Von Stasi bis AfD: Die unvergänglichen Klischees über Ostdeutschland

Ostdeutschland wird von westdeutschen Medien immer noch mit Klischees beschrieben.

Wahlen im Osten sorgen für mediale Aufregung. Reporter westdeutscher Medien schwärmen aus, um die Stimmung zu erkunden. Was sie finden, erinnert an alte Vorurteile.

Gleich in drei ostdeutschen Bundesländern wurde vor Kurzem gewählt. Aus Sicht westdeutscher Leitmedien auch noch gänzlich falsch. Und dann waren da noch die üblichen Gedenktage an die Leipziger Montagsdemo und den Tag der Deutschen Einheit, der heute an den Mauerfall.

Es wurde also in den vergangenen Monaten ausnahmsweise mal wieder aus dem Westen in den Osten geblickt – zahlreiche Reporter aus Hamburg, München und Köln "erkundeten die Stimmung" zwischen Ostsee und Erzgebirge. Eine Redakteurin der Berliner Zeitung kommt sich vor wie bei einer "Zooführung", ein Kollege des Deutschlandfunks fühlte sich eher an "Ethnologen in der Südsee" erinnert.

Was dabei auffällt: Längst überwunden geglaubte Stereotype werden 35 Jahre nach der Wende wieder ausgepackt. So ging der Hamburger Filmemacher Jan Lorenzen für die ARD auf Spurensuche in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Der Fremdblick beginnt in: "Die große Angst – Zukunft in Ostdeutschland?" bereits mit dem Titel. Und geht mit dem allerersten Bild weiter: natürlich ein Wahlplakat mit dem Konterfei von Björn Höcke. Der Geschichtslehrer aus Hessen hat es zum prominentesten Thüringer gebracht.

ARD und ZDF auf Spurensuche in Ostdeutschland – mit fragwürdigen Methoden

Ansonsten dominieren in dem Film im ERSTEN Plattitüden: "Auch Brandenburg wird sich verändern", "Neue Bündnisse sind kaum berechenbar" und "Der Druck in der Gesellschaft steigt." Gezeigt werden "Bilder die Angst machen", "der Ton wird rauer", die Entwicklung betrachtet man "mit Sorge" und es drohe eine "Katastrophe". Dazwischen gibt es "beklemmende Musik" oder "unheilvolle Musik", wie es in den Untertiteln heißt. Es folgen Suggestivfragen, zum Beispiel an eine Bürgermeisterin: "Wie groß ist ihre Angst, dass es kippt?" Was soll man da schon sagen?

Für das ZDF "reist Eva Schulz in die drei Bundesländer", wie es in der Pressemitteilung des Senders heißt. Schulz wurde im Jahr der Einheit im Münsterland geboren. Sie nennt gleich die ganze erste Folge nach dem hessischen Geschichtslehrer: "Wie Thüringen wirklich über Höcke denkt" und fragt darin, dabei den Zuschauer direkt anschauend: "Was ist da los in Thüringen?" Befragt wird als Experte ein Journalist, der den Ostdeutschen ein "Transformationstrauma" bescheinigt. Nur, warum wählen in Österreich, den Niederlanden und Italien die Menschen ähnlich – sind da auch die "Umbrüche nach der Wende" Schuld?

Auch in der zweiten Folge "Wie Sachsen zerreißt" stellt Schulz viele Behauptungen auf, statt Fakten zu liefern: "Das politische Klima ist in den letzten Jahren merklich rauer geworden." Und Andersdenkende "leben in Sachsen besonders gefährlich." Auch hier gibt es Suggestivfragen wie diese: "Würdest du sagen, die deutsche Gesellschaft ist gut darin, sich in Leute reinzuversetzen, die anders sind?" Erwartbare Antwort: "Nein." Dann singt jemand unvermittelt "Ich habe Angst". Schulz vermittelt zudem den Eindruck, ein Bürgermeister sei durch seinen AfD-Gegenkandidaten und dessen Anhänger zum Suizid gedrängt worden.

