"Ich wende mich gegen diesen Assimilationswahn"

Merve Gül

Was sagen Betroffene zur Diskussion um die doppelte Staatsbürgerschaft?

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Was als Antrag der Jungen Union mit wenig Aussicht auf Erfolg begann, hat letzte Woche sogar das Bundeskanzleramt erreicht. Hinsichtlich der Diskussion um die doppelte Staatsbürgerschaft ermahnte Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel ihre Parteifreunde um rhetorische Abrüstung. Es gehe dabei nicht darum, dass die deutsche Staatsbürgerschaft verramscht werde. Mit solchen Worten müsse vorsichtig umgegangen werden.

Überraschend hatte vergangene Woche beim CDU-Bundesparteitag in Essen eine knappe Mehrheit für den Antrag der Jungen Union gestimmt, die Optionspflicht für in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern wieder einzuführen. Das bedeutet Besitzer von zwei Pässen müssten im Alter von18 Jahren eine ihrer Staatsbürgerschaft abgegeben.

Seitdem gehen nicht nur bei den Christsozialen die Meinungen auseinander: Für die einen ist es ein Stück Papier, für die zweiten der Beleg ihrer Identität und für die dritten ein Wahlkampfthema. Auf der einen Seite der konservativen Debatte: Doppelpass-Gegner wie Mike Mohring. Der thüringische CDU-Landesvorsitzende forderte im Münchner Merkur, Deutschland müsse "die uneingeschränkte staatsbürgerliche Loyalität seiner Bürger" genießen. Auf der anderen Seite Politiker wie Bernd Althusmann. In der "Hannoverschen Allgemeinen" sprach sich Niedersachsens CDU-Vorsitzender gegen einen Wahlkampf um die doppelte Staatsbürgerschaft aus und appellierte an seine Partei "Maß und Mitte zu bewahren".

Und dazwischen? Bis zu vier Millionen Deutsche, die neben ihrer deutschen Staatsbürgerschaft noch die eines weiteren Landes besitzen. Was bedeuten ihnen ihre beiden Nationalitäten? Könnten sie auf einen Pass verzichten? Und was halten sie von der Debatte in der Union?

"Ich hab kein Identitätsproblem, Deutschland scheinbar schon"

Merve Gül (24) ist CDU-Mitglied und studiert Jura in Mannheim:

"Seitdem ich sieben Jahre alt bin, habe ich einen deutschen und türkischen Pass. Abgeben würde ich keinen von ihnen. Ich wende mich gegen diesen Assimilationswahn, der sagt: Du kannst schon dazugehören, aber nur, wenn etwas ablegst: Du gehörst dazu, wenn du das Kopftuch ablegst, wenn du deine Sprache ablegst, wenn du Feiertage ablegst, wenn du deine Werte ablegst ...

Wir können uns darüber streiten, ob ein Pass und somit ein Stück Papier Identitäten formt. Sicherlich nicht. Mir geht es aber um den formellen Beleg dafür, was in Deutschland immer herumposaunt wird: Wir sind eine Einwanderungsgesellschaft. Und in einer Einwanderungsgesellschaft gibt es keine eindimensionalen Menschen wie Nur-Türken und Nur-Nur-Italiener. Es gibt auch Deutsch-Araber, Deutsch-Türken, Deutsch-Italiener usw.

Meine Identität sehe ich wie zwei Stühle. Ich kann auf einem Stuhl sitzen oder auf beiden gleichzeitig. Das ist der Luxus, wenn ein Migrationshintergrund positiv und nicht negativ definiert wird. Ich hab das mein Leben lang so gelernt und deswegen finde ich es umso erschreckender, dass das scheinbar nicht jeder als selbstverständlich ansieht. Die Identitätskrise, die sich in den Leitkulturdebatten widerspiegelt, wird auf einzelne Gesellschaftsgruppen abgedrückt. Ich hab kein Identitätsproblem, Deutschland scheinbar schon."

Nasita Z-Moayedi

"Ich empfinde die doppelte Staatsbürgerschaft als Geschenk"

Nasita Z-Moayedi (32) aus Ostfriesland arbeitet in der Marketingabteilung eines Softwareherstellers:

"Die Frage nach der zweiten Staatsbürgerschaft stellte sich für mich nicht, ich habe sie mit meiner Geburt bekommen. Wirkliche Bedeutung hat meine iranische Staatsbürgerschaft erst für mich erhalten, als ich angefangen habe, meine zweite Heimat, den Iran, zu bereisen. Damals war ich ca. 15 Jahre alt und mitten in der für Teenager typischen Identitätsfindung: "Wer bin ich, wo gehöre ich hin?

Die deutsche Staatsbürgerschaft bildet die unangefochtene Nummer eins in meinem Leben. So wie auch Deutsch meine Mutter- und Erstsprache ist und Farsi meine Zweitsprache ist. Aber auch alles Iranische bildet eine starke Säule meines Seins, meiner ganzen Identität. Ich war aufgrund privater Umständen einmal mit der Frage konfrontiert, meine iranische Staatsbürgerschaft aufzugeben. Ich erinnere mich noch an das Lachen des Botschaftsmitarbeiters am Telefon, als ich ihm erklärte, dass ich lieber meine rechte Hand gäbe, als meinen iranischen Pass. Das ist natürlich überspitzt, aber ich empfinde es durchaus als Privileg und auch als Geschenk für den Preis der Zerrissenheit und des ewigen latenten "nicht Fisch, nicht Fleisch"-Seins, eine doppelte Staatsbürgerschaft tragen zu dürfen.

Wer Deutschland mit seinen Werten und Gesetzen achtet und sich hier beheimatet fühlt, der sollte auch die Chance auf die doppelte Staatsbürgerschaft haben. Wer allerdings nur die Privilegien und Rechte eines EU-Passes genießen möchte, aber alle daran geknüpften Pflichten für sich ausblendet und unsere Gesellschaft nicht akzeptiert, der benötigt meines Erachtens auch nur die Staatsbürgerschaft des Landes, zu dessen Werten und Gesetzen er sich hingezogen fühlt."