Hitlers posthume Karriere als Reklameherrscher
Ein Werbespot der Regierungspartei präsentiert der Jugend Taiwans Hitler als einen Mann der klaren Sprache
Die taiwanesische Regierungspartei Democratic Progressive Party begeistert in diesen Tagen ihre Jugend für Hitler, weil er ein Mann der klaren Worte gewesen sei. Einen 30-Sekunden-Werbespot der Partei leitet Adolf Hitler ein - mit den hier zu Lande nur zu bekannten Gesten des kalkulierten Führerpathos, seine Arme beschwörend gen Himmel streckend und bekenntnishaft seine Hände auf die Brust legend. Propaganda meets Reklame.
Mit einem historisch unsinnigen bis unseligen "Match-cut" zu Präsident Kennedy geht es auf der Achterbahn der ausgeschlossenen Gefühle weiter, um schließlich beim kubanischen Altrevolutionär und Papstbesucher Fidel Castro zu landen, der eine flammende Rede hält. Für Juan Chao-hsiung, Direktor der Jugendabteilung der Partei, sind das Männer von echtem Schrot und Korn, Pfundskerle eben, geeignet, der Jugend den rechten Kommunikationsstil einzuflößen, der Partei ihre Gedanken frisch, fröhlich und frei mitzuteilen.
Nun hat die Partei bekanntlich immer Recht und sonnt sich vielleicht selbst gern im Schatten markiger Potentaten. Aber um den sich bereits abzeichnenden Schaden gering zu halten, weist Juan abwiegelnd daraufhin, dass die Partei im Übrigen sich nicht mit Hitler identifiziere. Auch das wohl ein offenes Wort. Nach Juan wurde Hitler lediglich gewählt, weil er mit seinem Gedanken nicht hinterm Berg hielt. Wie wahr. Er und die anderen Klartextpolitiker seien wegen ihrer kühnen Eigenschaften gewählt worden.
Gewiss: "In 'Der Fuehrer's Face' there is the Master Race" - musste ja bereits Donald Duck erfahren, der in der Walt Disney Kinderproduktion "Der Fuehrer's Face" von 1942 von SS-Schergen zur Arbeit in einer Bombenfabrik gezwungen wird. "Man sollte darüber kein so großes Aufheben machen. Da gäbe es nicht viel zu interpretieren", meint Juan Chao-hsiung zum taiwanesischen "Fuehrer's Face". Karl Kraus sagte zwar 1933 auch "Zu Hitler fällt mir nichts ein", aber der literarische Aufwand des Satirikers, der dieser Einleitung folgte, machte klar, dass der Ausdruck des Entsetzens über "Die dritte Walpurgisnacht" sehr wohl ihre historische Auslegung unabdingbar macht.
Auch die Politspotmacher hatten zwar Anfangsbedenken, Hitlers Machtgesten so unverhohlen zu präsentieren, aber da der Spot humorvoll sei, würde man "kaum an die Juden denken", meint lässig Phoenix Cheng, Direktor des Kultur- und Informationsabteilung der Partei. Dass "Witzischkeit" keine Schamgrenzen kennt, demonstrierte ein taiwanesisches Unternehmen bereits 1999. Hitler wurde als markiger Werbehelfer für in Deutschland hergestellte elektrische Heizlüfter eingesetzt, weil man bei des "Führers" Erscheinung unwillkürlich an Deutschland denken müsse. "Es hinterlässt einen tiefen Eindruck," sinnierte seinerzeit ein Mitarbeiter der Vertriebsfirma in Taipeh. Riesige Anzeigen zeigten einen lächelnden Hitler in Khaki-Uniform und schwarzen Stiefeln, den rechten Arm zum "Führergruß" erhoben - mit dem geistreichen Slogan "Declare war on the cold front!" Auf Hitlers Armbinde firmierte statt des Hakenkreuzes das Unternehmenslogo der David + Baader GmbH im baden-württembergischen Kandel zu sehen, die indes darüber genauso wenig lachen konnten wie empörte deutsche und israelische Kultur- und Handelsvertretungen in Taiwan.
Fast möchte man von einer taiwanesischen Tradition sprechen, den Führer in vielen Lebenslagen der Erlebnisgesellschaft als Trendsetter einzusetzen. Eine anderes Unternehmen verkaufte vor Jahren Motorradhelme in der Form deutscher Stahlhelme des zweiten Weltkriegs - mit Hakenkreuz-Applikation. Auch in Deutschland hergestellte Turnschuhe firmierten mit dem Hakenkreuz, allerdings ohne den Qualitätshinweis "Flink wie die Windhunde". "Made in Germany" scheint für einige Taiwanesen im zeitenübergreifenden, Politik und Kommerz verschweißenden Emblem des Hakenkreuzes zusammenzulaufen. Johannes Goeth vom deutschen Handelsbüro in Taipei war von der Heizlüfter-Anzeige nicht überrascht, weil er immer wieder Taiwanesen treffe, die Hitler als bedeutenden und starken Politiker bewunderten und keinen Dunst von europäischer Geschichte hätten.
