"Ich weiß schon lange, dass es Polizeigewalt gegen Schwarze gibt"
Der Journalist Marvin Oppong über seine Erfahrungen mit der deutschen Polizei, rassistische Vorurteile und den schweren Stand von Opfern
Marvin Oppong ist ein Journalist, Buchautor und Dozent. Er lebt und arbeitet in Bonn.
Herr Oppong, Sie wurden am 2. Mai 2018 in Bonn von der Polizei in Gewahrsam genommen. Wie kam es dazu?
Marvin Oppong: Ich war privat in der Stadt unterwegs und habe mitbekommen, wie ein Streifenwagen der Polizei einen Unfall verursacht hat. Ich habe daraufhin den Polizeistreifenwagen fotografiert. Daraufhin ist ein Polizist zu mir gekommen und hat mir das Fotografieren untersagt. Ich habe ihm erklärt, dass ich Journalist und befugt bin, Polizeiarbeit zu dokumentieren, und dies selbst als Bürger wäre. Daraufhin hat mir der Polizist mit einem Platzverweis gedroht und im nächsten Moment, während ich mich rückwärts entfernen wollte, meine Kamera aus der Hand geschlagen. Daraufhin sind mehrere Polizisten auf mich draufgestiegen und haben mich körperlich misshandelt.
Gab es seitens der Polizei den Versuch der Klärung vor Ort, weshalb Sie fotografierten?
Marvin Oppong: Ich habe mich klar als Journalist zu erkennen gegeben. Das war den Polizisten auch bekannt und bewusst. Das hat die aber nicht interessiert, weil es denen einfach darum ging, die Dokumentation ihrer Arbeit zu behindern. Es gibt von dem ganzen Vorgang ja auch ein YouTube-Video, und erstaunlicherweise sieht man ja auch in diesem Video, dass die Polizei den Journalisten, der das Video aufgenommen hat, ebenfalls versucht, von seiner journalistischen Arbeit abzuhalten.
Die Einsatzkräfte vor Ort haben sich also nicht daran gestört, dass Sie einen Einsatz behindern, sondern dass sie ihn fotografierten?
Marvin Oppong: Das müssen Sie die Polizei fragen.
Sie haben gerade geschildert, wie die Einsatzkräfte mit Ihrer Kamera umgegangen sind. Was ist denn später mit der Speicherkarte geschehen?
Marvin Oppong: Die Speicherkarte wurde von der Polizei eingezogen, was rechtswidrig ist. Meine Personalien hatte die Polizei ja zu diesem Zeitpunkt schon. Das heißt, man hätte ohne Probleme die Möglichkeit gehabt, mich ausfindig zu machen und juristisch dagegen vorzugehen, wenn ich mit den Bildern etwas Unbefugtes gemacht hätte. Auch das ist für mich ein Zeichen, dass es einfach darum ging zu verhindern, dass Bilder von dem Einsatz erstellt werden. Die Speicherkarte liegt nach wie vor in der Asservatenkammer der Polizei.
Hatten Sie den Eindruck, dass die Einsatzkräfte derart reagierten, weil Kollegen den Unfall verursacht haben?
Marvin Oppong: Den Eindruck hatte ich. Da war sehr schnell sehr viel Polizei vor Ort. Innerhalb von zwei, drei Minuten waren da mehrere Streifenwagen und ein ziviles Polizeifahrzeug. Und ich glaube, dass der Umstand, dass dort KollegInnen betroffen waren, bei den beteiligten Polizisten dazu geführt hat, dass man noch mal ganz besonders für Ordnung sorgen wollte.
"Man hat mich körperlich misshandelt, bevor man sich überhaupt meine Papiere angesehen hat"
Haben Sie sich hinreichend als Journalist zu erkennen gegeben, etwa durch einen Presseausweis?
Marvin Oppong: Ich habe die Polizei unverzüglich darüber informiert, dass ich Journalist bin. Die Journalisteneigenschaft hängt auch nicht davon ab, ob man einen Presseausweis bei sich führt. Da ich privat unterwegs war und gerade aus einem Kurzurlaub zurückkam, hatte ich meinen Presseausweis in dem Moment nicht mit. Ich habe der Polizei aber sogar angeboten, mit mir ins Büro zu fahren, um den Presseausweis zu holen. Mein Büro ist näher gelegen als die Polizeiwache, auf die man mich dann mitgenommen hat und wo mich zwei Polizisten zwangen, mich in einer Zelle bis auf die Socken komplett nackt auszuziehen. Die Polizei war aber nicht daran interessiert, meinen Presseausweis zu sehen.
