"Ich mag straff führerzentrierte Organisationen ohne Flügel und Werteunionen"
TELEPOLIS-Winter-Interview mit Martin Sonneborn, dem Vorsitzenden der PARTEI
Herr Sonneborn, brauchen wir Neuwahlen im Bund?
Martin Sonneborn: Nein, bitte noch nicht. An jedem Tag, den das EU-Parlament werden lässt, wird irgendwo in Deutschland ein 17-Jähriger wahlberechtigt, der mit der CDU nur den Hashtag "#niewiederCDU" verbindet. Wir waren in der EU-Wahl drittstärkste Partei bei den Erstwählern, und wenn die CDU-Kollegen nicht zu viele 20-Jährige abknallen, wie neulich in Köln, dann sehe ich uns in zwei Jahren auf einem guten Weg. Außerdem wollen wir zu Bundestagswahl 20 Wissenschaftler aufstellen und in den Bundestag schicken. Und da beginnen wir gerade erst zu suchen ...
Sie haben öffentlich angekündigt, schlecht über Christian Lindner zu reden. Tun Sie's!
Martin Sonneborn: Auf keinen Fall, das fiele sofort auf mich zurück. Wir sitzen beide absolut machtgierigen, aber unbedeutenden Spaßparteien vor - mal liegt die eine bei Wahlen vorn, mal die andere -, haben keinen politischen Einfluss, eine große Klappe und scheuen letztlich dann doch davor zurück, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Der einzige Unterschied: Die Marktradikalinskis von der FDP haben ihre große Zeit hinter sich, wir haben sie vor uns.
Würden Sie sich mit den Stimmen der CDU/CSU zum Ministerpräsidenten wählen lassen? Die paktieren mit dem Christentum, der wohl kriminellsten Organisation überhaupt, die West-CDU bot Nazis eine Heimstätte, die Ost-CDU hielt sich mehr Stasi-Spitzel als andere und die Union hofiert mit den USA die militärisch aggressivste Nation überhaupt.
Martin Sonneborn: Ich habe immer erklärt, dass wir uns von jedem wählen lassen. Insofern würden mich auch CDU-Stimmen nicht sonderlich schockieren. Aber nachdem wir für Friedrich Merz gerade den Spitznamen "F*****" in Umlauf gebracht haben, rechne ich mir da keine größeren Chancen aus.
Neulich haben Sie den Deutschen von Europa aus die Hufeisen-Theorie erklärt. Fehlt der politischen Mitte ein terroristischer Arm?
Martin Sonneborn: Zwei, man braucht immer zwei terroristische Arme. Ich dachte eigentlich, wenn ich Hammer & Sichel und Hakenkreuz trage, gleicht sich das wieder aus. Mein Chef, Parlamentspräsident Sassoli, sah das anders und hat die Rede zensiert. Wir mussten sie extra noch einmal drehen, im Newsroom der PARTEI. Wenn ich das nächste Mal in Brüssel bin, werde ich Sassoli deswegen einbestellen.
"Ramelow, dieser stalinistische Terrorkommunist aus Thüringen, ist viel zu höflich!"
AKK hat zuerst ihren Auftritt beim Saarbrücker Karneval und dann als Kanzlerkandidatin abgesagt. Da die CDU derzeit niemanden von Format aufbieten kann - stünden Sie als routinierter Politprofi zur Verfügung?
Martin Sonneborn: Nein, die CDU ist ein zerstrittenes Auslaufmodell. Die gesellschaftliche Aufgabe, die die Christdemokraten einmal erfüllten, war es ja, die Idee einer sozialen Marktwirtschaft zu vertreten. Aber diese Position haben sie inzwischen bedenkenlos geräumt, um sie Sahra Wagenknecht zu überlassen. Außerdem: Ich mag straff führerzentrierte Organisationen ohne Flügel und Werteunionen.
Wäre der Job nicht etwas für Herrn Ramelow? Der Mann ist Ossi mit Wessi-Hintergrund, regierungserfahren, populär und hat gerade frei.
Martin Sonneborn: Ramelow, dieser stalinistische Terrorkommunist aus Thüringen? Viel zu höflich! Ich habe ihn mal in seiner Staatskanzlei besucht, da haben mir die Pförtner erzählt, er sei der erste Ministerpräsident, der ihnen morgens die Hand geben und mit ihnen sprechen würde. Die CDU braucht Männer wie F***… Pardon: Friedrich Merz, einen Millionär, der einen Obdachlosen, der ihm sein irgendwo gefundenes Laptop mit allen Blackrock-Cum-Ex-Steuerbetrugs-Geheimnissen zurückbringt, mit einem selbstgeschriebenen Buch belohnt. Marktwert 50 Cent, es flog dann in die Spree.