Nun ist der historische Aberwitz und die ignorante Fortführung des Führerkults aber kein taiwanesisches Privileg. Nach einer kürzlich durchgeführten Umfrage hielten 7 von 200 befragten britischen Gymnasiasten Hitler für einen britischen Premier, der den Sieg im Zweiten Weltkrieg errungen habe. Auch ist Hitler längst nicht der einzige Diktator, der als aufmerksamkeitsheischender "Reklamokrat" eingesetzt wird. Neben Titos Einsatz als "Jägermeister" räsonnierte weiland ein Präservativhersteller zum Bild von Ceaucescus Eltern über alternative Geschichtsschreibung: "Hätten sie doch nur ein Jiffi-Kondom benutzt". Haben sie aber nicht, so wenig wie Hitlers Erzeuger mit einer musischen Früherziehung das Ärgste abgewendet haben...
Schon vor dem Debüt des gegenwärtigen Polit-Spots regte sich massiver Widerstand, Hitler als den Verantwortlichen für millionenfachen Massenmord ausgerechnet zum Werbeträger einer Partei einzusetzen, die selbst stolz auf ihre Verteidigung der Menschenrechte in Taiwan verweist. Menashe Zipori, Vertreter des israelischen Wirtschafts- und Kulturbüros in Taipei meinte: "Es ist kaum zu glauben, dass Jugendliche in einem demokratischen Land ein solches Monster bewundern ... scheint so, dass Taiwans Bildungssystem keine Lehren über solche Personen vermittelt."
Auch E. F. Einhorn, Chef der polnischen Handelsvertretung in Taipei and Rabbi in der örtlichen jüdischen Gemeinde sieht die Ausflüge der Partei in das Land des Grinsens weniger komisch: "Hitler hat die Hälfte unserer Brüder und Schwestern ausgelöscht." Seine Name sollte insbesondere nicht mehr gegenüber der Jugend in dieser Lesart erwähnt werden. Zu Recht verweist Rabbi Einhorn auf den Effekt der Einreihung Hitlers in den Kreis politisch respektabler Figuren wie Kennedy und den im Spot gleichfalls gezeigten früheren Präsidenten Taiwans Lee Teng-hui Lee. Zipori teilte Einhorns Einschätzungen. "Es ist kaum zu glauben, dass das Humorverständnis der Partei so weit gehen kann. Es ist niemals lustig, Hitlers Bild in irgendeinem Kontext zu zeigen, " Aber selbst in der Regierungspartei ist die Aktion nicht unumstritten. "Taiwanesischen Jugendlichen ginge es nur um das Augenblicksvergnügen, ohne dass sie Verständnis für internationale Zusammenhänge oder gar Mitgefühl mit der Agonie anderer hätten", beklagt der höhere Parteifunktionär Yang Huang Maysing. Nicht nur für die Juden sei Hitler eine schmerzvolle Erinnerung. Mit den Gefühlen von Opfern sollte nicht so gespielt werden.
Dabei scheint der Umgang mit Hitler nicht nur in Taiwan ein Problem zu sein. Auch Franzi van Almsicks Exkursionen in die Phänomenologie des Terrors stießen seinerzeit auf Unverständnis: "Ich will wissen, wie das alles so ablief. Besonders der 2. Weltkrieg. Fragt man die Leute nach Hitler, hört man immer nur, dass er ein Böser war, total blöd und viele Menschen umgebracht hat. Doch mich interessiert genau, was das für ein Typ war. Eigentlich war er ja ganz schlau. Ich habe 'Mein Kampf' gelesen und plötzlich verstanden, wie er das gemacht hat, seine Wege. Das soll aber jetzt nicht heißen, dass ich ein Fan bin. Mich interessiert das Phänomen." Zwischen qualvoller Erinnerung, phänomenologischer Neugier und albernem Gag bestehen erhebliche gesellschaftliche Verunsicherungen, ob man nun für ein Bilderverbot optieren sollte oder zumindest zu Aufklärungszwecken Zeitbilder zulässt. Aufklärungsgründe jedenfalls dürften es nicht gewesen sein, dass ein Trendrestaurant in Taipei Fotos von Häftlingen eines deutschen Konzentrationslagers zeigte.