Und noch ein ganz wichtiger Punkt: Man hat mich körperlich misshandelt, bevor man sich überhaupt meine Papiere angesehen hat. Man hat mich erst misshandelt, dann auf die Wache mitgenommen und erst da hat man sich überhaupt meinen Personalausweis angeschaut. Das zeigt ganz deutlich, dass es nicht darum ging, meine Identität zu klären. Es ging darum, einen Journalisten aus dem Verkehr zu ziehen, der Fotos von einem von der Polizei verursachten Verkehrsunfall gemacht hat. Auf der Wache wurde ich etwa eine Stunde festgehalten. In der Zeit hat die Polizei die meisten Unfallspuren beseitigt.
Die Anklage gegen Sie stützte sich auch auf den sogenannten Gafferparagraphen 201a StGB.
Marvin Oppong: Die Polizei hat mir vorgeworfen, ich hätte mich mit den Aufnahmen einer "Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen" schuldig gemacht, indem ich das Unfallopfer, also die Taxiinsassin, die durch das Rammen durch das Polizeiauto schwer verletzt wurde, fotografiert hätte. Das habe ich selbstverständlich nicht getan. Die Auswertung meiner Speicherkarte durch die Ermittlungsbehörden hat auch bestätigt, dass ich ausschließlich das Polizeiauto fotografiert habe.
Auf dem Video sind fünf Polizeibeamte zu sehen, die Sie festhalten. Wie lief der Zugriff ab?
Marvin Oppong: Erst hat der Polizist mir die Kamera aus der Hand geschlagen, dann haben mich vier Polizisten an allen Vieren genommen, in die Luft gehoben und mit meinem Gesicht und, als ich den Mund aufmachte, auch mit den Schneidezähnen, über den Asphalt geschleift. Dann hat man mich zu Boden gebracht und mehrere Leute haben sich auf mich draufgesetzt. Eine Polizistin kniete auf meinem Bein, ein Polizist auf meinem Rücken und ein Polizist hat sich mit seinem gesamten Körpergewicht auf meinen Schädel gekniet, der auf den an der Stelle sehr groben und spitzen Asphalt gedrückt wurde. So hat man mich minutenlang auf den Boden gedrückt. Das war im Grunde genommen eine Quälungsorgie. Man hat mir auf verschiedene Weise Schmerzen zugefügt, auch auf eine Art und Weise, bei der man zuckt, alleine aufgrund der körperlichen Reflexe.
"Ich bezweifele, dass das alles in dieser Form passiert wäre, wenn ich weiß wäre"
Später hieß es, Sie hätten Widerstand gegen die Vollstreckungsbeamten geleistet.
Marvin Oppong: Meine Reaktionen wurden mir als Widerstand ausgelegt, auf den weitere Gewalt folgte.
Herr Oppong, Ihr Vater stammt aus Ghana, Sie bezeichnen sich selbst als Schwarzen. Hat man Ihnen deswegen nicht geglaubt, dass Sie Journalist sind?
Marvin Oppong: Ich denke, dass meine Hautfarbe da eine Rolle spielt. Ich bin es halt gewohnt, als Schwarzer häufig generell nicht ernst genommen zu werden. Als Journalist noch mehr, weil viele Menschen sich Journalisten weiß und vielleicht nicht so jung vorstellen. Ich kann darüber nur spekulieren. Ich bezweifele jedoch, dass das alles in dieser Form passiert wäre, wenn ich weiß wäre.
Es ist aber, sagen Sie, auch ein generelles Problem, die Art, wie man Ihnen als Journalist aufgrund Ihrer Hautfarbe begegnet?
Marvin Oppong: Nicht nur bei der Arbeit. Viele Menschen haben eben Vorurteile gegenüber schwarzen Menschen. Und das merkt man halt im Alltag in sehr vielen Situationen. Es ist einfach eine Frage des Umgangs, inwieweit die Polizei überhaupt bereit war, normal zu reden. Diese Bereitschaft gab es überhaupt nicht. Es wurde direkt eskaliert. Die Beamten sind die ganze Zeit über sehr respektlos mit mir umgegangen.
Nun wurde das Verfahren gegen Sie unlängst eingestellt, allerdings gegen eine Auflage. Sie mussten 1250 Euro an die Organisation "Ärzte ohne Grenzen" zahlen.
Marvin Oppong: Man hat mir drei Sachen vorgeworfen: Körperverletzung gegen Vollstreckungsbeamte, dann Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und dann ein Verstoß gegen diesen sogenannten Gafferparagraphen. Die Auswertung meiner Speicherkarte hat ergeben, dass ich gegen diesen Paragraphen 201a StGB nicht verstoßen habe. Die Aussagen der Zeugen in der Gerichtsverhandlung haben ergeben, dass ich keinen Polizisten körperlich verletzt habe.
