Im Kongo künftig einen Fuß in der Tür
Die Bundeswehr zieht in den Kongo, doch Kritiker zweifeln daran, ob sie wirklich zur Sicherung der Wahlen beitragen kann
Am Donnerstag vergangener Woche hat der Bundestag einem der seit langem umstrittensten Auslandseinsätze der Bundeswehr zugestimmt. Maximal 780 Bundeswehrsoldaten sollen sich an einer EU-Mission in der Demokratischen Republik Kongo beteiligen, die restlichen Soldaten, vermutlich in etwa noch einmal 1000, werden überwiegend von Frankreich und Belgien gestellt. Beide Länder haben eine lange Tradition der Einmischung in die kongolesischen Verhältnisse. Besonders die ehemalige belgische Kolonialmacht hat nicht nur ein besonders blutiges Kolonialregime betrieben, sondern war im Januar 1961 auch an der Ermordung des ersten freigewählten Präsidenten des Landes, Patrice Lumumba, beteiligt. In den folgenden Wirren gelangte der Diktator Mobuto an die Macht, der eng mit den US-amerikanischen Interessen verbunden war. Nach dem Mobuto 1997 endlich gestürzt wurde, übernahm der später ermordete Laurant-Désiré Kabila die Macht, der Vater des jetzigen Übergangspräsidenten Joseph Kabila, der von Paris und Brüssel unterstützt wird.
Derlei vorbelastete Staaten sollen also mit ihren Soldaten bei der Stabilisierung des Kongos helfen, wie es heißt. Nicht nur Bundestagsabgeordnete, die sich im Kongo etwas umgeschaut haben, wie das linke Aushängeschild der Grünen, Hans-Christian Ströbele, argumentieren mit der menschlichen Katastrophe, die sich im Kongo abspielt. Auch einige Hilfsorganisationen führen das Leid der Menschen an, um die Entsendung von Militär zu fordern. Der Nothilfekoordinator von Care International in Genf Carsten Völz kritisierte gar gegenüber Telepolis, dass der geplante Einsatz viel zu gering ausfalle. „Die humanitäre Lage ist nach wie vor katastrophal“, so Völz.
Es sterben täglich über 1000 Menschen an den Folgen des Krieges. In der Kupferprovinz Katanga in Südwesten des Landes finden zum Beispiel derzeit Kämpfe zwischen der regulären Armee und Rebellen statt, die in den Dschungel ausgewichen sind. Diese Einheiten überfallen dann, wie uns vorort berichtet wurde, Dörfer, plündern sie aus, töten einen Teil der Bewohner, vergewaltigen, brennen die Häuser nieder und ziehen dann weiter. Ein paar Tag später kommen die Regierungstruppen und führen sich auch nicht viel besser auf.
Carsten Völz, Nothilfekoordinator von Care International in Genf im Gespräch mit Telepolis
In dem seit 1998 tobenden Bürgerkrieg, der nach offizieller Lesart beendet ist, sind 3,8 Millionen Menschen ums Leben gekommen. Derzeit beträgt die Einwohnerzahl des Riesenlandes etwa 58 Millionen. Knapp 20 Prozent der Menschen ist nicht ausreichend ernährt, weil sie auf der Flucht leben, und daher keine Nahrungsmittel anbauen können. Sie sind von Hilfslieferungen abhängig, doch dafür fehlt es an Geld.
Wir hatten im Februar einen dringenden Appell veröffentlicht, dass 680 Millionen US-Dollar gebraucht werden. Bisher wurde nur ein zweistelliger Millionenbetrag zugesagt, und davon ist bis Ende Mai nur der geringere Teil überwiesen worden. Und dass, obwohl täglich 1300 Menschen mit ausreichender Hilfe gerettet werden könnten.
Carsten Völz
Die jetzt im Bundestag beschlossene Militärmission soll hingegen nach Angaben der Linksfraktion 60 Millionen Euro oder rund 76 Millionen US-Dollar kosten, und ob sie tatsächlich etwas zur Befriedung des Kongos beitragen kann, muss bezweifelt werden. Offiziell dient sie zur Absicherung der Wahlen, deren erste Runde am 30. Juli stattfindet. 216 Parteien und 33 Präsidentschaftskandidaten stellen sich zur Wahl. Das Mandat des Bundeswehreinsatzes ist auf vier Monate beschränkt, aber in der Bundestagsdebatte wurde es von einigen Rednern als offenes Geheimnis gehandelt, dass es dabei wohl kaum bleiben wird. Unter anderem ist noch vollkommen offen, ob der zweite Wahlgang in diesen vier Monaten stattfinden kann.
