"In Deutschland darf man mit gewissen Leuten nicht sprechen"
Interview mit Daniele Ganser. Die ganz neue Unübersichtlichkeit - Teil 3
Was war der Grund, warum Sie an dem Gespräch mit Karl-Heinz Hoffmann teilgenommen haben?
Daniele Ganser: Ich habe meine Doktorarbeit im Bereich Zeitgeschichte über die geheimen NATO-Armeen in Europa, inszenierten Terror und die Operation Gladio geschrieben. Das Buch wurde 2008 auf Deutsch publiziert und ist in mehr als 10 Sprachen übersetzt worden. In dieser Forschungsarbeit kritisiere ich, dass die NATO mit rechtsextremen Gruppen zusammengearbeitet hat. In Deutschland wurden ehemalige SS-Leute direkt in die "Stay-Behind"-Strukturen eingebaut, denn sie waren stramm antikommunistisch und das schätzten die Amerikaner und die Briten, die in geheimen Ausschüssen der NATO die Fäden zogen. Die USA haben also nach dem Zweiten Weltkrieg Nazis rekrutiert, das ist der eigentliche Skandal.
Im Rahmen meiner Forschung zu den NATO-Geheimarmeen habe ich auch zum Münchner Oktoberfestanschlag 1980 recherchiert und da gibt es eine Spur, die sagt, dass diese Geheimarmee über ein geheimes Waffenlager mit dem Anschlag in Verbindung stand. Ich habe in meinem Buch dargelegt, dass möglicherweise die Wehrsportgruppe Hoffmann und das Waffenlager des Rechtsextremisten Heinz Lembke mit dem Terroranschlag in Verbindung stehen.
Diese Verbindung der NATO mit Rechtsextremen habe ich kritisiert. Da hat sich der Herr Hoffmann aufgeregt und mir gehässige Briefe geschrieben und ein Streitgespräch vorgeschlagen und gesagt, er habe noch weitere interessante Daten für mich. Zuerst wollte ich ihn nicht treffen, ich hatte Zweifel, ob er mir wirklich etwas Neues zu der Verbindung der NATO mit dem Terroranschlag erzählen könne. Doch weil er drängte, willigte ich ein.
Ich verlangte, dass ein Journalist beim Treffen dabei sein und das Streitgespräch aufzeichnen und publizieren müsse. Herr Hoffmann wählte Jürgen Elsässer, ich stimmte dem zu. Hoffmann und Elsässer reisten nach Basel, das Streitgespräch fand hier in der Schweiz in einem Hotel statt und wurde im März 2014 im Compact Magazin von Jürgen Elsässer publiziert. Ich hatte Hoffmann vor dem Streitgespräch nie getroffen und ihn auch nach dem Streitgespräch nie wieder gesehen.
Für mich als Friedensforscher war es ein Schock, dass ich in die rechte Ecke gestellt werde. Das ist in etwa so wie wenn ein Atomkraftgegner vor einem AKW fotografiert wird und es in der Legende heißt, er sei der Besitzer des AKW und wolle noch ein zweites bauen.
Diese Vorwürfe kamen für Sie also völlig überraschend?
Daniele Ganser: Ja, ich war völlig überrascht und auch verärgert. Wenn man so dreist lügt und die Dinge verbiegt, täuscht man die Leser mit Absicht. Das darf man nicht tun. Zudem ist es für uns Schweizer völlig anders als bei euch Deutschen, wir sprechen mit allen. Bei uns gibt es dieses System der Kontaktschuld gar nicht. Es gibt niemanden in der Schweiz, den ich nicht treffen dürfte, nur weil er zu dieser oder jenen Gruppe gehört.
Was soll denn ein Historiker machen? Ich habe schon mit Iranern gesprochen, ich habe mit Chinesen gesprochen, ich habe mit Leuten vom CIA in Washington gesprochen, ich bin aber nicht Iraner und bin nicht im CIA und bin auch nicht Kommunist. Ich spreche mit den Russen, ich spreche mit den Franzosen. Aber es passiert mir nur in Deutschland, dass die Leute dann sagen: Aha, er hat mit dem Karl-Heinz Hoffmann gesprochen - was ja auch wahr ist -, um daraus zu schließen, ich sei rechtsextrem. Das entbehrt doch jeder Logik. Da müsste man das Streitgespräch einmal genauer anschauen, was ich gesagt habe, was er gesagt hat, und dann würde man sofort sehen, die sind sich gar nicht einig.
