IS-Terrorwarnung: Warum hielt das BKA Informationen zurück?
Polizeifrust in NRW: Das Bundeskriminalamt verteilt Beruhigungspillen. Wie nah war ein Anschlag auf den Kölner Dom wirklich?
Nach Bekanntwerden möglicher Anschlagspläne auf den Kölner Dom ist die Kathedrale während der Feiertage zu einem Wahrzeichen der Verunsicherung geworden – und, wie sich herausstellte, katastrophaler Kommunikationslücken der Sicherheitsbehörden.
Wurde die Bevölkerung über die Terrorgefahr hinlänglich aufgeklärt? Auch die Frage steht nach jüngsten Enthüllungen im Raum.
Wie der Kölner Stadt-Anzeiger (KstA) in seiner Wochenendausgabe offenlegte, hat das Bundeskriminalamt (BKA) die NRW-Landespolizei über Erkenntnisse zur Terrorgefahr offenbar im Dunkeln gelassen. Zudem, so berichtet das Blatt, soll "das BKA (…) angeregt haben, die Öffentlichkeit kurz vor Weihnachten nicht über Anschlagspläne auf den Kölner Dom zu informieren".
"Nur das Nötigste" zu Hintergründen mitgeteilt?
Die Kölner Journalisten berufen sich auf Einsicht in Vermerke des BKA. Die NRW-Landespolizei in Düsseldorf und Köln zeigte sich nach der Veröffentlichung frustriert.
"Während die Kölner Polizei Hunderte Beamte zum Schutz der Kathedrale aus dem Weihnachtsurlaub zurückholte, teilte das BKA offenbar nur das Nötigste zu den Hintergründen der Terrorwarnung mit", schreibt das Medium.
"Die Zurückhaltung gipfelte nach Informationen dieser Zeitung gar in dem Wunsch an die Kölner Polizei, die Bevölkerung nicht über eine mögliche Anschlagsgefahr am Dom zu informieren."
Spürhunde im Dom
Was lief ab? Nach einem "Gefahrenhinweis", über den sich ein Sprecher jedoch nicht weiter äußern wollte, hatte die Kölner Polizei am Tag vor Heiligabend den Dom mit Sprengstoffspürhunden durchsucht, auch die Tiefgarage unter dem Kölner Dom wurde einbezogen. Messebesucher mussten an den Feiertagen Kontrollstellen passieren.
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Der Zugang für Touristen wurde gesperrt, hunderte Polizisten gingen auf dem Kirchengelände in Stellung. Für Silvester gab es eigene Hinweise darauf, dass der Kölner Dom ein Anschlagsziel sein könnte. Auch andere mögliche Ziele in europäischen Städten, so zum Beispiel in Madrid und Wien, wurden ausgemacht. Die Polizei sprach von einem "Geflecht von Menschen aus Zentralasien", die hinter den Plänen stünden.
Fragen über Fragen
In Düsseldorf und Köln fragt man sich, warum die Warnhinweise auf einen möglichen Anschlag so spät eingingen und wie es kommt, dass die Hintergründe so schleppend kommuniziert und das Gefahrenpotenzial offenkundig heruntergespielt wurden.
Die Sache hatte nämlich ein Vorspiel, bei dem die Deutzer Kirmes – ein alljährliches Spektakel am Kölner Rheinufer, das jedes Jahr hunderttausende Besucher anlockt – eine Rolle als mögliches Anschlagsziel spielt.
Verdeckte BKA-Ermittler auf der Osterkirmes
Bis zum Bericht des "Kölner Stadt-Anzeiger" wusste die Kölner Polizei nichts davon, dass mutmaßliche islamistische Terroristen bereits im April 2023 die Osterkirmes im Kölner Stadtteil Deutz als mögliches Terrorziel ausgekundschaftet hatten. Das jedenfalls bestätigte ein Sprecher der Kölner Behörde der Zeitung. Das BKA hielt entsprechende Informationen zurück.
Die Posse nahm am 10. April (Ostermontag) vergangenen Jahres ihren Lauf. Verdeckte Fahnder des BKA beschatteten, wie sich herausstellt, an dem Tag in Köln drei Mitglieder des ISPK. Der ISPK ist ein Ableger des "Islamischen Staates" (IS), eine regionale Zelle in der afghanischen Provinz Khorasan – offenbar jedoch mit weltweiten Ambitionen.