Als Spitzenpolitiker muss man heutzutage offenbar schmerzfrei sein. Wäre Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer nicht der perfekte Kandidat für die Union?
Martin Sonneborn: Hahaha, Andi B. Scheuert ist der vermutlich dümmste Minister, den wir je hatten. Er ist ja selbst für seinen eigenen Rücktritt zu dumm.
Ausgerechnet Ihr alter Spezi Elmar Brok, der als konservativ und kriegslüstern galt, will die WerteUnion bekämpfen. Üben Sie Einfluss auf den Mann aus?
Martin Sonneborn: Ja, ich habe ihn in Brüssel eingenordet. Smiley! Furchtbare Zeiten, wenn einem der Brocken langsam fast sympathisch wird, weil er von AfD und WerteUnion angefeindet wird.
Sie werden demnächst als Beobachter des EU-Parlaments zum Prozess gegen Julian Assange nach London fahren. Werden Sie den Tommys mit Ausschluss aus der EU drohen?
Martin Sonneborn: Der Prozessbeginn wird kürzer ausfallen als gedacht, ich werde also wahrscheinlich erst im Mai zur Wiederaufnahme fahren. Aber mein Büro begleitet die Vorgänge in London. Seitdem die Schweizer Seite republik.ch ein ausführliches Interview mit dem UN-Sonderbeauftragten für Folter Nils Melzer publiziert hat, geht es rund. Die Menschen verstehen allmählich, dass hier elementare Bürger- und Menschenrechte auf dem Spiel stehen, dass es eine komplette Stabsstelle der CIA gibt, die sich nur damit beschäftigt, den Namen und das öffentliche Bild von Assange negativ zu gestalten.
Ich war noch nie so enttäuscht von SZ, FAZ, Spiegel, Zeit, ARD und ZDF, die ihrem gesellschaftlichen Auftrag und propagierten Selbstverständnis zuwider diesen Skandal offensiv verschwiegen haben.
"Mit Puigdemont war ich gerade Kaffee trinken"
Inzwischen sind Sie Mitglied in der Delegation in der Parlamentarischen Versammlung Euronest. Was ist das eigentlich?
Martin Sonneborn: Eine Gruppe von Abgeordneten, die gerne zu ausufernden Gelagen nach Georgien, Armenien, Moldawien und Aserbaidschan reisen. Es geht um einen Austausch mit Staaten in Osteuropa. Seit meinen Staatsbesuchen interessiere ich mich für Bergkarabach und Georgien. Und natürlich für die korrupte Öl-Diktatur in Aserbaidschan. Schon weil ich da auf der Schwarzen Liste stehe …
Sind Ihre spanischen Sitznachbarn inzwischen eingetroffen?
Martin Sonneborn: Ja, mit Puigdemont war ich gerade Kaffee trinken. Er hat sich bedankt, dass ich mit kleinen katalanischen Fähnchen ihre beiden Plätze freigehalten habe. Aber mit Oriol Junqueras sitzt immer noch ein gewählter EU-Parlamentarier im spanischen Gefängnis, weil die Spanier seine Immunität und die Urteile des EUGH einfach ignorieren. Was ist da eigentlich für ein Hühnerhaufen hier in der EU? Polen, Ungarn, Spanier, Slowaken, Tschechen, Rumänen und Bulgaren machen einfach, was sie wollen und ignorieren EU-Recht. Fast wie Franzosen und Deutsche!
Der Plebs darf planmäßig hierzulande dieses Jahr nur eine Landesregierung wählen, nämlich in Hamburg. Wie wird die PARTEI die Nordlichter ansprechen?
Martin Sonneborn: Wir werben mit den üblichen populistischen, nur regional verständlichen Versprechungen: Rote Flora schließen, Elbphilharmonie als Ausgleichsfläche, etc. Außerdem haben wir errechnet, dass unsere Liste zu 100 Prozent mit jungen weißen Frauen besetzt ist, das ist ein sehr guter Wert.
Das Klima wird ein beherrschendes Wahlkampfthema sein. Verpasst die PARTEI gerade den Trend des Greta-Bashens?
Martin Sonneborn: Mir sind die Typen, die Greta bashen, zu unsympathisch. Gerade musste sich der neue Außenbeauftragte der EU, der vorbestrafte spanische Politrentner Sepp Borrell (72) entschuldigen, nachdem er bei jungen Leuten, die gegen die verfehlte Klimapolitik auf die Straßen gehen, ein "Greta Syndrom" diagnostiziert hatte.
