Hochschul-Rankings: "Was die Top 50 anders machen"
Warum das schlechte Abschneiden deutscher Unis beim internationalen Ranking kein Grund zur Besorgnis ist
Im Zeitalter der Übertragung ökonomischer Prinzipien auf den Bereich der Bildung stehen Rankings und Leistungsvergleiche wenig verwunderlich im Vordergrund. Auch die Leistung der Universitäten muss angeblich gemessen werden - und das im internationalen Maßstab. Die Wirtschaft sei ja auch global und überhaupt - die deutschen Bildungseinrichtungen strahlten nicht genug Prestige aus. In diesen Chor der neoliberalen Klagegesänge reiht sich nun auch das öffentlich-rechtliche Radio-Magazin "Campus & Karriere" ein. Es geht um eine Konferenz, die aufzeigen sollte, was deutsche Universitäten bisher "falsch" machten.
In den weltweiten Rankings für Universitäten geht es mal um den guten Ruf, mal um die Anzahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen, um die besten Abschlüsse oder Absolventen. Auf den Spitzenpositionen finden sich aber fast immer dieselben Universitäten aus den USA und auch Großbritannien. Sie setzen einen Schwerpunkt, den sich viele Studenten in Deutschland wünschen.
Deutschland will weiter nach vorne. Trotz Exzellenzinitiative sind im neuesten "Times Higher Education Ranking" einem Ranking, das vom Verlag der "Times" herausgegeben wird, nur drei deutsche Hochschulen unter den besten 50: Die Münchner Ludwig-Maximilians-Universität auf Platz 29, die Uni Heidelberg auf Platz 37 und die Berliner Humboldt Uni auf 49. Dabei ist eine gute Platzierung in anerkannten Rankings so wichtig, meint Gabriele Althoff von der DAAD Akademie: "Es ist wichtig für die internationale Sichtbarkeit, es ist wichtig, um tatsächlich gute Forschungsergebnisse zu bekommen, um die besten Partner für die Forschungs- und Lehrkooperationen zu bekommen. Es ist eine Frage der Reputation. Universitäten sind ja qua Definition international und wollen in diesen internationalen Rankings dann auch gesehen werden."
Campus & Karriere. Beitrag vom 03.03.2016.
Zunächst geht es um ein Hochschulranking, das von einem Verlag gegründet wurde, der die britische Zeitung "The Times" herausgibt. Herausgeber der Zeitung, Rupert Murdoch, ist ein Medien-Monopolist und rechtsliberaler Multimilliardär, der "The Times" als Sprachrohr seiner persönlichen Ideologie missbraucht.1
Das Ranking wird vor allem wegen seiner Überbewertung von Naturwissenschaften zu Ungunsten der Sozial- und Geisteswissenschaften in der Wissenschaft kritisiert. Zudem handelt es sich um ein Ranking, das als einen wesentlichen Indikator die Zahl wissenschaftlicher Publikationen pro Wissenschaftler als Qualitätsindikator sieht. Derlei Publikationszwang fördert eine wenig durchdachte Massenproduktion von wissenschaftlichen Arbeiten, die man entgegen der Logik solcher Rankings aber nicht mit der Qualität von Wissenschaft verwechseln sollte.
Die Autorin des Beitrags, Frau Nehls, mutmaßt nun ins Blaue hinein, viele deutsche Studierende wünschten sich Schwerpunktsetzungen ihrer Unis, die denen der angelsächsischen Eliteunis entsprächen. Der Satz der Autorin "Deutschland will weiter nach vorne" ist symptomatisch für Wirtschafts-Nationalismus und das Schielen nach Prestige und Anerkennung. Solche Sätze sagen Leute, die auch Worte in den Mund nehmen wie "Exportweltmeister". Sie lieben Klischees und oberflächliche Betrachtungen ihrer vermeintlichen nationalen Größe und leiden, wenn sich diese erhoffte "Größe" in Rankings nicht widerspiegelt.