Die Ungereimtheiten um die Dauer der Mission sind nur einer von vielen Kritikpunkten. Auch die offizielle Aufgabenbeschreibung ist nicht besonders glaubwürdig. Wie sollen 1.000 oder 2.000 Soldaten in einem Land der Größe Westeuropas Wahlen sichern? Erst recht, wenn sie nur in der Hauptstadt Kinshasa und im Nachbarland Gabun stationiert sind. Das UN-Nachrichtennetzwerk zitiert denn auch eine anonym bleibende Quelle aus dem Berliner Verteidigungsministerium, die davon spricht, dass es vor allem um die etwaige Evakuierung von Zivilisten geht. Es würden Flugzeuge bereitgestellt, die für den Transport von Verletzten geeignet sind. Die europäischen Soldaten werden vor allem den Flughafen in Kinshasa kontrollieren, außerdem wird in Gabun ein Kontingent von Fallschirmspringern stationiert, das „im Bedarfsfall“ eingreifen soll. Das Kommando der EU-Mission übernimmt der deutsche General Karlheinz Viereck.
Die Sicherheit der Wahlen wird wohl, wenn überhaupt, eher die 17.000köpfige UN-Mission MONUC gewährleisten. Die ist seit sechs Jahren im Land und hat 16 regionale Büros eingerichtet, um den Behörden bei der Vorbereitung der Wahl zu helfen. Unter anderem ist sie damit beschäftigt, die Millionen von Wahlzetteln im Lande zu verteilen, was hauptsächlich auf dem Luftwege geschieht, da es kaum Fernstraßen, geschweige denn Eisenbahnen gibt. Die Soldaten der MUNOC kommen ausschließlich aus Entwicklungsländern: 1.323 aus Bangladesch, 200 aus Bolivien, 175 aus Indonesien, 3.563 aus Pakistan, 1.339 aus Uruguay, 218 aus China und so weiter. Wolfgang Gehrcke von der Linksfraktion warf den Abgeordneten der Regierungsparteien vor, sie hätten hinter vorgehaltener Hand als Argument für die EU-Militärmission angeführt „europäische Truppen (hätten) eine höhere Abschreckungswirkung als Pakistaner oder andere“, doch das wies man natürlich empört von sich.
Ursprünglich hatten Paris und Berlin sich der MUNOC anschließen und sie aufstocken wollen, doch dafür gab es im UN-Sicherheitsrat keine Zustimmung. Stattdessen habe man die Europäer zu ihrer eigenen Mission aufgefordert, heißt es seitens der Regierungsfraktionen. Doch solche Aufforderungen kennt man in Deutschland schon. Bereits bei den ersten Auslandseinsätzen haben die jeweiligen Bundesregierungen so lange hinter den Kulissen gedrängelt, bis es von der UNO oder den NATO-Verbündeten entsprechende Bitten gab.
Fragwürdige Interessen am Einsatz
Die Frage ist also, mit welcher Motivation man sich in Paris und Berlin in dieses Unternehmen stürzt, von dem die Redner der Liberalen in der Bundestagsdebatte meinten, es sei dilettantisch vorbereitet. Die nächstliegende Annahme wäre vielleicht, man wolle mit den Vorbereitungen für die Evakuierung jenen europäischen Geschäftsleuten ein Sicherheitsnetz spannen, die nun, da sich die Lage zu beruhigen beginnt, vermehrt ins Land strömen. Aber dafür ist der Aufwand ein bisschen zu groß. Außerdem müsste man mit einem solchen Argument wohl kaum hinterm Berg halten und die Wahlen vorschieben. Wahrscheinlicher ist da schon, dass Paris und Berlin einfach ihre neue militärische Zusammenarbeit testen und vor allem im Kongo einen Fuß in der Tür schieben wollen.
Immerhin ist Kongos Reichtum an Kupfer, Gold, Diamanten und anderen Mineralien aller Art legendär. In der Kupferprovinz Katanga im Südwesten des Landes ist es wegen dieser Rohstoffe in den Jahren nach der Unabhängigkeit wiederholt zu separatistischen Aufständen und Putschversuchen gekommen. Zwischenzeitlich war es allerdings um Kongos Schätze etwas ruhiger geworden. In den 1980er und 1990er Jahren sah es vorübergehend so aus, als würde der alte Glanz der Minenwirtschaft verbleichen. Eine lahmende Weltwirtschaft und der zunehmende Einsatz von Substituten wie zum Beispiel Glasfaserkabel schien das Ende der herausragenden Bedeutung der natürlichen Rohstoffe für die industrielle Produktion einzuläuten. Die Preise für Kupfer und viele andere Rohstoffe fielen immer tiefer, und die Lieferantenländer verfingen sich in der Schuldenfalle. Kredite, aufgenommen zu Zeiten niedriger Zinsen und einträglicher Exporte in den 1970er Jahren waren mit einem Mal nicht mehr bezahlbar. Insbesondere Afrika wurde regelrecht von der Weltwirtschaft abgekoppelt.
