Hohle Worte für die Kultur
Warum der Sonderfonds Kultur der Bundesregierung den wirtschaftlichen Opfern der Pandemiepolitik nicht helfen wird. Ein Kommentar
Am 11. November letzten Jahres kündigte Finanzminister Scholz (SPD) erstmals "Finanzhilfen für Veranstaltungen" an und befürwortete im selben Gespräch auch einen "Unternehmerlohn": "Ich will auch etwas für die Solo-Selbständigen tun."
Leider hat der Finanzminister seiner Aussage keine Taten folgen lassen, sie blieb eine leere Versprechung. So verweigerte sich die Regierungsmehrheit von CDU, CSU und SPD mehrfach den Anträgen der Bundestagsfraktionen der Linken, die zuletzt im Mai 2021 eine monatliche Pauschale für Soloselbständige und freie Künstler:innen mittels eines fiktiven Unternehmerlohns in Höhe von 1.200 Euro rückwirkend ab März 2020 gefordert haben, oder der Grünen, die mehrfach die Anrechenbarkeit eines Selbständigengeldes in gleicher Höhe gefordert haben.
"Nach wie vor fallen viele Soloselbständige aus der Kultur-, Veranstaltungs- und Medienbranche durch das Raster von Hilfsprogrammen und werden auf den sogenannten erleichterten Zugang in die Grundsicherungssysteme verwiesen", erklärte die kulturpolitische Sprecherin der Linke-Fraktion, Simone Barreintos, und verwies auf 319.952 Selbständige, die in Kunst und Kultur arbeiten. Als erstes Bundesland hat übrigens Baden-Württemberg unbürokratisch eine Art "Unternehmerlohn" für alle Soloselbständigen eingeführt.
Doch zurück zu Olaf Scholz. "Lassen Sie uns noch ein paar Tage Zeit", so der Minister im November 2020. In einem Schreiben an die Mitglieder der Fraktionen von SPD und CDU/CSU mit dem Betreff "Gesamtpaket für zielgerichtete Corona-Wirtschaftshilfen" vom 30. November 2020 stellten Finanzminister Scholz und Wirtschaftsminister Altmaier dann ihr Konzept eines "Sonderfonds für Kulturveranstaltungen" vor, der "die Veranstaltungswirtschaft stützen und ihr einen guten Neustart ermöglichen" solle:
Zum einen wird Kulturveranstaltungen, die wegen der Pandemie-Einschränkungen "nicht kostendeckend durchgeführt werden können", ein "Wirtschaftlichkeitsbonus" versprochen, zum anderen kündigen die Minister eine "Ausfallversicherung für Kulturveranstaltungen" an, "die für die Zeit ab Sommer 2021 geplant werden, aber dann coronabedingt doch abgesagt werden müssen".
"Wir wollen aufgrund der langen Vorlaufzeiten der Planungen Sicherheit geben, dass es wieder losgehen kann", so die beiden Minister. Bei einer Veranstaltung des von Bund und Land hochsubventionierten Hamburger Reeperbahn-Festivals Anfang Dezember ließ der verhinderte Finanzminister dann seine Staatssekretärin Bettina Hagedorn den neuen Corona-Fonds für die Veranstaltungswirtschaft mit einem Volumen von über zwei Milliarden Euro publikumswirksam verkünden.
Seitdem rätselt die Veranstaltungsbranche, was es mit diesem Sonderfonds wohl auf sich haben mag, und vor allem: Wann er endlich umgesetzt wird. Nun, aus den "paar Tagen Zeit", um die Scholz im November 2020 gebeten hatte, sind nur sechseinhalb Monate geworden, und vom "Unternehmerlohn" für Soloselbständige ist sowieso schon lange nicht mehr die Rede.
Mehr als 15 Monate ohne Einnahmen
Aber immerhin, den "Sonderfonds Kultur" für die Veranstaltungswirtschaft soll es nun endlich geben, wenn auch "mit maximaler Verspätung", wie der kulturpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Erhard Grundl, kritisierte, der dem Finanzminister "Bräsigkeit" vorwarf. Offensichtlich ist Olaf Scholz die Tatsache entgangen, dass die Konzertveranstalter und mit ihnen Hunderttausende Musiker:innen und Kulturarbeiter:innen, die von Veranstaltungen leben, seit Beginn der Pandemie nun schon mehr als 15 Monate praktisch ohne Einnahmen dastehen, die Unterstützung für eine Branche, die so sehr von Corona betroffen ist wie keine andere, also höchste Priorität haben sollte.