Übrigens erhalten Eva Schulz und Jan Lorenzen für ihre Filme am 14. November in Hamburg den renommierten Hanns-Joachim-Friedrich-Preis.

Fehlende ostdeutsche Perspektiven in den Leitmedien

Was derzeit fehlt, ist ein Gegengewicht zu westdeutschen Leitmedien mit westdeutschen Chefredakteuren. Die Berliner Zeitung versucht seit fünf Jahren, die neue Stimme des Ostens zu sein. Einige ihrer Methoden sind dabei umstritten. So wurde Egon Krenz als Gastautor engagiert. Meine persönlichen Erinnerungen an die Demonstrationen in Leipzig im Oktober 1989 decken sich nicht mit denen des Ex-Staatschefs der DDR.

Befremdlich finde ich aber auch, wie der Spiegel über den Osten schreibt. Das Hamburger Magazin ist Wiederholungstäter. "Milliardengrab Aufschwung Ost", "So isser der Ossi" oder "Jammertal Ost" lauteten Titel vergangener Jahre. Doch im Juli 2024 heißt es im Newsletter noch immer: "Die Bewohner der Bundesländer Thüringen, Brandenburg und Sachsen haben im September bei den Landtagswahlen die große Chance, ihren Ruf endgültig zu verlieren."

Zwei Wochen später wird die "Lage am Morgen" überschrieben mit: "Oh, wie braun ist Thüringen." Im September folgt eine als Satire bezeichnete "Wählerbeschimpfung". Darin spricht Florian Schröder vom wertlosen Viertel des Landes, empfiehlt Ossis die (Re-)Migration nach Ungarn und Russland und nennt sie "Mondkälbchen", also missgebildete Kühe.

Vor kurzem hat sich der Spiegel die Berliner Zeitung vorgenommen. Über den Herausgeber Holger Friedrich heißt es: "Er gründete seine eigene Unternehmensberatung Core, besitzt einen Ferrari, eine Villa am Wannsee und ein Anwesen auf einer griechischen Insel." Warum wird das erwähnt? Dürfen das nur westdeutsche Verleger? Dürfen ostdeutsche Verleger nur mit dem Skoda auf die Datsche fahren?

Aber es gibt auch inhaltliche Kritik: Mit der AfD "scheint die Zeitung wenig Berührungsängste zu haben." Scheint? Es könnte daran liegen, dass 29,2 Prozent in Brandenburg AfD gewählt haben. Zudem seien Corona-Artikel "von eifrigem Skandalisierungswillen getrieben." Der Skandalisierungs-Vorwurf klingt aus dem Munde des Spiegel skurril. Und es würden Texte ins Auge stechen, "die im Kreml wohl wenig Widerspruch erzeugen würden". Wie viele Artikel des Spiegel "wohl" in Kiew "wenig Widerspruch erzeugen"?

Stasi-Vorwurf als Totschlagargument – der Dauerbrenner kolonialer Berichterstattung

Eines der westdeutschen Stereotype über den Osten ist die allgegenwärtige Staatssicherheit. Der Stasi-Vorwurf als Totschlagargument ist ein Dauerbrenner kolonialer Berichterstattung. Ich dachte, er ist längst ausgestorben und nicht mehr relevant. Doch die Stasi ist ein Evergreen, quasi die Lindenstraße der Nachrichten.

"Der Kampfauftrag damals lautete: fahr mal rüber und bring uns Sportler und Sportfunktionäre auch Trainer, die entweder eine Stasi-Geschichte haben oder eine Doping-Geschichte haben oder idealerweise beides", erzählt Hajo Schumacher, zwischen 1990 und 2000 Spiegel-Redakteur in der MDR-Doku "Es ist kompliziert – der Osten in den Medien." Das scheint unverändert zu gelten. Nur aus Doping ist die AfD geworden. Oder das Bündnis Sahra Wagenknecht.