Der "Kölner Stadt-Anzeiger" schildert, wie die Fahnder der Bundespolizei die verdächtigten Personen vom Kölner Hauptbahnhof bis auf die Deutzer Kirmes am Rheinufer gegenüber verfolgte. Die wenige Monate später festgenommenen Terrorverdächtigen hätten zahlreiche Fahrgeschäfte ausgekundschaftet, sowie diese und die Umgebung fotografiert.
Ausspähung eines möglichen Tatorts
Die Ankläger der Bundesanwaltschaft gehen davon aus, dass die Männer die Kirmes ausspähten, "um abzuklären, ob es sich um einen geeigneten Anschlagsort handelt".
Anfang Juli 2023 ließ die Bundesanwaltschaft in Zusammenarbeit mit der niederländischen Justiz neun Personen in NRW und den Niederlanden festsetzen. Die sieben in NRW Festgenommenen waren allesamt Bürger zentralasiatischer Staaten: Ein Verdächtiger aus Turkmenistan, einer aus Kirgistan und fünf aus Tadschikistan.
Auch nach dieser Aktion erfolgte offenbar keine Information an die NRW-Landespolizei. Und es wird klar: Auch hinter den Anschlagsplänen auf den Kölner Dom steckt die Terrorgruppe ISPK, die er darauf anzulegen scheint, durch spektakuläre Aktionen auf sich aufmerksam zu machen.
Online-Medien verherrlichen Dschihad
Die Zahl der Mitglieder des ISPK schwankt je nach Angaben zwischen 1.000 und 4.000. In der Gruppe sind Tadschiken aktiv, auch Personen aus Afghanistan, Usbekistan und anderen zentralasiatischen Staaten werden zum ISPK gerechnet.
Nach den Razzien von Juli 2023 wurde im November bekannt, dass zwei Jugendliche einen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Leverkusen geplant haben sollen. Medienberichten zufolge hatten die beiden geplant, sich nach dem Anschlag in Afghanistan dem ISPK anzuschließen.
Über Online-Magazine wie "Voice of Khurasan" werde islamistisch motivierter Terrorismus (Dschihad) verherrlicht, heißt es etwa im Jahresbericht des bayerischen Verfassungsschutzes von 2022.
Im Zusammenhang mit den Ermittlungen gab es zuletzt weitere Festnahmen. An Heiligabend nahmen Einsatzkräfte einen 30 Jahre alten Tadschiken in Wesel "zur Gefahrenabwehr" in Gewahrsam. Silvester kamen vier weitere Verdächtige hinzu, darunter drei Männer im Alter von 25, 30 und 38 Jahren in Duisburg, Herne und in Nörvenich (Kreis Düren). Wie es hieß, waren die Festgesetzten tadschikischer beziehungsweise usbekischer Staatsangehörigkeit.
Nichts dazugelernt?
Der 30 Jahre alte, an Heiligabend festgenommene Tadschike sei nicht entlassen worden, teilte die Kölner Polizei am Sonntag mit. Ursprünglich war angekündigt, ihn bis zu diesem Sonntag in Langzeitgewahrsam zu behalten.
Stand Montag liegt ein europäischer Haftbefehl wegen mitmaßlichen Terrorismus aus Österreich vor. Es gibt ein Auslieferungsverfahren. Dem Vernehmen nach soll der Verdächtige mit einem Komplizen aus Wien die Sicherheitsvorkehrungen im Kölner Dom ausgespäht haben.
Auf welcher Grundlage der Mann weiter festgehalten wird, will die Polizei später mitteilen. "Es wird weiter Sicherheitskontrollen geben am Dom", sagte ein Sprecher.
Ende Oktober 2023 fand die Deutzer Herbstkirmes statt – auf demselben Platz wie die Kölner Osterkirmes. Hunderttausende besuchten die Buden und Fahrgeschäfte. Eine Vorwarnung an die örtliche Polizei habe es nicht gegeben, heißt es.
Die Zusammenarbeit mit den NRW-Landesbehörden sei "vertrauensvoll und von einem anspruchsvollen Austausch in einem dynamischen Gefahrenabwehrvorgang getragen", teilte eine BKA-Sprecherin auf Anfrage des KStA mit.