Journalistische Voreinstellungen: Gefühlte Fakten beim Blick auf Ostdeutschland

Junge Frau, die am Mauerdenkmal in Berlin vorbeigeht

Foto: Fernando Privitera / Shutterstock.com

Zur Lage der Selbstkritik der Medien: Generalisierungen, Werturteile und Rechtsextremismus. Wie angemessen ist die Berichterstattung? Wie defekt ist die Debatte?

Wie angemessen berichten die Medien über die Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg? Diese Frage stellte der Deutschlandfunk-Podcast "Nach Redaktionsschluss".

Sascha Wandhöfer sprach darüber mit Brandenburg-Korrespondent Christoph Richter, Journalist August Modersohn (Zeit) und Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach (Otto-Suhr-Institut).

Einig waren sich alle, dass manche Generalisierung unzutreffend sei. Beispielsweise schon der Begriff der "Ostwahlen", denn von West-, Nord- oder Südwahlen werde schließlich auch nicht gesprochen. Immer noch werde zu sehr aus westdeutscher Perspektive auf Geschehnisse im Osten geschaut, entsprechend dominierten in der Berichterstattung auch bestimmte Probleme.

Vom Umgang mit dem Zusatz "gesichert rechtsextrem"

Medienjournalistisch interessant war eine Einlassung Reuschenbachs, die gerade zusammen mit Korbinian Frenzel bei Suhrkamp das Buch veröffentlicht hat "Defekte Debatten – Warum wir als Gesellschaft besser streiten müssen".

Ausgangspunkt war ein Hörerbrief, der darum bat, den gebetsmühlenartig in den Nachrichten vorgetragenen Zusatz "gesichert rechtsextrem" bei der AfD zu unterlassen, denn – Zitat – "wir Hörer wissen es allmählich".

Sie finde es schwierig, wenn Label wie "der Faschist" oder "die rechtsextremen Landesverbände" auf den Verfassungsschutz zurückgeführt werden, denn "der ist eine politische Behörde". Darauf antwortete Julia Reuschenbach:

Wenn allerdings Gerichte – und dann sind wir eben bei den Institutionen der Demokratie, nämlich bei der Rechtsstaatlichkeit und der Gewaltenteilung, das sozusagen in Urteilen entscheiden, wie es zum Beispiel bei Herrn Höcke ja der Fall ist, dann finde ich schon, dass Journalistinnen und Journalisten das nicht sozusagen weglassen sollten im Sinne von, ihn damit im Grunde auch gleichzustellen mit allen anderen Politikerinnen und Politikern, denen diese Situation eben nicht gegeben ist.

Ferner sei sie kein Fan davon zu sagen, es werde zu wenig mit AfD-Vertretern gesprochen.

Dazu gibt es ja empirische Daten auch, die zeigen, wie häufig zum Beispiel auch auf der Bundesebene Vertreterinnen und Vertreter eingeladen werden in Talk-Shows von Maybrit Illner bis zu Markus Lanz und anderen.

Julia Reuschenbach

Kürzlich erst habe man Björn Höcke beim MDR als Spitzenkandidaten erlebt.

Nach den Quellen ihrer Aussagen befragt, fand Reuschenbach nun eine Woche lang keine Zeit zu antworten. Wann sie dazu kommen werde, konnte sie nicht benennen.

Was bei einer angeblich klaren Faktenlage etwas irritiert.

Behelfsweise müssen wir daher auf das zurückgreifen, was als allgemein bekannt gelten darf.

Da ist zunächst die sich hartnäckig haltende, aber falsche Erzählung, Höcke sei ein quasi gerichtlich bestätigter Faschist.

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Meiningen

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Meiningen (2 E 1194/19) vom 26. September 2019, auf den das immer wieder zurückgeführt wird, hatte lediglich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Auflage der zuständigen Behörde außer Kraft gesetzt, nach der bei einer Demonstration in Eisenach gelten sollte: "Die Bezeichnung Faschist ist im Rahmen der Versammlung untersagt."

Die Kundgebung war unter dem Titel "Protest gegen die rassistische AfD, insbesondere gegen den Faschisten Höcke" angemeldet worden. Das Gericht bezog seine Entscheidung auf den politischen Meinungskampf.

Im politischen Meinungskampf sind übertreibende und verallgemeinernde Kennzeichnungen des Gegners ebenso hinzunehmen wie scharfe, drastische, taktlose und unhöfliche Formulierungen, die in der Hitze der Auseinandersetzung als bloßes Vergreifen im Ton erscheinen.

