Houston, wo sind die Apollo-Filme?
Weltraumveteranen suchen seit Jahren vergeblich nach den Originalfilmen der sechs Apollo-Mondlandungen
Die ganze Angelegenheit ist eigentlich an Peinlichkeit kaum zu überbieten. Da verschwindet das bedeutendste Filmdokument der Menschheitsgeschichte auf Nimmerwiedersehen aus einem amtlichen NASA-Archiv, und keiner weiß, wohin die unschätzbar wertvollen historischen Originale der sechs Apollo-Landungen gewandert sind. Doch damit nicht genug. Anstatt eine offizielle Suche einzuleiten, übernahm ein Team von hoch betagten NASA-Veteranen die Arbeit der US-Raumfahrtbehörde – in Eigenregie und auf Eigenkosten. Angesichts des filmreifen Malheurs fühlen sich die Moon-Hoax-Anhänger in ihrer Skepsis nunmehr bestärkt – allerdings zu Unrecht, wie ein deutscher DLR-Physiker anmerkt.
"It's one small step for man, one giant leap for mankind“, sagte am 20. Juli 1969 der Apollo-Astronaut Neil Armstrong bei seinen ersten Schritten auf dem Mond mit schauspielerischer Leichtigkeit ins Helmmikrofon. Was seinerzeit wie ein spontaner Gefühlsausbruch wirkte, war in Wirklichkeit eine im Vorfeld abgesprochene Äußerung: ein präparierter Spruch für die Geschichtsbücher.
Doch trotz der epochalen Dimension der Apollo-11-Mission nimmt es die US-Raumfahrtbehörde NASA mit ihren historischen Quellen offenbar nicht ganz so genau. Spätestens seit dem rätselhaften Verschwinden der Blaupausenoriginale der Saturn-V-Mondrakete ist in den NASA-Archiven der Wurm drin. Im Archiv des Marshall Space Flight Center (MSFC) in Huntsville/Alabama sind sie nur noch als Mikrofilm einsehbar, was für Raumfahrthistoriker nur ein schwacher Trost sein dürfte.
Auf Nimmerwiedersehen
Bei alledem nagt der mahlende Zahn der Zeit unverdrossen an den Dokumenten. Mal segnen wichtige NASA-Unterlagen frühzeitig das Zeitliche, vergilben und schimmeln vor sich hin oder verschwinden ganz einfach auf Nimmerwiedersehen – wie jüngst die Originalbänder der sechs bemannten Mondlandungen. "Wir haben die Bänder seit einer ganzen Weile nicht gesehen, wir haben über ein Jahr nach ihnen gesucht – und sie sind nicht aufgetaucht", musste der NASA-Sprecher Grey Hautaloma vor einigen Wochen eingestehen. Genau genommen vermisst die NASA mehr als 13.000 Originalbänder, auf denen einmalige Live-Szenen der Mondmissionen verewigt sind.
Und von den unauffindbaren Filmspulen mit einer durchschnittlichen Bandlänge von 15 Minuten, die auf 698 Kisten verteilt sind, gibt es noch nicht einmal ein einziges digitalisiertes Duplikat. „Alleine von der Apollo-11-Mission gibt es drei Boxen, in denen 15 Filmrollen gelagert sind. Sie erzählen die ganze Geschichte der Mission“, sagt Stan Lebar aus Westinghouse. Der 81jährige Rentner weiß, wovon er redet. Zu Apollo-Zeiten fungierte er als Programm-Manager für die TV-Mondkamera der sechs bemannten Missionen. Heute zählt er zu einem mehrköpfigen unabhängigen Team aus amerikanischen und australischen Weltraumveteranen, das im Rahmen des "Lunar Data Project" seit knapp vier Jahren u.a. auch nach dem heiligen Gral des Apollo-Programms fahndet.
Staubige Regale
Ursprünglich wollten die Rentner die antiquarisch hochsensiblen Magnetbänder auf den alten NASA-Geräten abspielen und mit einer modernen Kamera digitalisieren. Doch stattdessen mussten die NASA-Veteranen im Archiv des Goddard Space Flight Center (GSFC) in Greenbelt (US-Bundesstaat Maryland) den Staub von den Regalen kratzen. Von den historischen Filmrollen nicht den Hauch einer Spur.