Und mit den Widerstand ist das so eine Sache: Es ist allgemein bekannt, dass die Polizei in Fällen von Polizeigewalt regelmäßig die Opfer des Widerstandes beschuldigt. Hier war es so, dass die Vorwürfe von Polizei und Staatsanwaltschaft wie ein Kartenhaus in sich zusammengebrochen sind. Von drei Vorwürfen waren in der Hauptverhandlung zwei schon mal weg.
Es ist jedoch so, dass es bei der Staatsanwaltschaft Bonn eine interne Anweisung an die StaatsanwältInnen gibt, wonach diese einer Einstellung von Strafverfahren ohne Auflagen grundsätzlich nicht zustimmen dürfen, sobald der Straftatbestand des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte eine Rolle spielt, egal wie der konkrete Fall aussieht. Das ist aus rechtsstaatlicher Sicht mit Blick auf das Schuldprinzip sehr bedenklich. Alleine aus diesem formalen Grund hat die Staatsanwaltschaft der Einstellung des Verfahrens nur unter einer Auflage zugestimmt.
Wie sind Sie auf diese Anweisung gestoßen?
Marvin Oppong: Die Staatsanwältin hat in der Hauptverhandlung erwähnt, dass es eine solche Anweisung gibt, als Richter und Staatsanwältin sich ausgetauscht haben. Sie hat das an einer Stelle erwähnt, an der sie gegenüber dem Richter begründet hat, weshalb sie einer Einstellung ohne Auflagen nicht zustimmen könne. Ich vermute, dass das eigentlich ein Internum ist.
Was ist mit Ihrer Klage gegen die beteiligten Beamten geschehen?
Marvin Oppong: Ich habe vor dem Verwaltungsgericht Köln eine Klage eingereicht. Dazu hat der Richter im Jahr 2018 signalisiert, dass er erst einmal den Abschluss des Strafverfahrens abwarten will, bevor das Gericht über die verwaltungsgerichtliche Klage entscheidet. Das verwundert mich, denn es sind zwei Gerichte, die unabhängig voneinander arbeiten. Meine Klage vor dem Verwaltungsgericht hat mit dem Strafverfahren erst einmal nichts zu tun. Selbstverständlich gibt es da Rechtsfragen, die in beiden Verfahren eine Rolle spielen. Es wäre jedoch möglich und auch üblich gewesen, das verwaltungsgerichtliche Verfahren regulär weiterzuführen.
Normalerweise dauert ein Verfahren vor dem Verwaltungsgericht ein Jahr. In meinem Fall gab es nach eineinhalb Jahren immer noch kein Urteil. Zuletzt hat mein Anwalt mit dem Richter sprechen können und der Richter hat meinen Anwalt gefragt, ob ich das Verfahren denn wirklich weiterverfolgen wolle. Offenbar drückt man sich beim Verwaltungsgericht Köln davor, dieses Verfahren einer Entscheidung zuzuführen. Es ist unter Juristen übrigens kein Geheimnis, dass Verwaltungsgerichte in vielen Fällen im Sinne der Verwaltung entscheiden.
Unlängst wurde nach dem tödlichen Übergriff auf den Schwarzen George Floyd auch vor der US-Botschaft in Berlin demonstriert. Wie sehen Sie diesen Fall, auch vor dem Hintergrund Ihrer Erfahrungen als schwarzer Deutscher?
Marvin Oppong: Ich weiß schon lange, dass es Polizeigewalt gegen Schwarze gibt, sowohl in den USA wie auch in Deutschland. Das ist schon immer ein Problem gewesen, nicht erst seit gestern. Der Unterschied ist, wie der US-Schauspieler Will Smith gesagt hat, dass heute solche Vorgänge gefilmt werden. Und es gibt soziale Medien. Leute, die damals kein Sprachrohr hatten, haben das heute.
Was hätte es in Ihrem Fall konkret bedeutet, wenn die Polizeiaktion gegen Sie nicht gefilmt worden wäre?
Marvin Oppong: Ohne die Aufnahmen, die auch im WDR gezeigt wurden, hätte der Vorfall mit Sicherheit weniger öffentliche Aufmerksamkeit erhalten. Auch wäre es in der Gerichtsverhandlung wesentlich schwieriger gewesen, Dinge zu beweisen. Dadurch, dass gefilmt wurde, kann jeder auch jetzt noch sehen, wie die Polizei gehandelt hat.
Brauchen wir eine Debatte über rassistische Polizeigewalt auch in Deutschland?
Marvin Oppong: Ja, denn es handelt sich um ein gravierendes gesellschaftliches Problem, das angegangen werden sollte. Für mich kommt das alles nicht überraschend. Auch für jemanden, der sich schon früher damit auseinandergesetzt hat, kann das nicht überraschend sein.
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