Doch wer angenommen hatte, dass das zuständige Finanzministerium nun mit gewaltiger Verspätung wenigstens Planungssicherheit schaffen würde, sieht sich aufs Neue getäuscht. Minister Scholz musste auf seiner Pressekonferenz einräumen, dass etliche Details immer noch ungeklärt sind.
Größtes Problem: Der Sonderfonds gilt erst ab dem 1. Juli 2021. Konzert- und Festivalveranstalter sowie die Branchenverbände haben seit Monaten öffentlich, aber auch in Gesprächen mit den zuständigen Ministerien immer wieder darauf hingewiesen, dass ihre Veranstaltungen eines Vorlaufs von etlichen Monaten bedürfen und dass die Festivalsaison nicht erst, wie es sich der SPD-Kanzlerkandidat vorzustellen scheint, im Sommer, also am 1. Juli, beginnt, sondern bereits im Mai, und dass der Großteil der bundesdeutschen Festivals eben im Mai und Juni stattfindet.
Doch man stieß beim Finanzminister auf taube Ohren, er saß das Problem schlicht aus - und so kommen nicht nur die Wirtschaftlichkeitshilfen für kleinere Veranstaltungen (bis 2.000 Besucher:innen), sondern auch die "Ausfallabsicherung" für größere Kulturveranstaltungen, die sogar erst ab dem 1. September greifen soll, für die allermeisten Festivals zu spät:
Ob das größte unabhängige Festival hierzulande, die legendäre "Fusion" an der Mecklenburgischen Seenplatte, die trotz detailliertem Hygienekonzept und einer vorbildlichen PCR-Teststrategie keine Genehmigungsperspektive seitens der Behörden erhielt, ob das "Juicy Beats" oder das stark von Weltmusik geprägte Rudolstadt-Festival, ob Open Air- oder Zeltfestivalreihen in Berlin, München ("Tollwood"), Freiburg oder Bochum oder die großen kommerziellen Festivals wie "Rock am Ring", "Hurricane" und "Southside" - sie alle mussten mangels einer politischen Entscheidungsgrundlage in Sachen planungssicherer Durchführbarkeit in Zeiten der Corona-Ära, aber auch und vor allem mangels wirtschaftlicher Unterstützung oder zumindest Absicherung durch die Bundesregierung abgesagt werden.
Die deutschen Musikfans müssen dank der Unfähigkeit der Bundesregierung und dank der Schlafmützigkeit des zuständigen Finanzministers diese Festivalsaison praktisch komplett in die Röhre schauen, und den Veranstaltern, Musiker:innen und Kulturarbeiter:innen entgehen erneut so dringend benötigte Einnahmen.
Veranstaltungen mit sicheren Verlusten
Hinzu kommen handwerkliche Unzulänglichkeiten, die etliche Fragen aufwerfen: Die Wirtschaftlichkeitshilfe beispielsweise soll die Verluste durch Hygieneauflagen auffangen, wenn wegen der Pandemie nur ein Teil der Tickets verkauft werden kann; bei Veranstaltungen mit weniger als 25 Prozent der Maximalauslastung "kann" der Sonderfonds Zuschüsse "bis zur Höhe der doppelten Ticketeinnahmen" vergeben – hört sich gut an, dann würden maximal 75 Prozent der eigentlichen Einnahmen zur Verfügung stehen.
Allein, wenn man sich vor Augen führt, dass die Gewinnmarge von Veranstaltungen zwischen vier und sieben Prozent beträgt, kann man sich unschwer ausrechnen, dass das Regierungsmodell die Veranstalter zwingen würde, Veranstaltungen mit von vornherein feststehenden Verlusten durchzuführen.
Olaf Scholz behauptet, dass damit sichergestellt werde, "dass bald wieder Theateraufführungen, Konzerte, Lesungen und Kinovorstellungen stattfinden können" – nun, zumindest was Konzerte und Festivals angeht, stellt die Bundesregierung höchstens sicher, dass die Veranstalter, die seit über fünfzehn Monaten praktisch ohne Einnahmen sind, in der zweiten Jahreshälfte 2021 Veranstaltungen anbieten "dürfen", bei denen beträchtliche Verluste vorprogrammiert sind.
"Das ist immer noch wenig", unkte dazu Kulturstaatsministerin Grütters (CDU), "aber vielleicht ist das dann wenigstens rentabel" - nein, werte Frau Grütters, das ist nicht wenig, sondern zu wenig, und es ist nicht "vielleicht" "wenigstens", sondern ganz sicher nicht rentabel.
