Hiroshima: "Der Asphalt wird brennen. Chaos wird herrschen."
Seite 2: Es gibt keine präatomare Normalität, kein Zurück in ein Vor-Hiroshima
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- Es gibt keine präatomare Normalität, kein Zurück in ein Vor-Hiroshima
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Zwei Beispiele des japanischen Kinos sind Sonderfälle: Die ikonische, zwischen Schrecken und liebenswerter "Niedlichkeit" angesiedelte Monster-Figur "Godzilla" wurde seit ihrer Entstehung 1954 unter der Regie von Ishiro Honda immer aus den kollektiven Ängsten und Erfahrungen des Atomzeitalters interpretiert.
Godzilla stellt die zerstörerische Kraft der Atombombe dar, ist Allegorie der Folgen des menschlichen Handelns, aber er kann auch Schutz bieten.
Im urjapanischen Genre der "Anime" finden sich zahlreiche Wege des Umgangs mit Hiroshima: Die Verfilmung der autobiografischen (historisch allerersten) Graphic Novel Barfuß durch Hiroshima (Hadashi no gen) durch Mori Mazaki 1983 ist eine davon.
Einer der berühmtesten und poetischsten Atombomben-Filme ist fünf Jahre später Grave of the Fireflies (1988) von Isao Takahata. Obwohl der Film keine explizite Darstellung der Atombombe enthält, zeigt er deren Auswirkungen und erzählt die bewegende Geschichte zweier Kinder und Geschwister, die in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs nach der Bombardierung von Kobe ums Überleben kämpfen.
Eine symbolische Darstellung einer Gesellschaft nach dem Atomschlag, ihrer traumatischen Erfahrungen und Belastung zeigt im gleichen Jahr der SF-Anime Akira von Katsuhiro Ôtomo.
Bereits vier Jahre vorher entfaltete der Anime-Meister Hiyao Miyazaki mit Nausikaä – Prinzessin aus dem Tal der Winde das erste von vielen post-atomaren und -apokalyptischen Szenarien. Sie halten das Sujet in der Pop- und Jugendkultur bemerkenswert präsent, aber, ohne dass hier nur einseitig lähmender Furcht und Angst nachgegeben würde.
Tatsächlich geht es in diesen Filmen weitaus mehr um ein Bewusstsein um den Zivilisationsbruch: Es gibt keine präatomare Normalität, kein Zurück in ein Vor-Hiroshima.
Exorzismen des Traumas
Ein so faszinierendes wie erschütterndes, wie im Kino singuläres Portrait postatomarer Normalität lieferte 1959 Alain Resnais mit seiner Verfilmung des von Marguerite Duras verfassten Hiroshima Mon Amour. Der Erfolg des Films mag auch darauf gründen, dass die meisten Zuschauer des Westens bislang kaum Bilder der menschlichen Folgen des Atombombeneinsatzes und der unmittelbaren Zerstörungen kannten.
Vor allem aber gelang es Resnais das weltgeschichtliche Ereignis im Zusammentreffen des Privaten wie Universalen – eine Französin trifft einen Japaner, Dokumentarfilm trifft das Melodram – emotional aufzuladen, ohne es zu vereinfachen.
Der Film zielt in seiner a-chronologischen, fragmentarischen, schockartigen Struktur unmittelbar ins Gemüt der Zuschauer und funktioniert wie ein Exorzismus des Traumas, das mit dem Einsatz von Atomwaffen und ihrem möglichen Einsatz in zukünftigen Konflikten verbunden ist.
Das japanische Pendant hierzu bildet der hierzulande fast unbekannte Geschichten hinter Wänden von Koji Wakamatsu. 1965 eröffnete er den Wettbewerb der Berlinale. Im Lichte bekannter Klischees wurde der Film lange Zeit nur als Beispiel für westliche "Sex in Japan"-Vorurteile gesehen, das gesellschaftskritische Potenzial war der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft kurz vor "'68" womöglich auch selbst zu brisant.
Man sieht ein Paar beim Sex, der Mann hat schwärende Strahlenwunden, überblendet wird immer wieder auf Bilder aus Hiroshima und von Atombombenexplosionen. Der Film zeigt ähnlich wie Resnais auch Depression und Kommunikationslosigkeit der modernen bürgerlichen Gesellschaft und ihr Leben im Schatten von Hiroshima und Kaltem Krieg.
Die Katastrophenfantasie in Fegenwart und Zukunft des Films
Die Atombombe und das Nukleare bleiben auch in Gegenwart und Zukunft des Kinos umgebrochen virulent. Davon zeugen die regelmäßigen postapokalyptischen Filme, insbesondere die Terminator-Reihe ebenso wie die Manhattan-Serie.
Aber auch ein Film wie der in wenigen Wochen in Venedig im Wettbewerb laufende deutsche Film Die Theorie von Allem von Tim Kröger dreht sich um Quantenphysik, Kernspaltung, Atomtechniken und deren gesellschaftlich-politische Folgen und der Film spielt in einem Schlüsselmoment des Kalten Kriegs: Zur Zeit der Kubakrise im Herbst 1962.
Dies belegt die Aktualität des Themas – falls dies nach Nolans Oppenheimer überhaupt noch nötig sein sollte.
Die Beobachtung Susan Sontags (in ihrem Essay über Die Katastrophenphantasie von 1965), nach der Science Fiction und Katastrophenfilme in der Gegenwart – dem Zeitalter der Extreme – in einem gewissen Sinn "in einer komplicenhaften Beziehung zum Entsetzlichen stehen", gerade, indem sie es neutralisieren, gilt auch für die Atombombe im Kino.
Die Filme über die Atombombe im Kino sind Fallbeispiele für das Nachdenken über das Unausdenkbare, wie es Sontag nennt.
In diesem Fall nicht wie bei den Strategen der atomaren Gegenschlagstheorie als Gegenstand der Kalkulation, sondern viel mehr als Gegenstand der Phantasie – einer Phantasie, die ästhetisch kreativ und neugierig ist, auch wenn sie vom moralischen Standpunkt aus betrachtet immer wieder fragwürdig wirken mag.
Es geht um kollektive Albträume, die sich nicht moralisch oder intellektuell bannen oder gar "bewältigen" lassen, sondern die nur ästhetisch auszuhalten sind.
Oder in den Worten der Schauspielerin in Alains Resnais' Film:
Listen to me. I know something else. It will begin again. Two hundred thousand dead and eighty thousand wounded in nine seconds. Those are the official figures. It will begin again. It will be ten thousand degrees on the earth. Ten thousand suns, people will say. The asphalt will burn. Chaos will prevail. An entire city will be lifted off the ground, then fall back to earth in ashes.
Hören Sie mir zu. Ich weiß etwas anderes. Es wird wieder beginnen. Zweihunderttausend Tote und achtzigtausend Verwundete in neun Sekunden. Das sind die offiziellen Zahlen. Es wird wieder beginnen. Es wird zehntausend Grad auf der Erde haben. Zehntausend Sonnen, werden die Leute sagen. Der Asphalt wird brennen. Chaos wird herrschen. Eine ganze Stadt wird vom Erdboden entfernt und dann als Asche auf die Erde zurückfallen.
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