Homosexualität ist eine Entwicklungsstörung!
Sagt zumindest ein CDU-naher Verein in Sachsen-Anhalt
Homosexualität ist eine Krankheit: bis 1992 war das die offizielle Ansicht der Weltgesundheitsorganisation. Dann wurde sie aus der International Classification of Diseases (ICD) gestrichen. Heute käme kein ernst zu nehmender Wissenschaftler mehr auf die Idee, Homosexuelle als krank anzusehen. Doch einen kleinen Verein in Sachsen-Anhalt kann das nicht beirren – die Gesellschaft für Lebensorientierung in Sachsen-Anhalt, kurz LEO e.V., bietet Seminare an, durch die Schwule und Lesben sich von ihrer "Störung" befreien lernen sollen. Das Pikante: Der Verein ist eng mit der CDU verbunden.
Wie Recherchen der ARD-Sendung FAKT gestern zeigten, ist es mit der viel gepriesenen Toleranz der CDU gegenüber Homosexuellen offenbar zumindest in einigen Teilen der Partei nicht weit her. Hochrangige Mitglieder der CDU in Sachsen-Anhalt haben sich dort in einem Verein versammelt, der Homosexualität als psychische Störung begreift, die geheilt werden kann.
Gründer des Vereins ist der ehemalige CDU-Landtagsabgeordnete Bernhard Ritter, ein Pastoralpsychologe und ehemals bildungspolitischer Sprecher seiner Partei. Ritter sieht sich selbst offenbar als Fachmann für Homosexualität. In seinem Buch "Eine andere Art zu lieben?" schreibt Bernhard Ritter: "Wir sehen in jeder Form der Homosexualität eine Entwicklungsstörung. Deshalb halten wir den Rat, Homosexualität als eine normale Gegebenheit im Leben zu akzeptieren und entsprechend zu leben, für schädlich und verantwortungslos."
Bernhard Ritter fiel schon als Landtagsabgeordneter mit kruden Thesen zu Homosexualität auf. In einer Anhörung zum Abbau von Diskriminierung gleichgeschlechtlich Lebender im Landtag von Sachsen-Anhalt sprach Ritter, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch Landtagsabgeordneter, für seinen LEO e.V. über die Heilung von Homosexuellen: "Ein Großteil der homosexuell fühlenden Menschen empfinden den Widerspruch zwischen ihrer biologischen Geschlechtsdeterminierung und ihrem erotischen Empfinden als individuelles Leiden."
Und diesen Leidenden will Ritters LEO e.V. helfen. Der Maßstab für eine erfolgreiche Therapie, so erklärte Ritter damals gemäß dem Sitzungsprotokoll, liege "darin, daß eine Person zu einem stabilen heterosexuellen Empfinden gefunden hat und darin lebt". Von der in der Wissenschaft vorherrschenden Meinung, dass die sexuelle Orientierung eines Menschen weder eine Störung noch für eine Therapie zugänglich ist, will der Pastoralpsychologe nichts wissen – bis heute.
Laut Seminarunterlagen, die an die Teilnehmer ausgereicht werden, entsteht Homosexualität in drei Schritten. Zunächst kommt es zu "einer negativen minderwertigen Selbstsicht". Ein Junge klagt demnach darüber, gar kein "richtiger" Junge zu sein und nicht zu den anderen Jungen dazuzugehören. Bei Mädchen verlaufe es analog. Im zweiten Schritt folgt dann die Bewunderung derer, die als "richtige" Jungs oder Mädchen gesehen werden. "So kommt es zu Schwärmereien und Idolisierungen, zur Ausprägung von zwanghaften Faszinationen zum eigenen Geschlecht." Als letzter Schritt folgt nach Ritter in der Pubertät die "Erotisierung der bewunderten Idole"
Gelernt hat Ritter seine Theorien bei Gerard van den Aardweg, der auch im wissenschaftlichen Beirat des LEO sitzt. Er empfiehlt Homosexuellen zur Heilung eine Art verbaler Selbstgeißelung, um die Minderwertigkeitskomplexe, die die Homosexualität angeblich auslösen, zu bekämpfen. Ein Beispiel aus seinem Buch "Das Drama des gewöhnlichen Homosexuellen":
Ich habe große Lust, dich zum Fenster hinauszuwerfen, dort unten in die Dornenbüsche, und das tue ich jetzt auch! Hier bekommst du eins mit einem Rohr aus Blei über. Da hast du einen Fußtritt, dass du mitten durchbrichst.Jetzt schütte ich dir Benzin über den Kopf, und dann machen wir ein Feuerchen.
Derartige "Therapien" jedoch, da sind sich Experten einig, untergraben das Selbstwertgefühl der so Behandelten und können dramatische psychische Folgen haben – bis hin zu Selbstmordgedanken. Der Weltärztebund hat daher im Oktober 2013 in Brasilien klargestellt, dass Homosexualität keine Krankheit ist. Therapien gegen die sexuelle Ausrichtung seien unwirksam und könnten sich sogar negativ auf die Gesundheit auswirken, warnt der Weltärztebund. ] Auch die CDU-geführte Bundesregierung äußerte sich schon 2008 deutlich: "Die Bundesregierung vertritt weder die Auffassung, dass Homosexualität einer Therapie bedarf, noch dass Homosexualität einer Therapie zugänglich ist."
Das hält führende CDU-Politiker jedoch nicht davon ab, sich im Kuratorium des LEO e.V. zu engagieren. Zum Beispiel Christoph Bergner, ehemals Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Als Fraktionsvorsitzender der CDU im Landtag war er der Vorgesetzte von Vereinsleiter Ritter. Er habe Ritters Thesen von der Heilbarkeit von Homosexualität immer widersprochen, erklärt Bergner auf Anfrage. Es habe für ihn jedoch nie einen Anlass gegeben, eine Mitgliedschaft bei LEO abzulehnen, zumal Ritter "mit seiner pastoralpsychologischen Arbeit vielen Menschen helfen konnte, unter ihnen auch einzelnen Homosexuellen." Bergner ist derzeit Bundestagsabgeordneter, bis zum Regierungswechsel war er zudem Staatssekretär beim Bundesinnenministerium.
Ebenfalls im Kuratorium ist der aktuelle Fraktionsvorsitzende der CDU im Landtag von Sachsen-Anhalt, André Schröder. Er gibt an, von den Thesen des LEO zur Homosexualität und von Therapieangeboten nichts gewusst zu haben. Er selbst halte Homosexualität nicht für eine Krankheit. Jedoch solle LEO nicht auf wenige kontroverse Thesen, wie sie einzelne Mitglieder verträten, reduziert werden. Das würde dem Verein Unrecht tun. Damit spricht Schröder Angebote wie gemeinsames Brotbacken oder Töpferei in einer vereinseigenen Töpferwerkstatt an.
Die Logik des Fraktionsvorsitzenden, dass über steile Thesen zur Homosexualität hinweggesehen werden solle, nur weil der Verein auch harmlose Freizeitangebote im Programm hat, stößt bei der Opposition auf wenig Verständnis. Der innenpolitische Sprecher der Grünen in Sachsen-Anhalt, Sebastian Striegel, twitterte: "In Bennungen bei LEO heißt es wahrscheinlich: "Wo man bäckt, da lass dich ruhig nieder. Schwule Bäcker kennen keine Lieder." Die Linke hat bereits eine aktuelle Debatte zu den Umtrieben der CDU in Sachsen-Anhalt beantragt. CDU-Fraktionschef Schröder dürfte angesichts seines Plans, weiterhin bei LEO zu bleiben, stark unter Druck geraten.