Hochsicherheitszone Boston

Heute beginnt in Boston der Nationale Parteitag der Demokraten

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Eigentlich steht der Kandidat bereits fest. Trotzdem versammeln sich ab heute rund fünftausend Delegierte in Boston, um John Kerry als Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei zu nominieren. Vier Tage lang dauert das bis ins kleinste Detail inszenierte, ganz auf das Fernsehen zugeschnittene Spektakel, das alle vier Jahre stattfindet, und wie so vieles in den Vereinigten Staaten von Amerika werden auch die Nationalen Parteitage von Mal zu Mal gewaltiger. Eine Neuerung, die vielleicht einen gewissen Ausgleich schafft, gibt es in diesem Jahr: Ganz offiziell dürfen zusätzlich zu den normalen Journalisten 30 Blogger vom Parteitag berichten. Und es gibt auch einen offiziellen Parteitagsblog

"Ansicht der Free Speech Zone

In diesem Jahr beherrscht jedoch eine Komponente das Gesamtbild, die bisher eher im Verborgenen stattfand: Security. Aus Angst vor Terroranschlägen wurde die Hafenstadt gegen alle nur erdenklichen Gefahren gewappnet, die zu Lande, zu Wasser und aus der Luft drohen könnten.

Die Symbolkraft der Schutzmaßnahmen ist nicht zu unterschätzen, denn eigentlich sind Parteitage in den Vereinigten Staaten von Amerika eine fröhliche Angelegenheit. Girlanden, Konfetti und Fähnchen bis zum Abwinken gehören ebenso dazu wie jubelndes Parteivolk mit putzigen Hütchen und schmissige Musik. Auch beim ersten nationalen Parteitag nach dem 11. September 2001 soll es all das geben. Allerdings kommt dieses Mal auf jeden einzelnen der rund fünftausend Delegierten ein Sicherheitsbeamter. Wobei die Delegierten nicht die einzigen Gäste sind, die in Boston erwartet werden: auch jede Menge Journalisten und Politiker werden die Stadt bevölkern. Insgesamt werden 35.000 Gäste erwartet.

Über 100 Demonstrationen und Protestveranstaltungen werden während des Parteitags stattfinden. In aller Regel weit entfernt von der Sicherheitszone. Boston hat allerdings in der Nähe des FleetCenter eine sogenannte Demonstrationszone oder "Free Speech Zone" eingerichtet, in der einige Gegenveranstaltungen stattfinden dürfen. Die mit Stacheldraht und Zementmauern umgebene Zone unterhalb einer Baustelle bietet nur Platz für 1000 Menschen.

Zwei Eingänge führen in das "Internierungslager" hinunter, wie manche es bezeichnen. Selbst der Richter, der dem Einspruch von Organisationen nicht stattgegeben hat, die gegen die Einsperrung in diesen "klaustrophobische" Ort Widerspruch eingelegt hatten, sprach von einem "Affront für die Meinungsfreiheit". Über den gesamten Bereich wurde noch ein Netz gespannt. "Protestkäfig" wurde die Zone denn auch bereits genannt. Ein Besucher schilderte den Ort als "Szene aus einem "post-apokalyptischen Film - ein futuristisches industrielles Lager aus einem Mad Max Film". Organiationen wie The Bl(A)ck Tea Society rufen zu einem Boykott dieser "Zone" zur Äußerung der Meinungsfreiheit auf oder veranstalten wie Save Our Civil Liberties Protestkundgebungen.

Natürlich möchte Boston, das zum ersten Mal in seiner langen Geschichte einen nationalen Parteitag beherbergt, eine gute Figur machen. Die Bewohner und Pendler sind weniger begeistert, denn sie müssen mit zahlreichen Einschränkungen zurechtkommen. Wer es sich leisten konnte, hat frei genommen und einen Platz auf dem Kreuzschiff gebucht, das unter dem Motto "DNC Escape" von Boston nach Bermuda schippert. Die Daheimgebliebenen beobachteten mit Staunen, wie sich ihre Stadt in eine Hochsicherheitszone verwandelte.

Bereits Wochen im Voraus wurden Gullydeckel zugeschweißt und potentielle Bombenverstecke wie Briefkästen und Mülleimer abmontiert. In ganz Boston und insbesondere rund ums FleetCenter - eine umgemodelte Sportarena, die den Demokraten als Kongresszentrum dient - sind auf rund 65 Kilometer Länge Tunnel, Brücken und Straßen gesperrt, darunter wichtige Durchgangsstraßen wie die Interstate 93, die unweit vom FleetCenter passiert. North Station, wo jeden Morgen tausende Pendler ankommen, bleibt geschlossen, denn die Gleise führen direkt unter dem FleetCenter hindurch. Stattdessen müssen die Pendler in Ersatzbusse umsteigen.

Trotz diverser Vorkehrungen ist das Verkehrschaos vorprogrammiert. Berufstätigen wurde deshalb empfohlen, diese Woche freizunehmen, oder zumindest von zuhause aus zu arbeiten. Angestellte, für die weder das eine noch das andere in Frage kommt, sind aufs Fahrrad umgestiegen und rechnen damit, von entnervten Autofahrern über den Haufen gefahren zu werden.

Privat- und Firmenflugzeuge sind auch keine Alternative, da der Flughafen für Kleinflugzeuge gesperrt wurde. Die Anreise per Boot dürfte ebenfalls problematisch werden, denn im Charles River sowie im Hafen von Boston, wo einst die legendäre "Tea Party" stattfand, patrouilliert die Küstenwache. Tanker mit Flüssiggas, die ihre explosive Fracht sonst regelmäßig in Boston abliefern, sind während des Parteitags tabu. Pausenlos kreisen 8 F16-Kampfjets über der Stadt.

Das Kongresszentrum selbst gleicht einer Festung: Meterhohe Schutzwälle, uniformierte Soldaten und Polizisten in Grellorange markieren den Beginn der so genannten "Hard Zone". Wer ins FleetCenter hineinwill, muss mehrere Sicherheitsschleusen durchlaufen und dafür stundenlang anstehen. Journalisten erhielten vorab lange Listen, auf denen stand, welche Gegenstände nicht ins Kongresszentrum hineingenommen werden dürfen, zum Beispiel Regenschirme, verschlossene Umschläge und Päckchen.

Mehrere hundert Spürhunde und tausende Sicherheitsbeamte sind im Einsatz, darüber hinaus überwachen Videokameras nahezu jeden Winkel der Stadt. Sollte doch etwas schief gehen, so sind die Krankenhäuser der Umgebung mit Medikamenten gegen chemische und biologische Kampfstoffe aller Art versorgt. Außerdem steht ein halbes Dutzend Spezialfahrzeuge bereit, Krisenzentren auf Rädern, in denen hochrangige Politiker Zuflucht finden können.

Das Oberkommando über die Sicherheitsmaßnahmen hat der Secret Service, denn der Parteitag in Boston ist - wie frühere nationale Parteitage auch - ein "National Special Security Event". Die Kosten werden insgesamt rund 50 Millionen US-Dollar betragen. Ebensoviel wird die Absicherung beim Parteitag der Republikaner kosten, der Ende August im Madison Square Garden mitten in New York City stattfindet. Man darf davon ausgehen, dass die dortigen Schutzmaßnahmen denen von Boston in nichts nachstehen werden. Allerdings dürften die Bewohner New Yorks anders als ihre Leidensgenossen in Boston etwas besser vorbereitet sein auf das, was sie erwartet. Schließlich fanden in New York City schon mehrfach nationale Parteitage statt.