Im Bann der Schwarzen Listen
Auch in Europa werden Grund- und Flüchtlingsrechte im "Krieg gegen den Terror" ausgehöhlt
Guantanamo ist zu einem Synonym für eine Politik geworden, bei der unter dem Stichwort "Krieg gegen den Terror“ über Jahrzehnte erkämpfte Grund- und Menschenrechte über Bord geworfen werden. Viele europäische Politiker sprechen von dem Irrweg der US-Politik, von denen Europa höchstens durch geheime CIA-Lager in einigen Ländern betroffen gewesen sei. Dabei hat der „Krieg gegen den Terror“ auch in verschiedenen europäischen Ländern Menschenrechtsstandards ins Rutschen gebracht. Anders als in den USA gibt es dafür nicht einen bestimmten Ort wie Guantanamo. Das war das Ergebnis einer Konferenz in Kopenhagen, an der Juristen, Mitglieder von Nichtregierungsorganisationen und politische Aktivisten aus verschiedenen europäischen Ländern, aber auch aus dem Nahen Osten und Lateinamerika über Anti-Terror-Gesetze und die Einschränkung politischer Grundrechte in Europa berieten.
Die Aushöhlung von lange Zeit für sakrosankt gehaltenen Grundrechten hat viele Namen, meinte der belgische Rechtsanwalt Jan Fermon. Einer könnte den Namen der belgischen Stadt Gent tragen. Dort wurde kürzlich eine besondere Art von Rechtsgeschichte geschrieben. Zu Haftstrafen zwischen 5 und 7 Jahren wurden vier Mitarbeiter eines Informationsbüros verurteilt, die dort seit Jahren über die Situation in den türkischen Gefängnissen aufklärten und Texte sowie Erklärungen ins Netz stellten. Die belgische Justiz wertete diese an und für sich legalen Tätigkeiten als Unterstützung einer kleinen marxistischen Gruppe, die in der Türkei verboten ist und mittlerweile auf den Schwarzen Listen von EU und USA steht. Das Gericht schloss sich der Auffassung der Staatsanwaltschaft an, dass in diesem Fall ganz legale Büroarbeiten als Unterstützung einer terroristischen Organisation zu sanktionieren seien. Für Fermon hat das Urteil aberwitzige Folgen:
Jahrelang wurde von den EU-Behörden der Türkei aufgetragen, sie solle ihr Justiz- und Rechtssystem nach europäischen Standards verändern. Nun werden Teile des inkriminierten türkischen Rechtssystem in europäische Rechtswirklichkeit übertragen.
Den türkischen Behörden war das kleine Brüsseler Informationssystem schon seit Jahren ein Dorn im Auge. In führenden türkischen Medien war es mehrmals Aufmacher von großen Artikeln, die beklagten, dass die europäischen Staaten nicht entschieden gegen „terroristische Gruppen“ vorgehen. Nach dem Urteil von Gent zieht diese Kritik nicht mehr.
Für den Strafverteidiger Fermon ist das in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommene Urteil nur ein Baustein für die Veränderungen der Rechtssysteme im Zeitalter des Krieges gegen den Terror und die Macht der so genannten Schwarzen Listen. Selbst höchstrichterliche Urteile sind da kein Schutz, meint der Jurist mit Verweis auf einen Mandanten, der in einer Antipressionsgruppe mitgearbeitet hatte, die später auch zu islamistischen Kreisen Kontakte gehabt haben soll. Sein Klient sei aber schon längst ausgetreten und hat sich immer vom Islamismus distanziert. Das wurde ihn von belgischen Gerichten bestätigt. Doch weiterhin gilt er als verdächtig, kann kein Konto eröffnen und wird auf Schritt und Tritt beobachtet.
Flüchtlingsrechte ausgehebelt
Auch in Deutschland wurde im Dezember 2005 bekannt, wie schnell Menschen auf so genannte Schwarzen Listen kommen können und wie schwer es ist, seine Umschuld zu beweisen. Die Dunkelziffer ist hoch. Denn wenige Menschen gehen überhaupt an die Öffentlichkeit, wenn sie plötzlich erfahren, dass sie als terrorverdächtig gelten. Zu groß ist die Gefahr der öffentlichen Stigmatisierung. Besonders betroffen davon sind Menschen, die am wenigsten Rechte haben, z. B. Flüchtlinge und Asylbewerber.