Apropos Entschuldigen: Der Hamburger SPD fiel nun ihre Großzügigkeit in der Cum-Ex-Sache vor die Füße. Hat man das im Wahlkampf platziert, um der SPD zu schaden, oder ist das im Gegenteil sogar ein perfider Sozen-Trick, um sich FDP-Wählern zu empfehlen?
Martin Sonneborn: Nach allem, was wir in den letzten Jahren gesehen haben, glaube ich nicht, dass man im Willy-Brandt-Haus in der Lage ist, derartige Strategien zu entwickeln. Aber es muss auch unangenehm sein für Finanzminister Scholz, nach seinem zuerst bestrittenen Treffen mit dem Cum-Ex-Banker Olearius, jetzt als Mann dazustehen, dem man nicht mehr glauben mag. Ich plädiere dafür, die Enthüllungsjournalisten von "Zeit" und Panorama sofort nach Belmarsh zu schicken.
Die Presse beklagt, die PARTEI werde ganz überwiegend von Männern gewählt. Werden Sie künftig die 20 vorderen Listenplätze mit Genderforscherinnen besetzen?
Martin Sonneborn: Nein, aber zum Frauentag haben wir eine Überraschung parat, weil wir unsere Frauenquote steigern wollen. Wir liegen derzeit irgendwo zwischen der CSU (rund 21 %) und der FDP (etwa 24 %). Aus dieser unappetitlichen Umgebung wollen wir weg, deswegen haben wir ab dem 8. März einen 100-tägigen Aufnahmestopp für Männer erklärt.
Wären Leihstimmen grüner Wählerinnen eine Option?
Martin Sonneborn: Solange sie die nicht irgendwann zurückhaben wollen, na klar!
Apropos Grüne: Wie stehen Sie zum Thema ökologische Kriegsführung?
Martin Sonneborn: Im Gegensatz zu den Grünen sind wir gegen Krieg. Und ich habe auch ein gutes Argument für die FFF-Generation: Soldaten sind Klimaschweine. Die US-Truppen haben eine schlechtere CO2-Bilanz als einige europäische Staaten, namentlich Dänemark und Schweden.
Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer will den Bundeswehreinsatz im Irak auch nach der Liquidation des iranischen Generals Soleimani fortsetzen und hier im Herbst das gigantische NATO-Manöver Defender durchführen. Werden wir dem Iwan endlich seine Grenzen aufzeigen?
Martin Sonneborn: Wir halten es da eher mit dem Freudschen Versprecher der Sprecherin des Auswärtigen Amtes in der Bundespressekonferenz und sprechen von "Ermordung". Aber die Grenzen zeigen wir dem Iwan schon länger auf. Nicht nur dadurch, dass die Nato an die Grenzen Russlands herangerückt ist, auch durch das militärische Übergewicht. Jährliche Ausgaben Russland für Militär: 60 Milliarden. Jährliche Ausgaben Nato für Militär: 1000 Milliarden. Ich hoffe, dass auch hier die Schüler von FFF irgendwann drauf kommen, dass man das Geld sinnvoller einsetzen könnte. Für die Bundesbahn, Umweltschutz, Computerspiele, Alkohol, etc.
Die USA warfen vergangenes Jahr 7400 Bomben über Afghanistan ab und führen die Landminen wieder ein. Droht die EU, den Anschluss an militärischer Leistungsfähigkeit zu verlieren?
Martin Sonneborn: Keine Angst, wir stecken in der EU verbotenerweise derart viel Geld in Aufrüstung, Grenzsicherung und Waffenentwicklung - Stichwort "Killerroboter" -, dass ich mir da eher Sorgen um den Rest der Welt mache. Und an Minen verdient auch die deutsche Volkswirtschaft recht ordentlich.
Die Tatsache, dass Sie Europa vor einiger Zeit TTIP ersparen konnten, verdanken Sie der Hilfe von Whistleblowern, nun brauchen solche wie Chelsea Manning, Reality Winner und Edward Snowden unsere Solidarität. Was können wir tun?
Martin Sonneborn: Da die EU sich auch unter der neuen Führung schäbig gegenüber Edward Snowden verhält und ihm aus Angst vor weiteren US-Sanktionen offensichtlich kein Asyl gewähren will, müssen wir zur Selbsthilfe greifen. Wir starten demnächst eine Spendenaktion für Snowden, europäische Staatsbürgerschaften sind in Malta ganz offen schon für unter eine Million Euro zu haben. "Kompa"? Kommt aus Haiti, oder? Wollen Sie auch eine?