Dass die NASA in der Vergangenheit das bedeutendste Filmdokument der Geschichte nicht digitalisierte, hat nach Ansicht des Kölner Astrophysikers und Raumfahrtexperten Prof. Hans-Joachim Blome von der Fachhochschule Aachen nachvollziehbare Ursachen:
Nach dem abrupten Ende des Apollo-Programms landeten die ganzen Bänder in den NASA-Archiven, ohne dass sich hierfür jemand großartig interessierte. Auch viele Rohdaten von interplanetaren Missionen sind bis heute nicht komplett analysiert, meist aus Kostengründen oder wegen eingesparten Personals.
Geisterhafte TV-Bilder
Jetzt jedenfalls rätseln die Freizeitforscher über den Verbleib der Spulen – und die NASA mit ihnen. Immerhin ist aktenkundig, dass das Material im Jahr 1970 zum GSFC und anschließend zum US-Nationalarchiv NARA und erneut zurück nach Maryland gesandt wurde. Wohin es von dort wanderte, ist unklar. Aber die Suche lohnt offensichtlich. „Die Qualität ist drei- bis viermal besser als wir jemals gesehen haben“, schwärmt Lebar. Tatsächlich klaffen zwischen den Originalfilmen und den laufenden Bildern, die im Juli 1969 über die Fernseher flackerten, in punkto Tiefenschärfe Welten. „Auf einem sieht man sogar, wie sich die Gestalt von Armstrong auf dem Helmvisier von Buzz Aldrin spiegelt“, so Lebar.
Doch die hochaufgelösten Bilder, die 1969 vom Erdtrabanten zu den drei Empfängerstationen des Deep Space Network (DSN) in Kalifornien (Goldstone) und Australien (Honeysuckle Creek und CSIRO Parkes) gefunkt wurden, sahen bis heute nur wenige Eingeweihte. Was seinerzeit über die DSN-Monitore flimmerte, ging nicht über den Äther. Die geister- und schemenhaften Bilder dagegen, die weltweit in die Fernsehkanäle gespeist wurden, waren dem antiquierten technischen Equipment der NASA zu verdanken: Es war nicht kompatibel mit der damaligen Fernsehtechnik.
Um dem Geschehen auf dem Mond Konturen zu geben, musste die NASA daher vor einem der DSN-Monitore eine Fernsehkamera placieren, welche die Originalbilder abfilmte. Auf den Mattscheiben daheim flimmerte somit nur eine Kopie des Originalbildes – und eine schlechte obendrein. „Die Originalbänder spielten in Australien zehn Bilder pro Sekunde“, sagt Lebar. „Aber das Fernsehen brauchte dafür 60 Bilder pro Sekunde, so dass jedes Bild sechsmal wiederholt wurde. Die Zuschauer sahen Geisterbilder.“
Moon-Hoax?
Angesichts der filmreifen Vorkommnisse sieht sich die NASA erneut dem bösen Geist der „Mondlandungslüge“ gegenüber, deren Anhänger nach wie vor behaupten, die Apollo-Mondlandungen seien allesamt auf hollywoodmäßige Art und Weise in finsteren Militärhangars inszeniert und gefilmt worden. Derweil artikulieren Moon-Hoax-Befürworter in diversen Internetforen ihren Unmut über das peinliche Verschwinden der Bänder und fühlen sich in ihrer Skepsis bestärkt.
Zu den Zweiflern zählt auch der deutsche Sachbuchautor Gernot L. Geise, für den die Apollo-Mondlandungen eine „dunkle Seite“ haben. „Es ist schon merkwürdig, dass der Verlust von einmaligem Datenmaterial so an die große Glocke gehängt wird. Normalerweise dürfte man annehmen, dass ein solches Vorkommnis still und leise unter den Teppich gekehrt wird, um eine Blamage zu vermeiden“. Man könne in diesem Vorgang, so Geise gegenüber Telepolis, durchaus eine gezielte Aktion sehen, um bei kritischen Nachfragen sagen zu können, das Originalmaterial sei leider alles vernichtet. „Wenn man eine Verschwörung unterstellt, könnte die Meldung deshalb zeitlich verzögert worden sein, dass es für die Rettung der Daten auf jeden Fall zu spät ist, sofern sie noch aufgefunden werden. Solche Manipulationen würde man jedoch nur machen, wenn man etwas verschleiern will.“
Kein Moon-Hoax
Spekulationen dieser Art erteilt Thomas Eversberg vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR jedoch eine klare Absage.
