Ikea, Reeperbahn und Schakale

Die deutsche Wirklichkeit auf den Hofer Filmtagen

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"Es kommt nicht auf die Form an, sondern auf die Einstellung" (Hansi Krankl "Frankreich, wir kommen"). Weise Botschaften großer Fußballphilosophen säumten die kurzen Wege der Hofreisenden an diesen Filmtagen, dort wo das deutsche Kino seine alljährliche Bestandsaufnahme vollstreckt. Der Vergleich von Fußball und Filmkunst fiel nicht immer zugunsten der Branche aus.

Das vor kurzem noch beklagte Fehlen von Fußballfilmen wurde in Hof ausgiebig behoben. Vier Produktionen befassten sich mit dem Wesen des Fußballjunkies: Der Österreicher Michael Glawogger widmete sich mit "Frankreich, wir kommen" dokumentarisch einer Reihe irrwitziger Fans, der Ungar Pèter Tímár zeigte in "6:3" eine charmante Parabel zum legendären Ungarn-Sieg über England im Jahre '59, und der Trainer Rudi Gutendorf wurde in einer Dokumentation von Rudolph Herzog und Christian Weisenborn gewürdigt.

Die deutsche Spielfilmabteilung wollte es besonders gründlich machen. "Fußball ist unser Leben" vermischt viele derzeit angesagte Stile, so die englische Milieu-Studie a la "Ganz oder gar nicht" mit der Entführungs-Farce nach Coenschen Vorbild. Uwe Ochsenknecht spielt einen arbeitslosen Schalke-Fan, der seine familiären Probleme nicht in den Griff kriegt, stattdessen lieber das Schicksal des Vereins retten will. Eine versehentliche Entführung eines Schalke-Stars erweckt die Idee, den verlotterten Stürmer im privaten Keller wieder auf Vordermann zu bringen. Doch am Ende zählt die Fitness wenig, die Einstellung ist entscheidend. Auch wenn Ochsenknecht und seine Kollegen als tumbe Brauseköpfe gut rüberkommen, die Summe der vielversprechenden Versatzstücke ergibt weniger als erwartet. Regisseur Tomy Wiegand kam es zu sehr auf die Form an, motiviert war er mit Sicherheit, Einstellung hatte er womöglich gar keine.

Technisch is alles o.k., aber der Wille fehlt

Uwe Ochsenknecht "Fußball ist unser Leben"

Das kann man von Anderl Lechners "Schmetterlinge der Nacht" nicht sagen. Schnaubend stand der nette Münchner im Foyer herum. Sein aufgemotzter Amateur-Film war im Katalog vergessen worden, und er witterte einen Komplott, weil er "absolut independent" produziert habe, was den Firmen natürlich nicht passe. Seine Vision vom unabhängigen Film erwies sich dann als 90-Minuten-Derrick unter Vermeidung von Logik, Geist und Originalität. So lässt sich keine Aufbruchstimmung erzeugen.

Seine von Hochschulen getrimmten Kollegen hatten hingegen kaum größeren Ehrgeiz, als Sorgfältiges abzuliefern. Allerdings offenbarte sich ein Bedürfnis, näher an der deutschen Realität zu filmen, und nicht nur in Yuppie-Wohnzimmern, wie zu Katja Riemanns goldenen Zeiten. Z.B. spinnen sich fünf Filmhochschüler aus München in dem holperigen Episodenfilm "Midsommar Night Stories" über die Möbelfirma Ikea aus.

Andere hatten mehr Geld zur Verfügung und schossen wieder über das Ziel hinaus. Viel beklatscht wurde komischerweise "Schnee in der Neujahrsnacht", der Erstling von Thorsten Schmidt. Eine Weihnachtsgeschichte für Pärchen in der Kuschelphase, nun gut. Leider aber auch ein Beispiel des derzeit grassierenden Aktionismus. Die lose verwobenen Episoden wurden so mit verschnarchten Sensationen, wie etwa einem entlaufenen Bären, angereichert, dass selbst einem guten Schauspieler wie Jürgen Tarrach, keine Chance blieb als zu chargieren. Die Fußballweisheit "Das Ergebenis zählt" kann in diesem Falle nur das Kassenergebnis betreffen.

"Ein Haubentaucher!" (Gustav-Peter Wöhler "Erleuchtung garantiert") Ökonomischer gingen Volker Einrauch und Klaus Krämer mit ihren Zutaten um. Des einen Reeperbahn-Komödie "Gangster" und des anderen makaberes Kammerspiel "Drei Chinesen mit dem Kontrabaß" sind beide vorzüglich besetzt und präzise geschrieben und inszeniert. Bald sollen sie im Kino zu sehen sein und sie lassen auf Dauer für eine gewisse Basisqualität hoffen. Leider wagen sich beide Regisseure nicht aus ihrem Genre heraus. Auch deshalb erscheint der deutsche Film in diesem Herbst als eine Ansammlung verschiedener Projekte - und nicht Kunstwerke -, die mehr oder weniger gelungen sind. Ausgegangen wird von einer Aufgabenstellung, nicht von einer Inspiration.

Es ist also kein Wunder, dass in Hof nur "Erleuchtung garantiert" von Doris Dörrie mit Spannung erwartet wurde. Bei Dörrie weiß man nicht, was kommt. Sie kennt die Genres gut genug, um sie wieder vergessen zu können. So drehte sie diesmal auf Amateur-Videogeräten die dünne Erzählung von zwei sehr unterschiedlichen Brüdern, die in ein Zen-Kloster fahren. Die beiden lesen sich auf der Reise nach Japan aus dem Lehrbuch vor, darüber, dass Leben Leiden heiße, und über die Heiterkeit und Erhabenheit des Haubentauchers. Sie lachen und streiten viel. Im Kloster werden sie ruhiger, auch der Film entspannt sich und verzichtet am Ende auf jeden Knalleffekt. Auf die Erkenntnis kommt es an.

"Erleuchtung garantiert" setzt auf die Geduld des Publikums. So kann einem beim Zuschauen schon mal der Hintern weh tun. Doch im Vergleich zu den Kollegen ist Dörrie der heitere Haubentaucher. Sie macht, was ihr Spaß macht, die Branchenmechanismen scheinen ihr egal. Hätte der deutsche Film mehr von ihrer Sorte, vielleicht nicht alle Buddhisten, sondern auch wütende, versponnene oder kranke Filmemacher, dazu humorvolle Könner wie Einrauch und Krämer, dann könnte das Gewimmer über den Mangel an Qualität und Vielschichtigkeit eine Weile eingestellt werden.