"Wieviel Stasi steckt im BSW?" titelte Correctiv drei Tage vor den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen. Laut des Artikels hätten fünf der 840 BSW-Mitglieder eine "Stasi-Vergangenheit", für Correctiv sind das "überraschend viele". Drei der fünf leisteten ihren Wehrdienst bei einer "Stasi"-Wacheinheit ab. Einer von ihnen ist seit 34 Jahren bei der sächsischen Polizei, arbeitet inzwischen verbeamtet im CDU-geführten Innenministerin, wurde mehrfach überprüft. Er kandidiert auf Listenplatz 18.

Correctiv ist das Recherchenetzwerk in Essen, welches im Januar über das Geheimtreffen von Funktionären von AfD, CDU und Wertunion mit einem österreichischen Rechtsextremen in einer Villa bei Potsdam berichtete. Später musste es vor Gericht einräumen, dass man doch nicht belegen könne, dass dort über die millionenfache Remigration deutscher Staatsbürger mit ausländischen Wurzeln diskutiert wurde, wie anfangs eindeutig suggeriert wurde. Correctiv erhielt aus verschiedenen Quellen in den vergangenen Jahren 2,5 Millionen Euro an Steuergeld. Seine Artikel stellt es anderen Medien kostenlos auf seiner Homepage zur Verfügung.

Das Medienecho auf den Stasi-Beitrag ist überschaubar: Focus und t-online übernehmen die Recherche. Junge Welt und Tichys Einblick machen sich in seltener Eintracht über die "Enthüllung" lustig.

Doch einen Tag später legt Correctiv nach: "Die Stasi-Riege in der AfD". Sechs Reporter haben daran gearbeitet. Demnach kandidiert auf Listenplatz 57 ein Mann, der für den Stasisportverein Dynamo Berlin aktiv war. 40 Sitze hat die AfD im sächsischen Landtag errungen. Dass es 57 werden könnten, war von vornherein nahezu ausgeschlossen. Wozu dann der reißerische Text?

Einer der Autoren ist Marcus Bensmann. Der teilte im Juli diesen Tweet auf X: "Dann sollten wir lieber über eine Trennung nachdenken. Es kann nicht sein, dass eine Mehrheit der ehemaligen DDR-Bürger, die nur 1/6 der Gesamtbevölkerung stellen, mit der Westbindung das Erfolgsmodell der Bundesrepublik zerstören. Die Tschechoslowakei hat es vorgemacht." Eine Anspielung auf die Trennung des Landes 1992 in die beiden Staaten Tschechien und Slowakei. Der Mann wünscht sich also die Mauer zurück.

Was wohl Jeannette Gusko darüber denkt? Seit zwei Jahren ist sie Geschäftsführerin bei Correctiv. Sie ist nebenbei aber auch Sprecherin des Netzwerks 3te Generation Ostdeutschland. Auf der Seite "Wir sind der Osten", der sich für die Förderung Ostdeutscher einsetzt, sagt sie: "Die mediale (Nicht-)Berichterstattung mit ostdeutschen Stereotypen und Abwertungen ist befremdlich." Es wäre an der Zeit, diese Absichtserklärung in ihrem eigenen Laden einmal umzusetzen.

Deutschlandfunk mit unbewussten Abwertungen des Ostens

Von unbewussten Abwertungen ist selbst der von mir sehr geschätzte Deutschlandfunk nicht frei. Zum Tag der Deutschen Einheit 2024 spricht der Moderator in den "Informationen am Abend" beharrlich von einer "Ehekrise". Das Bild ist schief. Denn bei einer Ehe vereinen sich in der Regel zwei gleichberechtigte Partner miteinander. Davon kann bei der Deutschen Einheit allen Historikern zufolge keine Rede sein.

Doch der Moderator fährt fort: "Den Unmut, den Frust" bekämen "die etablierten, die demokratischen Parteien im Osten des Landes immer wieder auf den Stimmzetteln zu spüren." Aber kann eine legale Partei, die auf dem Stimmzettel steht, überhaupt undemokratisch sein? "Etliche Menschen dort" würden sich "teils sogar die DDR" zurückwünschen. Ich bin viel in Potsdam, Jena und Leipzig unterwegs und kenne keinen einzigen.

