Hinter manchen Einigkeiten kaum zu überbrückende Differenzen
Auf dem EU-USA-Gipfel wurde Einigkeit demonstriert und teilweise auch erreicht, beim Nahostkonflikt oder der Iran-Frage ist man sich jedoch keineswegs einig
Allen Unkenrufen zum Trotz: Die Europäisch-amerikanische Zusammenarbeit funktioniert. Hatten sich die Staats- und Regierungschefs auf dem G8-Gipfel in Genf darauf verständigt, das Vergangene vergangen sein zu lassen, wurde jetzt bei einem Gipfel in Washington die neue Freundschaft durch eine Reihe von Abkommen gefestigt. Und trotzdem waren einige Differenzen nicht zu übersehen.
Die Liste war lang, die US-Präsident George W. Bush, der EU-Ratsvorsitzende und griechische Ministerpräsident Konstantinos Simitis und EU-Kommissionspräsident Romano Prodi zu bearbeiten hatten: Bei Themen wie Handelsfragen, Luftfahrt, Energie aus Wasserstoff, Terrorismus und Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen zeigte sich, wie groß das Interesse an guter Zusammenarbeit nach wie vor ist. Gerade auf wirtschaftlichem Gebiet: "Unsere wirtschaftlichen Beziehungen erhalten unsere Sicherheit und unseren Wohlstand", betonte Simitis.
USA und EU streben jetzt einen offenen transatlantischen Luftraum an, so dass sich der Luftverkehr über den Atlantik weiter entwickeln kann. "Besserer Service, niedrigere Preise, und mehr Wahlmöglichkeiten für die 11 Millionen Menschen, die jedes Jahr den Atlantik überqueren, und in der Zukunft noch mehr werden", erhofft sich Prodi von den Gesprächen, die jetzt begonnen wurden. Auch bei der Doha-Runde, mit der die WTO die Liberalisierung des Welthandels voran treiben will, wollen EU und USA zusammenarbeiten. "Ohne enge Kooperation zwischen Europa und den Vereinigten Staaten wird es keinen Erfolg geben", sagte Prodi in Washington.
Als "Meilenstein" bezeichnete die EU-Kommission die beiden Vereinbarungen über die Auslieferung von strafrechtlich Verfolgten sowie über gegenseitige Rechtshilfe, die in Washington unterzeichnet wurden. Jetzt müssen die EU-Länder Personen, die in den USA gesucht werden, nicht mehr ausliefern, wenn ihnen dort die Todesstrafe droht. Eine entsprechende Vereinbarung gab es schon zwischen Deutschland und den USA. Außerdem können die EU-Länder auch an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) ausliefern, wenn ein Auslieferungsgesuch aus den USA vorliegt.
Zudem wurde festgelegt, dass Ausgelieferte das Recht auf ein "gerechtes Verfahren" vor einem "unparteiischen und rechtmäßig eingesetzten Gericht" haben müssen. Die EU will damit verhindern, dass Ausgelieferte vor militärische Sondergerichte gestellt würden, die die USA nach dem 11. September eingerichtet hätten. Die entsprechende Passage steht allerdings nur in der Präambel des entsprechenden Abkommens. Was sie bedeutet, ist zudem eine "Interpretationsfrage", wie das Justizministerium in Berlin gegenüber der Nachrichtenagentur "AFP" einräumte.
Das in Washington geschlossene Rechtshilfeabkommen regelt außerdem die Zusammenarbeit der Justiz. Die EU muss nun keine Informationen über in den USA Angeklagte herausgeben, wenn diese zur Verhängung der Todesstrafe führen könnten. Jetzt bleibt es im Ermessen der einzelnen EU-Länder, Informationen zurückzubehalten, wenn sie befürchten, dass diese den Angeklagten auf den elektrischen Stuhl bringen könnten. Ein grundsätzliches Verbot, Informationen der EU zur Verhängung der Todesstrafe zu nutzen, enthält das Abkommen aber nicht. Laut "AFP" will Deutschland das nun in einem demnächst zu unterzeichnenden bilateralen Rechtshilfeabkommen mit den USA festschreiben lassen.
Die verschiedenen Gesichter der geforderten Einigkeit
Trotz der offensiv zur Schau gestellten Einigkeit traten jedoch auch Meinungsverschiedenheiten zu Tage. In den Worten von Simitis: Europa und Amerika teilten zwar fundamentale Werte wie Freiheit und Demokratie und Menschenrechte, doch "manchmal haben sie unterschiedliche Einschätzungen, wie diese Prinzipien am besten umzusetzen sind" (vgl. Einheit statt Multipolarität, Ordnung statt Chaos).
Solche unterschiedlichen Einschätzungen gab es etwa beim Umgang mit dem Terrorismus im Nahen Osten. Die EU will den politischen Flügel der Hamas nicht wie die USA auf eine schwarze Liste von Terrororganisationen setzen, weil Frankreich diesen in den Friedensprozess im Nahen Osten einbeziehen will bzw. weil der politische Flügel der Hamas nach Ansicht mancher EU-Offizieller eine wichtige soziale Rolle in den Palästinensergebieten spiele.
Keineswegs überraschend nutzte Bush die gemeinsame Pressekonferenz mit Prodi und Simitis zu einem öffentlichkeitswirksamen Appell: "Ich fordere die Politiker in Europa und überall auf der Welt auf, schnelle und entscheidende Schritte gegen Terrorgruppen wie Hamas zu unternehmen, ihre Finanzquellen trockenzulegen und von Unterstützung abzuschneiden, wie die Vereinigten Staaten es getan haben."
Prodi und Simitis gingen auf diese Aufforderung nicht weiter ein. Das blieb EU-Außenkommissar Chris Patten bzw. dessen Sprecherin vorbehalten, die sich einen Tag nach dem Gipfel gegen "Belehrungen" aus Washington beim Kampf gegen den Terrorismus verwahrte.
Auch beim Thema Iran dürfte die in Washington erzielte Einigkeit nicht allzu weit reichen. Teheran solle im Streit um sein Atomprogramm einlenken, lautete die gemeinsame Forderung von EU und USA. Bush verweigerte aber jede Antwort, was denn passiert, wenn die iranische Regierung nicht mit der Internationalen Atomenergiebehörde zusammenarbeitet. "Wir erwarten, dass sie es tun. Sehen Sie, Sie nehmen an, sie werden das nicht tun. Wir glauben, sie werden, wenn die freie Welt sich zusammentut. And wenn sie nicht einlenken, beschäftigen wir uns damit, wenn sie das getan haben."
Ob Europa einen gewaltsamen Regimewechsel wie im Irak - also Krieg - im Falle Irans mitmachen würde, ist mehr als fraglich. Selbst Großbritannien, das noch im Irak-Krieg fest an der Seite Washingtons stand, setzt sich von dem Kurs der Bush-Regierung gegen den Iran ab, Großbritanniens Außenminister Jack Straw will sogar Anfang Juli zu einem Besuch nach Teheran reisen. Insofern ist die Einigkeit von Washington alles andere als eine europäisch-amerikanische Einigung in Sachen Iran.
"Ich stimme Präsident Bush voll zu, wenn er wie neulich sagt, dass uns kein Problem und kein Feind etwas anhaben können, wenn Europa und die USA vereint sind. Das ist die wirkliche Lektion. Ich würde nur hinzufügen, dass jedes Problem zu einer Krise werden kann, wenn wir es nicht schaffen, uns zu einigen", so Prodi. Im Falle Irans könnte genau das bald passieren.