Wo genau der Zusammenhang zwischen internationaler Sichtbarkeit und der Qualität von Forschung und Bildung besteht, wird nicht belegt, nur behauptet. Es geht zumindest zu einem ganz wesentlichen Teil um Labels und PR und nicht um einen tiefgründigen Vergleich der beiden Hochschulsysteme - unter Berücksichtigung des Bildungsideals, der historischen Genese und der jeweiligen nationalstaatlichen sozio-politischen Strukturen. Nur an der Oberfläche einer ökonomischen Denkweise mag der Fokus auf der Platzierung in einem schnöden und zudem auch höchst zweifelhaften Ranking plausibel erscheinen.
Während sich die deutschen Hochschulen noch abmühen, geben sich die internationalen Unis, die es an die Spitze geschafft haben überraschend entspannt. Eine davon die britische Universität Oxford, die in allen Rankings immer ganz weit vorne ist. Ed Nash ist dort zuständig für die strategische Entwicklung: "Wir achten nicht zu viel auf Rankings. Was wirklich wichtig für die Universitäten ist, ist sich selbst zu vertrauen, dass sie exzellente Lehre und Forschung anbieten zum Nutzen der Gesellschaft, und zwar nicht nur im eigenen Land, sondern in der ganzen Welt."
Internationalisierung und Austausch ist für die Universitäten heutzutage das wichtigste Erfolgskriterium, meint Ed Nash. Außerdem liege seine Uni auch durch die einzigartige Betreuung der Studierenden ganz vorne: "Durch ein Tutorien System, wo es nur zwei Studierende pro Klasse gibt, das ist einzigartig und anders. In den meisten Unis hat man zwischen 20 und 200 Studenten in einer Vorlesung. Die Lehre in Oxford ist viel intensiver und gründet sich auf Diskussionen und Gespräche und das hat eine andere Qualität."
Campus & Karriere:
Die "entspannte" Haltung in Oxford ist darauf zurückzuführen, dass es sich um eine fast surreale Eliteuni handelt, die sich um die Sorgen der ganz normalen Universitäten nicht zu scheren braucht. Es ist die Entspanntheit eines Milliardärs, wenn er mal einen Tag, ohne zu arbeiten, zu Hause bleibt; es ist die Entspanntheit einer Organisation, die ausgesorgt hat, weil sie eine privilegierte gesellschaftliche Stellung innehat und durch die Eliten des Landes abgesichert ist.
Mit der Realität an deutschen Unis hat das Ganze nichts zu tun. Dennoch möchte man sich so dringend vergleichen. Man möchte sich in der Riege deutscher Bildungspolitiker, beim DAAD und in der Redaktion von "Campus & Karriere" einfach nicht damit abfinden, dass dies zwei grundverschiedene Systeme sind, die nicht miteinander verglichen werden können und die niemals zusammenpassen werden. Man hätte gerne eine "echte Eliteuni", um sagen zu können: "Schaut her, das ist unsere Eliteuni, wir spielen mit an der Spitze."
Das schlechte Abschneiden beim Ranking ist aber kein Grund zur Besorgnis. Ganz im Gegenteil, denn das hiesige System ist demokratischer und in viel höherem Maße an den Interessen der Bevölkerungsmehrheit orientiert. Trotz neoliberaler Entdemokratisierungsversuche, etwa durch die Einführung sogenannter Hochschulräte, sind deutsche Universitäten nach wie vor durchzogen von (paritätisch besetzten) zum Teil demokratischen Gremien, in denen debattiert und abgestimmt wird. Eliteuniversitäten wie Harvard hingegen werden eher wie Wirtschaftsunternehmen zentralistisch/diktatorisch von oben geführt.