Am 8. August 2023 spricht der Moderator in Köln in "Das war der Tag" anlässlich der Intel-Ansiedlung konsequent von Magdeburch. Wie kann man eine Landeshauptstadt dreimal falsch aussprechen? Würde der Moderator auch Augsburch, Freiburch oder Duisburch sagen? Und falls ja, gäbe es da Zuschauerproteste?

Einen Tag zuvor, wieder "Das war der Tag" im Deutschlandfunk. Die Fraktionsvorsitzende der Linken, Amira Mohamed-Ali, hat ihr Amt niedergelegt. Der Moderator spricht mit dem Politikwissenschaftler Gero Neugebauer. Der hat in Hamburg studiert, in Westberlin gelehrt und ist heute 83 Jahre alt. Frage: "Die alten SED- und Stasikader sterben langsam aus – wer wählt noch die Linken?"

Die Linke ist also in der Wahrnehmung des Moderators eine reine Ostpartei, die nur von Ewiggestrigen gewählt wird. Neugebauer widerspricht aber nicht etwa, sondern pflichtet bei. Das unterschlägt, dass die Linke auch im Westen in sieben Landesparlamenten saß oder sitzt. Zur Bundestagswahl 2017 bekam sie fast zwei Drittel ihrer Stimmen im Westen. Im Gegensatz zur Vermutung von Moderator und "Experten" wurde die Linke überproportional von Jüngeren gewählt. Vielleicht hätte man mal jemanden fragen sollen, der sich damit auskennt.

Tagesschau-Podcast "11km" – Behauptungen ohne Belege

Auch die Tagesschau steht gemeinhin für die Verbreitung seriöser Informationen. Doch auch sie pflegt beim Thema Osten den Fremdblick und die Schwarzmalerei. So unterhalten sich im erfolgreichen Podcast "11km" in der Folge "Ostdeutsch, engagiert, frustriert?" zwei Westdeutsche über eine Recherche "im Osten". Im Teaser heißt es, es gehe "um einen Basketballverein, der wegen zunehmenden Rassismus keine Spieler mehr findet." Nur im Beitrag ist davon keine Rede mehr. Nur von einer "latenten Angst", was passiert, wenn die Entwicklung so weitergeht.

Ich frage bei dem Erfurter Basketballverein nach. Und der Trainer Florian Gut antwortet: "Ich stimme Ihrer Einschätzung zu, dass die Aussage des Moderators in dem Podcast in dieser Form nicht zutreffend ist." Der Beitrag stellt also Behauptungen auf, die zum Negativbild Thüringens beitragen. Und das ist nur ein Beispiel für viele.

Wiederholt geht es in der Folge pauschal um "den Osten". Marieke Reimann ist Chefredakteurin beim SWR. Sie stammt aus Rostock und betont wie viele Medienwissenschaftler, dass Ostdeutsche keine homogene Masse sind. Sie sagt aber auch: "Ich beobachte, dass es langsam aufbricht, die Berichterstattung über ostdeutsche Themen auch jenseits von Gedenktagen und Wahlen zunimmt und der Osten größere Aufmerksamkeit erhält." Eine sehr optimistische Einschätzung.

Später höre ich das SWR Kultur Forum "Den Osten verstehen – Warum ist das so schwer?" Der Moderator hält sich zurück und überlässt den drei Ostdeutschen in der Diskussion das Feld: Autorin Sabine Rennefanz, Soziologe Detlef Pollack und Sozialwissenschaftler Raj Kollmorgen sind sich nicht einig. Aber sie tauschen 45 Minuten lang selten erwähnte Argumente aus: 90 Prozent der Ossis stehen zur Demokratie, etablierte Parteien verlieren auch im Westen ihre Bindungskraft, AfD-Wähler wünschen sich mehrheitlich keinen neuen starken Führer und das BSW ist nicht mit dem AfD gleichzusetzen. Na bitte, geht doch!