Da beobachte ich in Deutschland einen anderen Umgang untereinander, der besagt, mit gewissen Leuten darf man nicht sprechen. Ich würde aber trotzdem die Position vertreten, dass alle Menschen sind und dass man grundsätzlich mit allen sprechen kann. Denn die Friedensforschung, in der ich sehr engagiert bin, hat ja das Prinzip: Man muss immer mit allen sprechen und man soll sich nicht gegenseitig töten.
Was ich in Syrien fordere, ist auch, dass alle Gruppen miteinander sprechen, es braucht Dialog, und das ist für die noch viel schwieriger, weil jeder einen Bruder hat, der vom Feind getötet wurde. Trotzdem fordere ich immer, man soll auch dann wieder mit dem Feind sprechen, das sind die Prinzipien der Friedensforschung und des Dialogs, man soll sich die andere Perspektive auch anhören. Das heißt nicht, dass man sich danach einig sein muss oder befreundet ist.
Aber gibt es für Sie auch Grenzen des Kontaktes? Zum Beispiel, dass Sie bei einer NPD-Veranstaltung auftreten?
Daniele Ganser: Das würde ich nicht machen. Weil ich die NPD nicht genau kenne, ich weiß nur, sie ist rechts. Da würde ich jetzt nicht auftreten, vor allem, weil ich gesehen habe, dass man das in Deutschland sofort als Einverständnis mit deren Positionen deuten würde.
Aber ich würde in der Schweiz bei allen Parteien auftreten. Hier ist es anderes. Wenn ich hier bei einer Partei auftrete, haben die Leute nicht die Meinung, ich sei dort Mitglied. Weil es auch sein kann, dass die Partei einen gerade deswegen einlädt, weil man eine andere Position hat. Ich verfolge zum Beispiel in der Energiepolitik die Vision einhundert Prozent erneuerbare Energien, also in den nächsten Jahrzehnten schrittweises Abschalten der Atomkraftwerke und Ausstieg aus Erdöl, Erdgas und Kohle. Das wird oft als eine grüne und linke Position eingestuft. Ich fahre auch ein Elektroauto von Tesla und habe Solarzellen auf meinem Dach und produziere selber grünen Strom.
Aber ich habe auch die Position der strikten Neutralität, also keine Truppen ins Ausland, und diese Position wird in der Schweiz von der Rechten vertreten. Unter dem Strich bedeutet das, dass ich in der Schweiz von allen Gruppen immer wieder eingeladen werde, obschon ich nicht Mitglied irgendeiner Partei bin. Einige meiner Positionen sind links, andere sind rechts. Ich passe in keine Kiste rein. Ich bin ein unabhängiger Historiker und habe dadurch die Freiheit, sowohl Atomkraftwerke als auch den Angriff der USA auf den Irak 2003, die über Ramstein gesteuerten Drohnenangriffe oder die NATO-Geheimarmeen zu kritisieren.
Sie stoßen mit ihren Vorträgen auf großes Interesse. Glauben Sie, dass es ein Aufklärungsbedürfnis von Seiten des Publikums gibt?
Daniele Ganser: Ja, es gibt ein sehr großes Interesse in Deutschland, Österreich und der Schweiz an meinen Forschungsresultaten. Viele Menschen wollen hinter die Kulissen der Macht blicken, denn wir leben im Zeitalter der Informationsrevolution, in der das Internet die Deutungshoheit von Fernsehen und gedruckten Zeitungen abgelöst hat.
Meine These ist, dass es Kriege um Erdöl gibt. Das wird vielleicht beim Irakkrieg eingeräumt, aber in den meisten Fällen taucht das Wort Erdölkrieg ganz selten in den Medien auf. Und ich glaube, daher kommt ein großes Interesse der Menschen, sie finden diese ökonomische Analyse interessant.
Die Spanier sind ja vor 400 Jahren nicht mit einem Schiff voller Gold nach Amerika gefahren, sondern mit einem leeren Schiff. Und zurückgekommen sind sie mit Gold. Und das ist eben das Prinzip der Rohstoff-Kämpfe und das ist in der historischen Forschung sehr alt. Das stößt auf Interesse. Und erzeugt Spannungen. Ich hinterfrage ja den ganzen so genannten Krieg gegen den Terror, für mich ist es ein Kampf um Rohstoffe und Geld, ein Kampf um Macht, der nichts mit der Reduktion von Terror zu tun hat. Im Gegenteil, der Krieg gegen den Terror produziert Terror, das sieht man im Irak und in Libyen.
Es folgt demnächst Teil 2 des Gesprächs: "Ein semantischer Krieg statt einer Diskussion über Inhalte".