Wer sich einmal die ach so hoch gelobte ökonomische und technologische Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik anschaut, der muss erklären, wie dies denn möglich sein kann - so ganz ohne Eliteunis? Und das alles fast ausschließlich mit AbsolventInnen der angeblich unzeitgemäßen "alten" Studiengänge Diplom und Magister. Es geht also ganz offensichtlich auch anders. Wahrscheinlich ist das multipolare, nicht-elitäre Massenbildungs-Hochschulsystem am Ende gesamtgesellschaftlich betrachtet sogar erheblich leistungsfähiger.
Kein Mensch braucht Eliteunis und noch mehr korrupte Machteliten, die ihnen entspringen. Denn wer sich die Namen der Absolventen von Eliteuniversitäten anschaut, wird feststellen, dass sich ziemlich viele neoliberale und oder zwielichtige Gestalten darunter finden lassen. Etwa die folgenden:
- Oxford: Rupert Murdoch, Tony Blair, Margaret Thatcher, Viktor Orbán, David Cameron.
- Harvard: George W. Bush, Henry Kissinger, Bill Gates, Mark Zuckerberg.
- Yale: Bill Clinton; Richard ("Dick") Cheney.
- Wharton School: Donald Trump, Klaus Zumwinkel, Warren Buffett.
Man sollte zumindest ins Grübeln kommen, welches Menschenbild und welche Werte an solchen Eliteunis vorherrschen.
Der bewundernde Verweis im Beitrag auf eine Betreuungsrelation von zwei Studierenden zu einer Lehrperson an der Universität Oxford ist offenbar ernst gemeint. Es wäre aber absurd anzunehmen, eine solche Betreuungsrelation sei jemals in Deutschland zu erreichen. Und erstrebenswert ist sie auch nicht: in einem Studiensystem, das auf die Bildung großer Bevölkerungsteile setzt, kann eine solche Betreuungsrelation niemals realisiert werden.
Und überhaupt: das klassische Uni-Seminar mit 20-30 Teilnehmern ist - wenn es einen guten Dozenten hat, der die Diskussionen anregt - ein sehr produktives und sinnvolles Konstrukt. Außerdem geht es ja um den Austausch vieler unterschiedlicher Gedanken und Wissensinhalte, nicht nur um ein Zwiegespräch zwischen zwei, drei Menschen aus Elternhäusern der Oberschicht. Der Fetisch von Betreuungsrelation hat nichts mit der Realität zu tun, die häufig gar nicht so schlecht aussieht, wie es Fürsprecher der Elite und der Exzellenz weismachen wollen.
Und diese Qualität zählt für die Studierenden und bringt die Uni im Ranking nach vorne. Die Erfahrung hat auch Jeffrey Peck der ehemalige Dekan der Weissmann School of Arts and Sciences in New York gemacht. "Was die deutschen Studierenden mir immer sagen, wenn sie in Amerika waren: 'Ach, ich habe mit Professoren Zeit verbracht, die haben sich für mich interessiert, die haben Zeit für mich.' Diese Beziehung, die zwischen Professoren und Studierenden in Amerika oft stattfindet und auch unterstützt wird, finde ich einen sehr, sehr wichtigen Teil, dieses Interesses in Amerika zu studieren."
Dennoch kann man Amerika und England mit Deutschland nicht vergleichen, darüber sind sich alle Seminarteilnehmer einig. Qualität kostet Geld, sagt Jeffrey Peck aus New York: "Die Eliteuniversität in Amerika, also die Ivy League und so weiter, die haben natürlich sehr hohe Studiengebühren, sehr große Spenden und dadurch können sie natürlich viel mehr leisten."
Campus & Karriere
Der klügste Satz des Beitrags lautet von Jeffrey Beck: "Dennoch kann man Amerika und England mit Deutschland nicht vergleichen." Und damit ist alles gesagt, ist das ganze Ranking sinnlos, ist die ganze DAAD-Konferenz sinnlos, ist dieser ganze Deutschlandfunk-Beitrag sinnlos. Man kann ein Eliten-Universitätssystem einfach nicht mit der deutschen Massenuniversität vergleichen.