So ist es nicht verwunderlich, dass Menschen aus Regionen oder Ländern, die als Zentren terroristischer Aktivitäten gelten, am schnellsten die Abschiebung droht. Mit einer Einzelfallprüfung will man sich da erst gar nicht aufhalten. Das trifft für Asylbewerber aus dem Irak dazu, denen ein Bleiberecht generell abgesprochen wird, obwohl nach Einschätzung vieler Analysten das Land vor einem unerklärten Bürgerkrieg steht. Das betrifft aber auch tamilische Flüchtlinge aus Sri Lanka, die trotz des Wiederaufflammens der Kämpfe zwischen den Tamilen-Rebellen und der Regierung die Abschiebung droht. Menschenrechtler finden wenig Gehör, die davor warnen, dass selbst außerhalb der unmittelbaren Kampfgebiete die Gefahr von Todesschwadronen groß ist.
In vielen Ländern des EU-Raumes werde der Grundsatz, dass Flüchtlinge nicht in Regionen abgeschoben werden dürfen, in denen ihnen Gefahr für Gesundheit und Leben droht, nicht eingehalten, wenn es um Menschen geht, die Organisationen zugerechnet werden, die als terroristisch gelten, wurde auf der Konferenz deutlich. So berichtete Desmond Fernandes von der Kampagne gegen Kriminalisierung in Großbritannien über eine zunehmende Diskursverschiebung in seinem Land. Die illegale Einwanderung soll mit allen Mitteln bekämpft werden. So sollen ab den 1.01.07 sogar spezielle Hotlines eingerichtet werden, über die illegale Migranten und Arbeiter denunziert werden können. Die ganze Aktion steht unter dem Oberbegriff „Crimestopper“. Die konservative Opposition wirft der Regierung vor, die illegale Migration als das „ am schnellsten wachsende und gemeinste Verbrechen“ zu lange ignoriert zu haben.
„Die Rechte der Einwanderer kommen in dieser Diskussion überhaupt nicht mehr vor“, meinte Fernandes. Darum kümmern sich Flüchtlingsorganisationen und Menschenrechtsgruppen wie Statewatch, die allerdings die Öffentlichkeit nur begrenzt erreichen können.
Etwas faul im Staate Dänemark
Die Frage der Öffentlichkeit hat sich übrigens am Konferenzrot selber prägnant gestellt. Denn in Terrorverdacht kommen in Dänemark auch Umweltorganisationen wie Greenpeace und Reporter bekannter Zeitungen.
Zufälligerweise war in den Medien viel über den Prozessbeginn gegen zwei Journalisten der konservativen dänischen Zeitung Berlingske Tidende zu lesen. Sie hatten im Frühjahr 2004 aus einem Geheimdienstbericht zitiert, der die offizielle Lesart der konservativen Regierung bei ihrer Beteiligung am Irakkrieg in Frage stellt. In dem Bericht wurde eindeutig erklärt, dass es keine sicheren Informationen über Massenvernichtungswaffen unter dem Saddam-Regime gibt (Gefährdung der nationalen Sicherheit). Zur gleichen Zeit rechtfertigte der dänische Premierminister das umstrittene Irakengagement seiner Regierung mit dem Satz: „Dass Saddam solche Waffen hat, ist nicht etwas, was wir glauben, sondern das wir wissen.“
Ein Geheimdienstmitarbeiter, der aus politischen Gründen den Bericht an die Berlingske Tidende faxte, wurde mittlerweile zu einer viermonatigen Gefängnisstrafe ohne Bewährung verurteilt. Den beiden Journalisten könnte bei einer Verurteilung eine ähnliche Strafe drohen. Von der dänischen Regierung, die noch das hohe Lied der Pressefreiheit sang, als die von der Zeitung Jyllands-Posten abgedruckten Mohammed-Karikaturen in die Schlagzeilen gerieten, haben sie keine Unterstützung zu erwarten. Dafür haben die beiden Reporter aber einen Großteil der veröffentlichten Meinung hinter sich.
Die kleine linke Tageszeitung Arbejderen hingegen muss sich die Öffentlichkeit selbst organisieren. Weil sie einen Aufruf dokumentierte, in der die Politik der Schwarzen Listen in Dänemark kritisiert wurde, bekam sie Besuch von der Polizei. Zuvor musste der Aufruf schon von der Homepage der Rot-Grünen Allianz, einer linksökologischen dänischen Parlamentspartei, entfernt werden. Der Aufruf wurde verfasst, weil Mitarbeiter der dänischen Gruppe Opror wegen Unterstützung der beiden auf den Schwarzen Listen stehenden Organisationen FARC und PFLP angeklagt wurden. Ende April soll das Verfahren vor Gericht beginnen, das von Juristen und Menschenrechtlern beobachtet werden soll. Auch Jan Fermon hat sich den Termin schon notiert. So unter Ausschluss jeder Öffentlichkeit wie in Gent wird das Verfahren in Dänemark wohl nicht über die Bühne gehen.