch die Weltreligionen aufgerufen, ihrem Missbrauch da zu begegnen, wo sie noch nachhaltigen Einfluss auf die fragilen Seelen von Menschen nehmen können. Allein das würde die alten Hypotheken abtragen, mehr jedenfalls als Friedensappelle, die ungehört in den Medien diffundieren.
"Denn die Hand, die solch ein Schwert führt und würgt, ist alsdann auch nicht mehr eines Menschen Hand, sondern Gottes Hand, und nicht der Mensch, sondern Gott henkt, rädert, enthauptet, würgt und führt Krieg. Es sind alles seine Werke und seine Gerichte." Das stand allerdings nicht in dem Vademecum der Gotteskrieger, sondern ist eine Empfehlung von Martin Luther zu der Frage "Ob Kriegsleute auch in seligem Stand sein können" (Anno Domini 1526). Der lange Brief zum kurzen Abschied spricht dagegen von der Bedeutung, das Messer zu schärfen, um nicht die Pein für die zu vergrößern, die getötet werden. "Er konnte nicht mal ein Huhn schlachten", sagt der Vater des Terrorpiloten. Besser lässt sich die perverse Kraft des Fanatismus nicht mehr bezeichnen, die mit der Abschlachtung von Tausenden Menschen offensichtlich geringere Probleme hatte.