Hollywood bleibt geschlossen
Nicht nur Terroristen und gesprengte Gebäude gelten in den Studios bis auf weiteres als tabu
Immer wieder wurden in den Fernsehnachrichten die Bilder vom Angriff auf New York und Washington als "wie aus einem Katastrophenfilm" beschrieben. Laut der Internet Movie Data base interviewte CNN Tom Clancy ("Clear and Present Danger", "Patriot Games", "Jagd auf Roter Oktober") zu den Ereignissen in New York, die dieser für einen weiteren Fall von "Life Imitating Art" hält.
Vielleicht tut es das nicht ganz in dem Sinn, den Clancy meinte: Eher schwer vorstellbar scheint nämlich, dass die Terroristen - gleich, welcher Couleur - ganz ohne die allgegenwärtigen Bilder aus den Hollywood-Katastrophenfilmen aufgewachsen sein sollen. Der erfolgreichste Effekt in Stirb Langsam von 1988 etwa war denn auch das von Terroristen zur Explosion gebrachte Hochhaus, das (vornehmlich männliche) Teenager weltweit in kollektive Bewunderungsausrufe einstimmen ließ. Dass sich ein Flugzeug, das sich in ein Hochhaus bohrt und explodiert, optisch ganz gut machen würde, ist leider eher leicht vorstellbar. Die Zwillingstürme des WTC hätten sich so gesehen schon deshalb ideal angeboten, da damit zumindest die zweite Attacke mit Sicherheit bestens dokumentiert werden würde. Und damit perfekt geeignet, die Bilder des Angriffs von den Medien unermüdlich weltweit verbreiten zu lassen.
Schon in den dreißiger Jahren hatte dieser "Life Imitating Art"-Effekt einmal unerwartete Auswirkungen gehabt: Die Mitglieder der sich zu Clans formierenden "Familien" in den Staaten suchten sich in Ermangelung anderer Vorbilder bei den "Helden" der Gangsterfilme die Anleitung für ihre Attitüden und Vorgehensweisen.
Offiziell würden die Hollywood-Macher solche Vergleiche zwar von sich weisen. Das Warner Brothers Studio teilte am Mittwoch seinen Beschluss mit, nicht nur den Filmstart von Collateral Damage, der am 5. Oktober anlaufen sollte, auf unbestimmte Zeit zu verschieben, sondern auch, jede Werbung dafür wieder zu entfernen - eine bis dahin noch nicht dagewesene Maßnahme. Der Film handelt von einem Feuerwehrmann (Arnold Schwarzenegger), der die Terroristen aufspüren will, die seine Familie getötet haben.
Die Filmemacher haben sich einstweilen darauf geeinigt, dass Filme mit Terroristen-Themen in nächster Zukunft generell gestrichen werden sollen. MGMs "Nosebleed" mit Jackie Chan in der Hauptrolle wird "definitiv nicht so aussehen, wie er ursprünglich geschrieben wurde": Chan sollte einen Fensterputzer des World Trade Center spielen, der von einem Terroristenplan, die Freiheitsstatue zu zerstören, Wind bekommt.
Während einige der amerikanischen Fernsehproduzenten am Mittwoch wieder ihre Arbeit aufgenommen haben, bleiben die Filmproduktionsstudios geschlossen oder haben zumindest ihren Drehplan weiter verschoben. Dass in Hollywood noch lange nicht alles wieder beim Alten ist, zeigte auch das wöchentliche Filmmeeting bei William Morris, das normalerweise 90 Minuten dauert. Diesen Mittwoch war es nach zehn Minuten wieder zu Ende: "Nicht ein einziges berufliches Gespräch wurde geführt", so einer der Anwesenden, "die ganze Zeit haben wir nur über die Tragödie geredet".
Aber auch die Fernsehsender warfen, ähnlich wie in Deutschland, vorübergehend alle Unterhaltung aus ihren Programmen, um stattdessen Life-Berichterstattung rund um die Uhr liefern zu können - werbefrei, versteht sich. Die Herbst-Saison, die nächste Woche beginnt - traditionell die lukrativste des Jahres -, bereitet Kopfzerbrechen: Eine der viel versprechendsten neuen Serien, The Agency handelt von CIA-Agenten, die in der ersten Folge Pläne vereiteln, das Londoner Harrods-Kaufhaus in die Luft zu sprengen.
Dass hinter der echten Ergriffenheit der Studio- und TV-Bosse angesichts der grauenhaften Ereignisse aber auch die ein oder andere nüchterne kommerzielle Überlegung liegt, formuliert Produzent John Davis (Daylight) so: "Wenn es einmal nicht mehr Fantasie ist, sondern Realität geworden ist , hört es einfach auf, unterhaltsam zu sein."