Und warum tut man es dennoch? Vermutlich um das hiesige Universitätssystem zu diskreditieren und langfristig zu demontieren. Das ist schlimm, denn wir sollten uns darüber freuen, dass hierzulande - mal abgesehen von der Undurchlässigkeit des Schulsystems und des Studien-Beschleunigungssystems Bafög2 - die Hochschulbildung im Großen und Ganzen für den größten Teil der Bevölkerung unentgeltlich zur Verfügung steht. Dieser Umstand ist viel wichtiger als alle Rankings und jegliches internationales Renommee, von dem niemand etwas hat, außer einer schmalen Elite von einem Prozent.
In Deutschland sind dagegen die Universitäten hauptsächlich staatlich finanziert - und deshalb lange nicht so unabhängig wie zum Beispiel die in England, beklagt Gabriele Althoff vom DAAD: "Wir sind trotz Wissenschaftsfreiheitsgesetz in Deutschland immer noch sehr reguliert und vieles von dem, was sie machen, ist halt nur bei einem höheren Grad an Autonomie möglich."
Dennoch können auch deutsche Hochschulen von hoch gerankten im Ausland lernen, meint Claudia Wendt von der Universität Magdeburg. Exzellente Unis in England und Amerika verstehen unter diesem Begriff nämlich nicht immer das, was in Deutschland damit verbunden wird: "Weil ja Exzellenz, der Begriff, doch immer mit Forschung verbunden wird. Ich habe gelernt, dass die Exzellenz-Unis nicht exzellent sind, weil sie so viel forschen, sondern weil sie eben auch viel in ihre Lehre investieren. Das heißt, sie sind nicht trotz Lehre exzellent, sondern wegen Lehre."
Campus & Karriere:
Aufgrund der staatlichen Finanzierung seien Universitäten in Deutschland weniger unabhängig als in Großbritannien, heißt es hier. Außerdem sei die Regulation in Deutschland zu hoch. In Deutschland ist die Regulation aus gutem Grund hoch! Denn Hochschulen hierzulande haben dem Gemeinwohl zu dienen und sind sehr viel stärker entsprechend so strukturiert als Oxford, Harvard oder die "National University of Singapore".
Zudem sind sie in sich zum Teil demokratisch organisiert, was für eine aufgeklärte Gesellschaft von großer Bedeutung ist. Die Regulation ist sogar nicht hoch genug. So sollten die Wirtschaftsunternehmen per Gesetz von den Unis ferngehalten werden, um freie und unabhängige Wissenschaft und Lehre zu ermöglichen. Konstrukte wie von Privatunternehmen finanzierte Professuren, die Lobbyismus im Namen der Wissenschaft betreiben - oder auch Forschung für grüne Gentechnik oder Rüstung - sollten noch viel stärker reguliert und transparent gemacht werden.
Die im Beitrag angesprochene angegebene besondere Freundlichkeit US-amerikanischer Dozenten ist übrigens im Wesentlichen kulturell begründet. In den USA ist man im Umgang miteinander häufig höflicher und an der Oberfläche betrachtet bestehen weniger Hierarchien. Das hat aber weniger etwas mit der Organisation von Universität zu tun und lässt sich nicht wirklich durch Gesetze ändern.
Dieselben Personen, die sich um die Stellung in Rankings sorgen, fragen sich auf der anderen Seite verwirrt, weshalb die neoliberalen Reformen für ein stärker angelsächsisches und elitenorientiertes System denn nicht den versprochenen Erfolg gebracht haben. Konkret fragen sie sich im Magazin "Campus & Karriere": "Überforderung - warum immer mehr Studierende psychische Probleme haben." Weiter heißt es im Beitrag vom 5. März 2016:
Ein Studium ist für viele junge Leute heute attraktiver denn je: als Eintrittskarte in interessante und gut bezahlte Jobs - und auch als Phase des Ausprobierens und Auslebens. Doch von jugendlicher Unbeschwertheit sind viele Studierende heute offenbar weit entfernt: Immer mehr Studierende haben psychische Probleme. Doch wo liegen die Ursachen? [...]
