Idlib: Die syrischen Truppen kommen nicht voran
Der militärische Erfolg hängt von politischen Entscheidungen ab. Die Türkei, die mit islamistischen Milizen verbunden ist, hat eine Schlüsselrolle
Assads Weg bis zur Rückeroberung Syriens ist noch sehr weit. Die Aufnahmelager für Binnenflüchtlinge im Norden Syriens werden jetzt schon winterfest gemacht. Man bereitet sich darauf vor, dass die beklagenswerte Situation der Bewohner Idlibs noch länger andauern wird. Zwar sind sich Beobachter darin einig, dass der militärische Sieg der syrischen Regierungstruppen und ihren Verbündeten auf Dauer nicht aufzuhalten ist, aber die Gefechte in Süden Idlibs und Nordhama sind auch für sie verlustreich.
Auch die UN-Flüchtlingsorganisation OCHA berichtet von einem "hohen Grad an kriegerischer Gewalt", der die Zivilbevölkerung in den letzten beiden Wochen im Nordwesten Syriens ausgesetzt war, weswegen Hilfslieferungen verhindert waren. Allerdings ist dem Bericht auch zu entnehmen, dass die Zahl der Flüchtlinge, die ein Aufnahmelager erreicht haben, sich nicht in der Größenordnung bewegt, die Anfang Mai gemeldet wurden (Syrien: Große Fluchtwelle in Idlib).
Rund 5.000 Personen wurden gezählt, die vom 25. Juni bis 8. Juli in von Hilfsorganisationen betreutes Gelände gelangt sind. Die Gesamtzahl der Binnenflüchtlinge im Nordwesten Syriens wird aktuell weiterhin mit der Schätzung von über 330.000 angegeben, die schon vor einiger Zeit kursierte. Die Schätzungen für die Zahl der Personen, auf deren Versorgungsnöte man sich einstellt, wird nach wie mit 1,2 Millionen hoch angesetzt.
Wie viele Zivilisten sich noch in den umkämpften strategisch wichtigen Orten aufhalten, ist wie immer ungewiss, da sich in diesen Zonen keine unabhängigen Berichterstatter aufhalten können. Berichtet wird allerseits, auch von alternativen Publikationen, die sich nicht leicht in Feindbild- Wahrnehmungsmuster einreihen lassen, von "intensivsten Bombardements der syrischen und russischen Luftwaffe seit langem". Als Mittelpunkt der gegenwärtigen Kampfzone taucht in unterschiedlichen Berichten mit unterschiedlichen Perspektiven das Dorf al-Hamamiyat im Norden Hamas auf, dessen strategische Bedeutung mit wichtigen Nachschublinien zu tun hat.
Große Schwierigkeiten im asymmetrischen Krieg
Einig sind sich die Berichte darin, dass die Kämpfe einen hohen Blutzoll fordern. Wie immer werfen die Gegner der syrischen Armee und deren russischen Verbündeten vor, dass sie absichtlich Schulen und medizinische Einrichtungen angreifen. Da dies bereits an den großen Kampfzonen zuvor, im Krieg um Aleppo und zuletzt bei der Offensive der syrischen Armee auf Ostghouta, als Kriegspropaganda bestritten wurde und für das immer wieder genannte "letzte Krankenhaus", das bombardiert wurde, dem widersprechende Darstellungen geliefert wurden, sind diese Vorwürfe von außen schwerlich, wenn überhaupt zu überprüfen.
Wenig zu rütteln ist dagegen an der gegenwärtigen Bestandsaufnahme, wonach die syrische Armee und die russischen Verbündeten große Schwierigkeiten damit haben, den Angriffen der Dschihadisten - Hayat Tahrar al-Sham (HTS) und assoziierte Milizen - Herr zu werden. Sie bedrohen die Region Latakia und beschießen Gebiete mit Zivilbevölkerung. Das Gouvernement kann als ein Herzstück der von Assads Regierung kontrollierten Gebiete bezeichnet werden.
Dort befindet sich auch die russische Luftwaffenbasis, der Militärflugplatz Hmeimim (häufig mit Khmeimim transkribiert). Die wiederholten Angriffe der dschihadistischen Milizen werden für den intensiven Einsatz des russischen Militärs, bei dem auch Spezialkräfte dabei sein sollen, eine Rolle spielen.
Bedeutende militärische Fortschritte gegen den hartnäckigen Gegner gebe es keine. Das Kriegsgeschehen stagniere, so AP. Der Erfolg von Assad hänge von größeren politischen Entscheidungen ab, wird der amerikanische Syrien-Beobachter Sam Heller zitiert.
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Information der Nachrichtenagentur, wonach die Hizbollah nicht an den Kämpfen teilnimmt, was die syrischen Bodentruppen, die zum Teil aus dem "Kanonenfutter" von Ex-Rebellen bestehen, schwächen dürfte. Dazu kommt, dass die Dschihadisten den syrischen Panzern mit den TOWs, an die sie gelangt sind, zusetzen sowie ihre Fähigkeiten zum asymmetrischen Krieg, die sie auf dem unwegsamen Gelände ausspielen können.
Die Türkei und die Islamisten gegen Assad
Wie nach dem Sieg der syrischen Regierungstruppen in Aleppo deutlich wurde, spielte schon damals das Verhalten der Türkei eine bedeutende Rolle. Das gilt für Idlib ganz besonders. Dort besetzt die Türkei Beobachtungsposten der sogenannten entmilitarisierten Zone, die von der HTS-Regierung kontrolliert wird. Die Art der Zusammenarbeit zwischen den Dschihadisten und türkischen Vertretern ist immer wieder Gegenstand von Spekulationen. Gewiss ist, dass es einen Draht zwischen beiden gibt, sonst könnten die von der Türkei bestückten Beobachtungsposten gar nicht besetzt werden.
Darüber hinaus gibt es auch Anzeichen dafür, dass die Kooperation über Gewährenlassen hinausgeht. Einem Bericht des Reporters Danny Makki von Ende Mai zufolge wird die "Eskalation in Idlib" in den Zonen, die von der syrischen Regierung kontrolliert werden, als "Kampf gegen die Türkei geschildert". Dass der von der Türkei offen unterstützte Milizenverband Nationale Befreiungsfront (National Liberation Front, NLF) sich mit dem HTS im Kampf gegen die syrische Armee verbündet hat, spricht, wie auch Angriffe von syrischer Seite auf türkische Militärs in Idlib dafür, dass diese Wahrnehmung nicht aus der Luft gegriffen ist.
Auch die Tatsache, dass die syrische Regierung keines der beiden wichtigen Ziele in Idlib erreicht hat, die Kontrolle über die Verbindungsstraße zwischen Damaskus und Aleppo oder die Einnahme der Stadt Idlib, das Makki als Ziel nennt, ist ein Zeichen dafür, dass die Türkei blockiert. Sie ist laut der Vereinbarung von Sotschi, die sie im September letzten Jahres mit Russland getroffen hat, dafür verantwortlich, zumindest für die Kontrolle der Verbindungsstraße durch Damaskus zu sorgen.
Solange diese Verbindung nicht hergestellt ist, besteht für die syrische Bevölkerung keine Aussicht darauf, dass die Auswirkungen der Sanktionen zu lindern wären.