Diese Zeiten sind allerdings seit einigen Jahren passé. Die Preise der meisten Metalle befinden sich wie das Erdöl im Höhenflug. Zum Teil erreichen sie Dank des Booms der Weltwirtschaft historische Höchstwerte. Mit dem Aufkommen des Handy begann zudem der Run auf das seltene Mischkristall Coltan, von dem der Kongo eines der weltweit größten Vorkommen besitzt. Auf dem Höhepunkt der Dot.Com-Blase vor sechs Jahren war Tantal, eines der Coltan-Bestandteile, teurer als Silber. Zwischenzeitlich, so Roman Nico Marfels vom Afrika-Verein in Hamburg im Gespräch mit Telepolis, ist sein Preis allerdings stark gefallen. Die neuen Handys würden nur noch sehr kleine Mengen des seltenen Metalls benötigen.
Der Afrika-Verein ist für die deutsche Wirtschaft die erste Interesse, wenn es um Unterstützung bei der Anbahnung von Geschäftskontakten südlich der Sahara geht. Allerdings legt man gesteigerten Wert auf die Feststellung, dass man nichts mit „solch dubiosen Geschäftsleuten“ zu tun hat, die während des Bürgerkrieges ihr Geld mit Waffen und Rohstoffen machten, darunter auch einige Deutsche.
Tatsächlich ist der Kampf um die Kontrolle der Minen einer der wesentlichen Motoren des Bürgerkriegs gewesen. Selbst eine Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen hält das fest, ohne allerdings gegen die beteiligten Firmen aus Europa, Nordamerika, Südafrika oder Australien Sanktionen zu verhängen. Unternehmen und Geschäftsleute haben oft Konzessionen von den zahlreichen verschiedenen Rebellengruppen erworben, die sich mit dem Geld erst richtig bewaffnen konnten. Mitunter wurden die „Konzessionen“ auch bestellt, das heißt Warlords wurden dafür bezahlt, ein bestimmtes Gebiet mit den dortigen Rohstoffvorkommen einzunehmen, die dann ausgebeutet werden konnten.
Aber auch gegenüber der Regierung in Kinshasa haben ausländische Bergbauunternehmen die Gunst der Stunde genutzt, und für sich äußerst vorteilhafte Verträge ausgehandelt. Der staatliche Bergbaukonzern Gecamines ist inzwischen nur noch eine Holding, der keine Minen mehr direkt betreibt. Diese befinden sich nun in der Hand ausländischer Unternehmen, und in den Kassen des Finanzministers in Kinshasa landet von dem enormen Reichtum kaum ein Cent. Dafür offensichtlich in den Taschen des einen oder anderen einflussreichen Politikers, wie der so genannte Lutundula-Bericht festhält, den eine kongolesische Parlamentskommission erstellt hat. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass die ausländischen Unternehmen meist für unverhältnismäßig lange Perioden von bis zu 30 Jahren von Steuern und Abgaben befreit wurden, und dass in den seltensten Fällen eine staatliche Kontrolle stattfindet. In Gemeinschaftsunternehmen, die der kongolesische Staat mit ausländischen Minengesellschaften eingegangen ist, würde dieser sich meist wiederum durch Privatunternehmen vertreten lassen, und zwar solche, die in Steuerparadiesen registriert seien. Derlei hat sich bis in den Bundestag herumgesprochen. Und nicht nur bei der Linksfraktion, sondern auch bei den Liberalen fragt man sich, welchen Interessen angesichts dessen eigentlich der Bundeswehreinsatz nutzen wird:
Es ist eine absurde, geradezu tieftraurige Situation, dass eines der reichsten Länder Afrikas sich durch so unvorstellbare Not auszeichnet. Aber es sind ja gerade diese enormen Ressourcen, die Bodenschätze, die dieses Land schon so lange zum Spielball von Kolonialherren, von Interessenvertretern aus aller Welt und von korrupten Machteliten im eigenen Land machen. An dieser Stelle stellt sich die Frage nach den Interessen der beteiligten Parteien, auch derjenigen, die jetzt hilfreich intervenieren wollen. Ich bezweifle, dass sich diese Interessen zur Deckung bringen lassen, erst recht mit den deutschen Interessen.