Viele Taiwanesen besitzen kein nachhaltiges Wissen über den Holocaust. Das taiwanesische Kollektivgedächtnis erinnert vor allem die Geschichte japanischer Gräuel, die während des zweiten Weltkriegs erlitten wurden. Deshalb sind viele Taiwanesen auch darüber erstaunt, dass Bilder des japanische Kriegsemblems der aufgehenden Sonne oder von Mao Tse-tung sich im Westen in trendige Popsymbole verwandeln. Würde man über dieses Erstaunen nachdenken, wäre vielleicht der erste Schritt gemacht, die historischen Erfahrungen anderer Kulturen auch sensibler zu behandeln.
Dass Hitler - nach David Bowies massenbewegendem Spruch der "größte Rockstar aller Zeiten" - zumindest als Negativfigur den nötigen Aufmerksamkeitsschrecken garantiert, erkannte Anfang 2000 auch der nordrhein-westfälische FDP-Vorsitzende Jürgen Möllemann. Auf einem inkriminierten FDP-Plakat sollte Hitler neben dem Menschenfänger Bhagwan sowie "Eins, zwei, drei, Freddy (Krueger) kommt vorbei" zu sehen sein. In liberaler Untertitelung des gräulichen Bildauflaufs hieß das dann: "Wenn wir nicht schnell für Lehrer sorgen, suchen sich unsere Kinder selbst welche."
"Wir wussten, dass das eine Provokation war", sagte Möllemann seinerzeit relativ unbeeindruckt über seinen Absprung in das Schattenreich von Benetton und Rocky-Horror-Picture-Show. Allein der gute Zweck sollte wohl den faustgroben Keil rechtfertigen: Erklärtes Ziel sei es gewesen, vor den Gefahren durch Sekten, Horror- und Gewaltneigung sowie Neonazis zu warnen. Aber auch nach dem Rückzug des Plakats erklärte Möllemann, er selber halte es nach wie vor für möglich, Hitler-Bilder im Wahlkampf einzusetzen.
Aber da könnte er genauso schief liegen wie gegenwärtig die taiwanesischen Klartext-Fans, die glauben, vermeintliche Sekundärtugenden von Figuren der Zeitgeschichte schmerzfrei transplantieren zu können. Hitlers erster Biograf, Konrad Heiden, erklärte in seinem Porträt schon im Jahre 1936: "Es gibt keine Bilder von Hitler. Keine Fotografie erfasst dieses Doppelwesen, das ewig zwischen seinen beiden Polen hin- und herzuckt. Was es gibt, sind Zustandsaufnahmen des Rohstoffes Hitler. Er ist nie er selbst; er ist in jedem Augenblick eine Lüge von sich selbst; darum ist jedes Bild falsch."
Aber offensichtlich können solche propagandistischen Selbstinszenierungen, die Hitler ja eigens vor dem Spiegel, der ihm die verführbare Welt bedeutete, einstudierte, besonders effizient und plastisch recycelt werden. Dieser auf seine mythenbrütende Selbstbeschreibung reduzierte Hitler wird zum Stoff von Projektionen, die Thomas Mann in "Bruder Hitler" (1938) als pervertiertes Künstlertum beschrieben hatte, das sich über das Thema vom Träumerhans speist, der schließlich die Prinzessin und das ganze Reich gewinnt. Auch wenn sich Geschichte trotz menschlicher Ignoranz nicht einfach wiederholt, scheint der reklametaugliche Rohstoff Hitler, insbesondere in seinen karikaturesken Zügen zwischen Quaderschnauzbärtchen, Brüllstimme und übersteigertem Pathos besonders gut wiederbelebbar zu sein.
In New York wird in diesen Tagen das Bühnen-Revival des über dreißig Jahre alten Films "Frühling für Hitler" (The Producers) von Mel Brooks gefeiert. Das Musical ist - nicht unähnlich seiner Erzählung eines geplanten Flops, der sich dank Hitlers Schmiereneinsatz zum Megaerfolg verwandelt - als Blockbuster eingeschlagen. Den beiden fiktiven Produzenten gelingt es im Stück nicht, die Hitlerverehrung eines Altnazis trotz des Einsatzes aller schauspielerischen und inszenatorischen Talentlosigkeiten zum Scheitern zu bringen. Der große Diktator und die Medien vermählen sich auch hier zur unwahrscheinlichen Begegnung von Faschismus und Komik, die vielleicht eine, wenn auch zumeist unzulängliche Verarbeitungsform des Schreckens ist. Dementsprechend lautet ein Glückwunschtelegramm an die beiden gescheiterten Produzenten: "Hitler will run forever." Mag sein, aber allein entscheidend ist, dass die Interpretation dieses Umstands eben nicht zum historischen (Aber)Witz verkommt.