Immer noch Analphabeten in Deutschland

Lernchance Computer?

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Medienberichten zufolge können in Deutschland vier Millionen Menschen weder lesen noch schreiben. Elf Millionen Menschen haben eine ausgeprägte Lese-, Schreib- oder Rechenschwäche, meldete die Leipziger Volkszeitung bereit 1998 zum Welttag der Alphabetisierung. Dieser Tag wurde am 8. September mittlerweile zum 37. Mal begangen und soll nicht nur aufrütteln, sondern vielmehr Betroffenen Mut machen, sich zu einem Kurs anzumelden. Fast jede Volkshochschule hat inzwischen entsprechende Angebote im Programm.

In einem Land mit einer hochmodernen Industrie- und Medienwirtschaft leben immer noch bis zu vier Millionen Menschen, die ihren Analphabetismus vor ihren Mitmenschen mehr oder weniger geschickt verstecken. Zwar kommen ihnen die audio- und visuellen Medien – Radio und Fernsehen - bei der Bewältigung ihres Lebensalltags entgegen, aber in vielen Situationen müssen sie dennoch erkennen, dass sie ohne Lese- und Schreibfähigkeiten versagen.

Kaum vorstellbar ist es, keinen Brief oder keine Zeitung lesen zu können. Selbst ein Busfahrplan oder eine Plakatwerbung kann eine kaum zu überwindende Hürde darstellen. Keiner der Betroffenen ist in der Lage, sich mal schnell aus dem Internet entsprechende Informationen zu besorgen. Auch beim Ausfüllen einer Überweisung müssen sie tricksen, um ihre Rechnungen begleichen zu können. Bei den Betroffenen handelt es sich offensichtlich nicht um ausländische Mitbürger oder Aussiedler, sondern wirklich um deutsche Staatsbürger, die von Lehrern und Eltern vollkommen durch das Schulsystem gemogelt wurden, um die Schulpflicht zu erfüllen. Sie haben es während der Schulzeit nie geschafft, Lesen, Schreiben oder Rechnen zu lernen.

Analphabeten werden in fünf Gruppen spezifiziert:

- Völlige Analphabeten, die allenfalls ihren Namen schreiben können.
- Analphabeten, die über rudimentäre Lesefähigkeiten verfügen, aber nicht schreiben können. Sie kennen eine Reihe von Buchstaben, sie wissen, dass die Buchstaben Lautwerte repräsentieren und können Einzelwörter lesen.
- In dieser Gruppe ist das Prinzip der Laut-Schrift-Zuordnung verstanden worden, kann aber nur für eine stockende Lesetechnik herangezogen werden; einige Wörter können aus dem Gedächtnis geschrieben werden. - Lese-Schreib-Fähige mit gravierenden Schwierigkeiten. Die dieser Gruppe zuzuordnenden Analphabeten können mit geringen Schwierigkeiten lesen, aber kaum schreiben. Wichtige Phänomene der deutschen Schrift-Laut-Zuordnung (Dehnung, Schärfung, Auslautverhärtung usw.) werden nicht beherrscht. Es bestehen große Schwierigkeiten in der kognitiven Konstruktion von niederzuschreibenden Texten.
- Lese- und Schreibfähige mit spezifischen Schwierigkeiten in der Orthografie, der Interpunktion und der Textkonstruktion.

Obwohl sechs Prozent der Bevölkerung Analphabeten sind und sogar über 30 Prozent der ausländischen Mitbürger, besuchten 1998 nur knapp 20.000 Teilnehmer Kurse, um die Fähigkeiten des Lesen, Schreibens oder des Rechnens aufzubauen oder zu verbessern. Ein Großteil der Kurse wird an Volkshochschulen angeboten. Doch leider muss meistens erst ein akuter Leidendruck vorhanden sein, der die Menschen zur Beratung in die Volkhochschulen treibt. Oft besteht die Gefahr, den Arbeitsplatz zu verlieren oder sich dem neuen Partner offenbaren zu müssen.

Lernchance Computer

Da viele Teilnehmern eine Aversion gegen das Lernen und auch gegen eine Schulform entwickelt haben, ist es für die Analphabeten besonders schwierig, die Kurse durchzuhalten und abzuschließen. Der Computer kann in diesem Bereich als Lernchance angesehen werden, weil er nicht mit dem schulischen Lernen in Verbindung gebracht wird und das Selbstwertgefühl der Kursteilnehmer stärken kann. Die Motivation am Lernen steigert sich.

Eines der bemerkenswerten multimedialen Lernprogramme heißt Alpha City und wurde von der Universität Bremen entwickelt. Es bietet Kursteilnehmern die Möglichkeit, das Gelernte im häuslichen Rahmen zu vertiefen. In 21 Kurseinheiten, die immer audiovisuell begleitet werden, können die Lernenden mit Inhalten arbeiten, die ihrem Erfahrungs- und Erlebnishorizont entsprechen. So lernen sie zum Beispiel eine Speisekarte zu lesen oder Fragen rund um die Bundesliga zu beantworten. Jeder Kursleiter kann das Programm jedoch mit neuen Lerneinheiten ausbauen und den Teilnehmern damit ein individuelles Lernprogramm anbieten.

Dennoch sollten Betroffene sich nicht allein mit irgendeiner Lernsoftware vor dem Computer versuchen, denn gerade in der Gruppenarbeit liegt die Möglichkeit, aktuelle Bewältigungsstrategien auszutauschen und sich gegenseitig Mut zu machen. Das kann kein Computerprogramm abnehmen.