Werner Hoyer, FDP
An dieser Stelle könnte ein Blick in das Weißbuch weiterhelfen, das Verteidigungsminister Franz Josef Jung hat schreiben lassen. Das Werk ist noch nicht vom Kabinett abgesegnet, und daher bisher nicht veröffentlicht (Deutsche Kriege für das "nationale Interesse"?). Die Springer Zeitung Welt scheint jedoch ein Exemplar zu haben, aus dem es referiert, dass „deutsche Interessen“ zukünftig auch mit militärischen Mitteln durchgesetzt werden sollen. „Hierbei gilt es wegen der Export- und Rohstoffabhängigkeit Deutschlands, sich besonders den Regionen, in denen kritische Rohstoffe und Energieträger gefördert werden, zuzuwenden.“ Das würde die Sichtweise stützen, nach dem mit der EU-Militärmission im Kongo vor allem ein Fuß in die Tür gesetzt werden soll – wie gesagt : Ein Fuß, aber noch kein Panzer, wie es die USA im Irak machen. Auch die Äußerungen zweier konservativer Abgeordneter deuten auf das Rohstoffmotiv:
Wir haben aber auch ein Interesse daran (...), dass die Rohstoffe nach einem fairen Verfahren so abgebaut werden, dass sie auch von Ländern wie der Bundesrepublik Deutschland genutzt werden können. Gerade wir, die wir in einem rohstoffarmen Land leben, das Exportweltmeister ist, haben an diesen beiden Elementen ein enormes Interesse. Deswegen ist es wichtig, den Kongo und andere rohstoffreiche Staaten in ein faires internationales System einzubinden, in dem die Rohstoffe, die in ihren Ländern abgebaut werden, auch ihrer eigenen Bevölkerung zugute kommen können.
Eckart von Klaeden (CDU/CSU)
(Der) Kongo ist eines der ressourcenreichsten Länder der Welt und verfügt vor allem über strategische Rohstoffe, die für Europa wichtig sind: Wolfram, Mangan- und Chromerze, Kobalt, Uran, Erdöl, Coltan, Beryllium. Europa und Deutschland haben ein Interesse daran, dass der Abbau dieser Ressourcen legal und nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten erfolgt.
Andreas Schockenhoff, Stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Schockenhoff betonte im Bundestag (wie auch von Klaeden), dass die Ausbeutung der Rohstoffe auch der Bevölkerung des Kongos zu gute kommen solle. Der Völkerrechtler Norman Paech von der Linksfraktion fragte ihn daraufhin:
Herr Schockenhoff, meinen Sie etwa, dass das Militär (gemeint ist der Bundeswehreinsatz) auch die Verstaatlichung der Rohstoffe zum Nutzen der kongolesischen Bevölkerung, wie jüngst in Bolivien geschehen, absichern wird?
Entsprechende Gedanken, dem bolivianischen Beispiel zu Folgen, scheinen sich auch im Kongo aufzudrängen. Nur fehlt es dort bisher an einem politischen Akteur, der das zerrissene Land hinter einem solchen Projekt vereinen könnte. Immerhin hat aber die erwähnte Parlamentskommission im Lutundula-Bericht die Wiederbelebung der staatlichen Minengesellschaft Gecamines und die Neuverhandlung der Konzessionsverträge gefordert – und viel mehr macht Evo Morales in Bolivien derzeit eigentlich auch nicht. Dennoch spucken die europäischen Regierungen Gift und Galle, wie man Mitte Mai auf dem EU-Lateinamerika-Gipfel in Wien sehen konnte.
Da ist also kaum anzunehmen, dass Berlin und Paris ihren Einfluss in Kinshasa, den sie nun ein wenig militärisch unterfüttern wollen, nicht nutzen würden, um entsprechende Pläne zu hintertreiben. Aber natürlich nur, so lange deutsche oder französische Unternehmen betroffen sind, was derzeit nicht der Fall ist. Die Freimütigkeit mit der hierzulande die Politiker der Regierungsfraktion die Zustände in den Bergbaugebieten des Kongos kritisieren, rührt sicherlich auch daher, dass man sich erhofft, heimische Konzerne könnten bei einer Neuverhandlung der Konzessionen besser zum Zuge kommen.
Am Rande der Bundestagsdebatte gab es übrigens eine interessante Einlassung des SPD-Abgeordneten Christoph Strässer, der sich gegen Vorwürfe Norman Paechs verwahrte. Der hatte gesagt, in Afghanistan und dem Irak könne man sehen, dass mit militärischen Interventionen keine Demokratie herzustellen sei. Strässer fand den Vergleich mit dem Kongo „zynisch“ und meinte: „Der Irakkrieg war ein Angriffskrieg, dem wir mit guten Gründen widerstanden haben.“ Angesichts dessen, dass für den Krieg gegen den Irak auch US-Basen in Deutschland in großem Umfang genutzt wurden, müsste der gute Mann nun eigentlich seine Parteikollegen in der seinerzeitigen Bundesregierung wegen Beihilfe zum Führen eines Angriffskrieges anzeigen, denn dies ist ja bekanntlich nach deutschem Recht strafbar.