Man fragt sich ja immer, wenn man derartige Stellungnahmen von Politiker:innen wie Herrn Scholz oder Frau Grütters hört, ob bei ihnen schlicht Ignoranz gegenüber der Realität zum Beispiel des Konzertgeschäfts oder doch einfach eine generelle Inkompetenz vorherrscht…
Besonderer Clou in den Ausführungsbestimmungen: "Ein Antrag auf Wirtschaftlichkeitshilfe kann nach Durchführung der Veranstaltung gestellt werden". Wirklich? Erst sollen die Veranstalter ihre beträchtlichen Investitionen tätigen, und nach Durchführung ihrer Veranstaltungen darf dann ein Antrag gestellt werden, über dessen Berechtigung dann die Kulturbürokratie erst noch befinden wird?
Und damit will die Regierung "der Kulturbranche wieder auf die Beine helfen"? Na vielen Dank auch – die Konzertveranstalter dürfen ins Risiko gehen, und eventuell wird ihnen im Nachhinein ein Teil des Verlustes erstattet …
Ähnlich problematisch sind die Details bei der "Ausfallabsicherung", mit deren Hilfe "Ausfall- oder Verschiebungskosten bezuschusst werden, sollte eine geplante Veranstaltung pandemiebedingt nicht stattfinden können". Allerdings: Der Ausfallfonds übernimmt lediglich "maximal 80 Prozent der entstandenen Ausfallkosten", was angesichts der bereits genannten einstelligen Erlösmöglichkeiten anders als bei den gängigen Ausfallversicherungen, die vor Corona in der Branche üblich waren, eben nicht ausreicht. Außerdem bleibt "völlig unklar, wie sich die Kosten für eine Veranstaltung errechnen" (Grundl), ob beispielsweise monatliche Fixkosten anteilig auf einzelne Veranstaltungen umgelegt werden dürfen.
Gigantischer Bürokratieaufwand
Was dagegen feststeht, ist – Überraschung! – ein gigantischer Bürokratieaufwand. Und den sollen die Länder stemmen. Sie sollen die Abrechnungen der Antragsteller überprüfen und deren Glaubwürdigkeit feststellen. Die Kriterien, nach denen dies geschieht, sind natürlich ebenfalls noch weitgehend unklar.
Doch wenn man nicht weiterweiß und auch nach über einem halben Jahr noch kein durchdachtes, praxisnahes Konzept hat, gründet man am besten eine Kommission. Die heißt im Fall des Sonderfonds Kultur "Lenkungsausschuss", seinen Vorsitz hat die Kulturstaatsministerin, neben Bund und Ländern wird auch der Deutsche Kulturrat in diesem Gremium vertreten sein – aber natürlich keine Praktiker, keine kompetenten Fachleute aus der Veranstaltungsbranche, deren Rat weiter verschmäht wird.
Tourneeveranstalter und Konzertagenten, die Konzertreisen internationaler Musiker:innen und Bands organisieren und so die von Olaf Scholz beschworene "kulturelle Vielfalt" ermöglichen und dafür sorgen, dass "unser Land bunt ist", kommen im Sonderfonds der Bundesregierung erst gar nicht vor - wie internationale, aber auch nationale Künstler:innen auf die staatlich unterstützten Kulturveranstaltungen kommen sollen, darüber hat sich in der Bundesregierung offensichtlich niemand einen Kopf gemacht.
Das allerdings nimmt im Grunde nicht wunder. Kulturstaatsministerin Grütters, die Großmeisterin schiefer Vergleiche, bezeichnet den Sonderfonds als ein "notwendiges Signal der Zuversicht: Das ist wirklich ein Geschenk an die Kultur in ganz Deutschland."
Wer in bester neofeudaler Manier dringend nötige wirtschaftliche Unterstützung einer seit über fünfzehn Monaten und absehbar noch mindestens ein weiteres halbes Jahr um ihre Existenz ringende Branche als sozusagen huldvoll gewährtes "Geschenk" bezeichnet, hat offensichtlich nicht einmal die einfachsten demokratischen Spielregeln verstanden. Da ist Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz fast schon ehrlicher: Er findet, dass der Sonderfonds für Kulturveranstaltungen "genau zur richtigen Zeit" komme.
Nur eben leider nicht für die Konzertbranche und die Festivalveranstalter, sondern vor allem für den Bundestagswahlkampf, für den sich der SPD-Spitzenkandidat Scholz, aber offensichtlich auch die CDU-Politikerin Grütters gewaltigen Rückenwind durch das 2,5 Milliarden starke Kulturpaket verspricht.
Wer will sich da schon mit den Details beschäftigen: Es kommt schließlich nicht auf die Kultur und die Kulturschaffenden, sondern auf die Wahlkampf-Schlagzeilen an…
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