Studentenwerke melden erneut eine steigende Nachfrage nach psychologischer Beratung. Campus & Karriere fragt: Fördert die Atmosphäre an Hochschulen heute Isolation und Konkurrenzdruck? Welchen Einfluss haben das enge Prüfungskorsett und der Notendruck im Bachelorstudium auf die psychische Stabilität von Studierenden? Schreiben sich einfach zu viele ein, die nicht für ein Studium geeignet sind? Sind möglicherweise viele Studierende mit ihrer neuen Selbständigkeit überfordert, weil sie bis dahin von "Helikopter"-Eltern ständig unterstützt und abgeschirmt wurden?
Campus & Karriere:
Diese hilflosen Fragen sind so besonders unglaublich, da bereits vor der Einführung der Bachelor-Master-Studiengänge um 2008 herum eben genau diese Punkte vorhergesagt wurden und der massive Widerstand der Studierenden dennoch rücksichtslos gebrochen wurde. Der Bachelor führt nicht nur dazu, dass weniger Menschen hoch qualifiziert und gut gebildet sind. Der Studiengang ist mit sechs Semestern Regelstudienzeit viel mehr nicht ohne Schaden zu nehmen zu bewältigen. Druck und Arbeitsbelastung sind viel zu hoch. Und am Ende eines verschulten und technokratischen "Studiums" aus Auswendiglernen und Planerfüllung stehen überlastete und halb gebildete Menschen, deren Kurzzeitgedächtnisse bestens trainiert sind, die am Ende aber fast nichts dauerhaft verinnerlicht haben. Und die vor allen Dingen viel weniger in der Lage sind, selbstbestimmt zu leben und zu arbeiten, als Absolventen des "alten" Systems (Diplom/Magister).
Im gesamten Radiobeitrag wird deutlich, dass die Deutschlandfunk-Redaktion - ebenso wie die Politiker, die das Bachelor-Master-System erzwungen haben, eigentlich gar nicht über ein Bildungsideal im eigentlichen Sinne verfügen. Hochschulbildung wird ausschließlich als Qualifizierung gesehen - für den Zweck, Geld zu generieren.
In den Worten "Ausprobieren" und "Ausleben" klingt zwar so etwas wie Freiheit an, aber die explizite Nennung der freien Entfaltung der Persönlichkeit fehlt. Auch fehlt wie immer der Verweis auf die Möglichkeit, durch Bildung die Befähigung zu erlangen, über den eigenen Tellerrand schauen und demokratisch partizipieren zu können.
Campus & Karriere verschweigt, dass auch schon während der Einführung der BA-MA-Studiengänge massiv Kritik geäußert und dass die gesamte Bologna-Reform vehement bekämpft wurde - etwa mit dem bundesweiten sogenannten Bildungsstreik im Jahr 2009, der am 17. Juni 2009 etwa 250.000 Schüler und Studenten auf die Straße trieb. Damals (wie heute) wollte man die Kritik aber nicht hören, da man sich dann eingestehen müsste, dass dies keine Probleme im Detail sind, sondern dass die gesamte Konzeption und Stoßrichtung falsch sind.
Im Windschatten der erfolgreichen Anti-Studiengebühren-Proteste hatten die Wirtschaftslobbys in der gesamten EU ihre marktkonformen Studiengänge durchgepeitscht. Wer selber über kein humanistisches Weltbild verfügt und möglicherweise selber keine humanistische Bildung genossen hat, dem fehlen offenbar auch die Grundlagen, um verstehen zu können. Mündigkeit erlangt man nämlich nicht durch Elitenbildung oder ständige Leistungserbringung, sondern durch Freiheiten, sein Leben und seinen Bildungsweg individuell zu gestalten.
