Impfsurv: Charité stoppt Corona-Impfstudie nicht, empfiehlt aber Einstellung

Wieder online, aber nicht wirklich gewollt: Impfsurv-Studie. Bild: charite.de (Screenshot)

Ergebnis von interner Prüfung nach fast fünf Wochen: Methodologische Mängel, aber keine grundsätzlichen Verstöße. Gratwanderung für Uniklinik

Die Berliner Universitätsklinik Charité wird eine umstrittene Studie zu Nebenwirkungen von Corona-Impfungen nicht stoppen. Mitte Mai war eine Charité-Internetseite, auf der die Studie "Impfsurv" des Berliner Gastroenterologen Harald Matthes beworben worden war, offline genommen worden. Inzwischen ist die Seite wieder ohne Einschränkungen erreichbar.

Bei der Impfsurv-Studie handelt es sich um eine Befragung, die seit Juli 2021 läuft. Teilnehmer sollen über Reaktionen auf Coronaimpfungen und mögliche Nebenwirkungen Auskunft geben.

Einer der frühen Kritikpunkte war, dass es sich um eine einfache Umfrage handelt und den Ergebnissen derjenigen, die auf freiwilliger Basis über die subjektiv empfundene Impfverträglichkeit Auskunft geben, keine Placebogruppe gegenübergestellt wird.

Mitte Mai hatte die Charité die vor allem medial in die Kritik geratene Studie zu Corona-Impfnebenwirkungen offline genommen und angekündigt, den Fall binnen zwei Wochen erneut zu untersuchen, um dann über den weiteren Umgang zu entscheiden.

Diese Prüfung dauerte nun über einen Monat, die Pressestelle verschob die Mitteilung des Ergebnisses mehrfach. Das deutet darauf hin, dass der Abstimmungs- und Urteilsprozess im Haus nicht einfach war.

Am späten Freitagnachmittag dann erklärte ein Sprecher der Universitätsklinik, die Fakultät der Charité habe die Methodik der Online-Umfrage inzwischen geprüft: "Hierbei wurde festgestellt, dass diese Arbeit methodische Schwächen aufweist."

Ein Charité-Sprecher erklärte im Einzelnen, es lasse sich:

- "ein Sicherheitsprofil von COVID-19-Impfstoffen ohne ärztliche Beurteilung eines kausalen Zusammenhangs zum verabreichten Impfstoff nicht medizinisch-wissenschaftlich valide erarbeiten;

- Zum einen wurden im Rahmen der ImpfSurv-Studie verwendete Definition von "schweren Nebenwirkungen" weder im Ethikantrag der Untersuchung noch im Studienprotokoll definiert.

- Zum anderen können Personen mehrfach und ungeprüft an dieser Umfrage teilnehmen.

"Charité distanziere sich von Aussagen des Studienleiters"

Die in der Öffentlichkeit von Professor Matthes getätigten Aussagen überschritten, so heißt es in der per E-Mail verbreiteten Erklärung, den Interpretationsspielraum "angesichts der sehr vorläufigen Daten und lassen geäußerte Schlussfolgerungen in Bezug auf die existierende Datengrundlage nicht belegen".

Die Charité distanziere sich deshalb von den getroffenen Aussagen.

Im Sinne der grundgesetzlich geschützten Freiheit von Forschung und Lehre stehe es Professor Matthes aber frei, die Erhebung fortzuführen. Die notwendigen formellen Voraussetzungen zur Durchführung der Impfsurv-Studie, wie ein Ethikvotum, seien erfüllt:

Da aufgrund methodischer Limitationen der Studie jedoch seine bisher öffentlich getätigten Aussagen nicht nachvollziehbar sind, empfiehlt der Vorstand der Charité Professor Matthes, die Studie nicht fortzusetzen.

Gegenüber dem in Berlin erscheinenden Tagesspiegel hatte der Leiter der Infektiologie an der Charité, Leif Erik Sander, schon im Mai bemängelt, dass in der "Impfsurv"-Befragung nicht – wie üblich – zwischen "unerwünschten Ereignissen" und "unerwünschten Arzneimittelwirkungen" unterschieden wird.

Sander beanstandete, dass ein nicht belegter Kausalzusammenhang hergestellt werde, wenn Matthes als Initiator und Leiter der Studie von "schweren Nebenwirkungen" spreche.

Kritisiert wurde auch, dass die Teilnahme an der Umfrage technisch manipuliert und die Ergebnisse auf diese Weise verzerrt werden können. Auch dieser Aspekt des Studiendesigns wurde nun von der Charité noch einmal überprüft.

Schon im Mai hatte Telepolis berichtet, dass zur Entscheidung der Berliner Uniklinik, die Seite offline zu nehmen, offenbar die medialen Auftritte des Studienleiters beigetragen hatten. Diese Analyse bestätigt sich nun die Stellungnahme der Charité.

Studienleiter Matthes mit politischen Forderungen vorgeprescht

Matthes, der auch ärztlicher Leiter des anthroposophischen Krankenhauses Havelhöhe im Westen der Bundeshauptstadt ist, hatte bei der Präsentation von Zwischenergebnisse gegenüber dem MDR weitreichende Rückschlüsse gezogen.

Zum einen sagte Matthes in einem Interview, es seien neurologische Störungen, Nervenlähmungen, Muskel- und Kopfschmerzen und Herz-Kreislauf-Probleme festgestellt worden. Dabei stütze er sich auf Selbsteinschätzungen und Beobachtungen der freiwilligen Studienteilnehmer.

Zum anderen beklagte er eine massive Untererfassung gesundheitlicher Probleme durch Corona-Vakzine und forderte mehr Anlaufstellen für Betroffene.

Die Zahl schwerer Komplikationen nach Impfungen gegen Sars-CoV-2 sei "40-mal höher, als durch das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) bislang erfasst wurde", berichtete auf dieser Basis der Mitteldeutsche Rundfunk, dessen Gesundheitsmagazin Hauptsache gesund Anfang Mai zuerst über die langfristige Beobachtungsstudie berichtet hatte. Damit war die mediale und politische Aufmerksamkeit erst auf die Befragung gelenkt worden.

Denn erst nach den Auftritten von Matthes, der auch eine befristete Stiftungsprofessur am Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité innehat, erreichte der Fall auch die politische Ebene.

Nach Recherchen des Tagesspiegels hatte Berlins Wissenschaftssenatorin Ulrike Gote (Bündnis 90/ Die Grünen) im Wissenschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses auf eine Frage von Tobias Schulze (Die Linke) mitgeteilt, dass die Charité die Studie offline genommen habe.

Die erfolgte Löschung der Charité stelle sich bei näherer Betrachtung "als halbherzig heraus", schrieb auf Telepolis der Wissenschaftsautor Stephan Schleim: "Über den älteren Aufruf bei der Charité kann man sich nämlich immer noch zur Teilnahme anmelden." Nun ist die Seite offiziell wieder online.

Dennoch hatte der Fall umgehend entschiedene Kritiker der Pandemiepolitik auf den Plan gerufen. Vor allem auf Twitter wurde die Entscheidung der Charité umgehend politisch interpretiert und der Ablauf verfälscht dargestellt.