VG Meiningen

Die Vertreter des angemeldeten Protests hatten zahlreiche Schriften und Zitate Höckes vorgelegt, womit sie laut Gericht

"(...) in ausreichendem Umfang glaubhaft gemacht (haben), dass ihr Werturteil nicht aus der Luft gegriffen ist, sondern auf einer überprüfbaren Tatsachengrundlage beruht, dass es hier um eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage hinsichtlich eines an prominenter Stelle agierenden Politikers geht und damit die Auseinandersetzung in der Sache, und nicht – auch bei polemischer und überspitzter Kritik – die Diffamierung der Person im Vordergrund steht".

Das Gericht sah die Bezeichnung also als "Werturteil" an, nicht als Faktum.

Präzisierungen des Verwaltungsgerichts Hamburg

Weil dies insbesondere in den Medien nicht richtig verstanden wurde, musste sich im März 2020 noch einmal das Verwaltungsgericht Hamburg (324 0 103/20) mit dem Beschluss aus Meiningen befassen.

Auf Höckes Antrag hin untersagte dieses dem Berliner FDP-Politiker Sebastian Czaja die Aussage, Höcke sei ein Typus Politiker, "den ein Gericht aufgrund überprüfbarer Tatsachengrundlagen als Faschisten eingestuft hat".

Ein Teil der Leser könne sie so verstehen, ein Gericht habe positiv festgestellt, dass Höcke ein Faschist sei, erläuterte der Gerichtssprecher. Das verletze das Persönlichkeitsrecht von Höcke.

Tatsächlich habe damals das Verwaltungsgericht Meiningen nur über die Zulässigkeit einer konkreten Meinungsäußerung in einem konkreten Kontext entschieden.

Legal Tribune Online, 24. März 2020

Entsprechend änderte Czaja seine Aussage in "einen Typus Politiker (...), bei dem ein Gericht entschieden hat, dass er die Bezeichnung 'Faschist' als zulässige Meinungsäußerung hinzunehmen hat".

Wobei es auch bei der Meinungsäußerung jederzeit auf den Kontext ankommt, auf die politische Auseinandersetzung.

Medienpräsenz: Auswertungen von Talk-Sendungen

Reuschenbachs anderer Behauptung, die AfD käme wissenschaftlich belegt in Talk-Shows nicht zu kurz, steht jedenfalls die Betrachtung eines speziellen Zeitfensters entgegen, an der ihr FU-Berlin-Kollege Thorsten Faas beteiligt war. Titel: "Corona-Sprechstunde mit Maybrit Illner, Anne Will & Frank Plasberg. Parteilich & oberflächlich oder ausgewogen & informativ?" (PDF).

112 Talk-Sendungen aus der Zeit Januar 2020 bis Juli 2021 mit 611 Gästepositionen wurden dabei ausgewertet. 308 verschiedene Personen kamen zu Wort, davon 208 nur in einer Sendung, die übrigen häufiger.

Politiker nahmen 236 Gästepositionen ein. Davon entfielen 87 auf die SPD (vor allem mit Karl Lauterbach), 79 auf CDU/CSU, 32 auf die FDP, 23 auf die Grünen und 7 auf die Linke. Auf die AfD laut dieser Studie: null.

Eine journalistische Auszählung war zuvor schon für die Zeit 26. Februar bis 4. Mai 2020 zum selben Ergebnis gekommen. Damals, unter Bundeskanzlerin Merkel, war die AfD die größte Oppositionspartei im Bundestag, doch zu Beginn einer großen Krise kam sie in 59 politischen Talk-Sendungen nicht einmal vor (PDF, Seite 48).

Bei anderen Zählungen der Medienpräsenz insgesamt wäre dann jeweils noch zu unterscheiden, in welchen thematischen Zusammenhängen die Parteien vorkommen, ob sie also an allen politischen Debatten gleichberechtigt (ggf. proportional ihrer Größe) beteiligt werden, oder ob sie nur zu bestimmten Konfliktfeldern befragt werden.

Das Thema im Deutschlandfunk war die journalistische Berichterstattung über den deutschen Osten. Das Kolportieren falscher Behauptungen, gerade derzeit mit Blick auf die Wahlergebnisse in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, ist dabei sicherlich nicht hilfreich. Widerspruch bekam Julia Reuschenbach in der Sendung jedenfalls nicht.

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