Wie bereits von mir 2011 gefordert, sollte den Studierenden etwa zur Wahl gestellt werden, ob sie eine große Endprüfung oder zahlreiche Zwischenprüfungen wünschen. Letztendlich kommt es ja nur auf das Endergebnis an. Also wie gut ein Mensch am Ende seines Studiums gebildet ist. Und wenn schon Bachelor, dann muss die Regelstudienzeit dringend von sechs auf acht Semester erhöht werden.
Derlei Vorschläge wurden und werden entweder ignoriert oder bekämpft. Denn neoliberale Vordenker wollen offenbar ein Ständesystem in Deutschland schaffen und die Errungenschaft einer höheren Bildung für die Massen zunichtemachen. Sie wollen gar nicht, dass so viele Menschen wie möglich die höchstmögliche Bildung erhalten, sondern bevorzugen es, die Hälfte der Hochschulabsolventen mit einem "Spar-Abschluss" abzuspeisen. Ihnen sind die oben beklagte "Regulation", ebenso wie demokratische Mitbestimmung ein Dorn im Auge.
Die Verstümmelung des humanistischen Bildungsideals durch die Einführung von Bachelor und Master hat bereits viel Bildungskultur zerstört. Dazu kommen die ungerechte und falsche Verteilung von Geldern im Zuge der sogenannten Exzellenzinitiative sowie die thematische Einschränkung von Studiengängen auf momentan gehypte Themen. Was noch vor ein paar Jahren beispielsweise Politikwissenschaft hieß und den Studierenden sehr viele Spezialisierungsmöglichkeiten gab, heißt heute beispielsweise "European Institutions Studies" und lässt nur noch ein sehr kleines Spektrum der Spezialisierung zu. Ein klarer Nachteil für die Studierenden und ihre intellektuellen Entfaltungsmöglichkeiten.
Ebenso bedenklich sind die Ausgründungen halb-privater Business-Schools aus deutschen Universitäten. Diese bieten Elite-Studiengänge - finanziert durch Studiengebühren (die ja für die staatlichen Universitäten durch soziale Kämpfe beseitigt wurden). Ein Beispiel für eine solche Ausgründung ist die "University of Cologne Executive School", die aus der Universität zu Köln hervorging und 2015 mit einem Studium für schlappe 24.000 Euro pro Jahr auf den "Bildungsmarkt" getreten ist. Sicherlich nicht zufällig mit einem Geschäftsführer, der vorher beim neoliberalen Thinktank und Beratungsunternehmen McKinsey beschäftigt war.
Man sollte sich offen einzugestehen, dass man das angelsächsische Elitensystem nicht kopieren und einführen kann, ohne das hiesige, demokratisch legitimierte und historisch gewachsene System zu zerstören. Viel wichtiger als die Konzentration auf Rankings wäre es, sich endlich mit den Bedürfnissen der Menschen und der tatsächlichen Bedeutung von Bildung auseinandersetzen. Es ist Zeit für einen Umbruch in die entgegengesetzte Richtung: Die Universitäten müssen sich anstatt für Eliten für alle Menschen aus allen sozialen Schichten und Milieus öffnen.
Wer in einer Gesellschaft leben möchte, deren öffentliche Diskussionen nicht von PEGIDA, AfD, Verschwörungstheoretikern, unkritischen Putin-Bewunderern, blinden TTIP-Transatlantikern und marktradikalen Ellenbogenmenschen dominiert werden; wer in einer Gesellschaft aus post-materialistischen, aufgeklärten, gutmütigen und demokratisch engagierten Menschen leben möchte, der sollte die höhere Bildung für die Massen weiter vorantreiben - entgegen der eigennützigen Ziele schmaler Eliten, die Bildung nur im Kontext von Humankapital und der Qualifizierung sogenannter Hochbegabter bzw. sozial Privilegierter denken können.