Wie auch immer die NASA vorgeht, ob sie eines Tages das endgültige Verschwinden Fehlen der Bänder eingesteht oder dieselben irgendwann wieder vorlegt - für die Anhänger der "Moon-Hoax-Theorie" macht dies keinen Unterschied. Sie werden auch weiterhin behaupten, dass die sechs Missionen zum Mond in irgendwelchen irdischen Studios abgedreht wurden.
Für den DLR-Physiker, der die Argumente der Verschwörungstheoretiker allesamt kennt, ist die NASA nicht in der Bringschuld.
„Die Moon-Hoax-Befürworter müssen stichhaltige Beweise vorlegen. Dies ist aber nicht der Fall. Jedes ihrer Argumente kann Punkt für Punkt widerlegt werden." Die Apollo-Missionen seien ebenso wie der Fall der Berliner Mauer heute nur Geschichte, so Eversberg. Und die Wahrheit über ein historisches Ereignis lasse sich eben mittels einer naturwissenschaftlichen Methodik nicht nachweisen. „Wie will man etwa beweisen, dass die Berliner Mauer jemals gestanden hat, wenn ihnen sofort vorgehalten wird, dass alle Bilder, Filme gefälscht und alle Zeugenaussagen manipuliert worden sind."
Hilfe aus Bochum
Übrigens könnte die Sternwarte Bochum der US-Raumfahrtbehörde NASA bei der Suche nach den Magnetbändern mit Originalaufnahmen der Mond-Missionen behilflich sein. „Wir haben als eine der wenigen Stellen weltweit Rohmaterial, also keine Kopien von der Kopie, sondern direkte Aussendungen vom Mond. Sie sind bei uns in Bochum auf Magnetbänder gebannt worden“, sagt der Direktor der Sternwarte Bochum (Institut für Umwelt- und Zukunftsforschung), Thilo Elsner.
Von der ersten Mondlandung, der Apollo-11-Mission, habe man jedoch nur Ton-Mitschnitte. „Wir haben von Apollo 15 und folgenden Missionen Bilder. Wir konnten aber natürlich nur dann aufnehmen, wenn das Raumschiff oder der Mond über Bochum sichtbar war und unsere 20-Meter-Parabolantenne somit Empfang hatte.“ Dennoch sei das Bochumer Material sicherlich historisch wertvoll und für die NASA interessant, sollten die Original-Aufzeichnungen verschollen bleiben. Insgesamt habe man 100 bis 150 Zwei-Zoll-Bänder, unter denen sich die Mitschnitte der Apollo-Missionen befinden.
Zeit drängt
Auch wenn nach NASA-Angaben alle anderen Daten in der einen oder anderen Form in Rundfunkarchiven vorliegen, befinden sich die qualitativ hochwertigen Primärfilme nunmehr auf einer Odyssee mit unbekanntem Ausgang. Für Lebar Grund genug, sich in Galgenhumor zu üben: „Die Apollo-Filme sind nicht verloren. Wir haben sie nur noch nicht gefunden.“
Doch die Zeit drängt. Schließlich soll das "Data Evaluation Lab" (DEL) am GSFC aufgrund finanzieller Probleme schon im Oktober 2006 geschlossen werden. Hier, wo das letzte Labor mit Abspielmöglichkeiten für die Apollo-Magnetbänder steht, könnte sich das Schicksal der lunaren Originalaufnahmen entscheiden. Doch selbst wenn die Spulen demnächst wieder auftauchen, ist es mehr denn fraglich, ob diese sich infolge der fehlerhaften Lagerung überhaupt noch abspielen lassen. Auch die „Zeit“ könnte längst an den Abspielgeräten genagt haben.
Hans-Joachim Blome, der zwei Jahre lang in Houston bei der NASA arbeitete und auch in den NASA-Archiven recherchierte, schließt nicht aus, das das Verschwinden der NASA-Bänder möglicherweise auch auf mangelnde Sorgfalt beim Archivieren zurückzuführen ist:
Die Filme können schlichtweg von unachtsamen Mitarbeitern in den NASA-Bibliotheken verlegt, fehlerhaft katalogisiert oder vielleicht sogar von unredlichen Mitarbeitern gestohlen worden sein. Vielleicht tauchen die Streifen irgendwann auf einem US-Flohmarkt in Paris/Texas wieder auf.