In Großbritannien wird eine Neuorientierung der Nato gefordert
Die Nato soll wieder auf Konflikte zwischen Nationen, aber auch auf "unkonventionelle Angriffe mit asymmetrischen Mitteln" vorbereitet sein
Am vierten und fünften September spielt Großbritannien den Gastgeber für eine NATO-Konferenz, auf der es unter anderem auch um das Verhältnis zwischen der NATO und Russland gehen soll. Und geht es nach der britischen Regierung, dann soll dieses Verhältnis völlig neu bestimmt werden.
Das kann man aus einem Brief schließen, den der britische Premierminister Cameron an seine NATO-Amtskollegen verschickt hat. Darin heißt es:
Russland hat das Regelwerk mit der illegalen Annektierung der Krim und der aggressiven Destabilisierung der Ukraine zerrissen. (…) Um Russland klar zu machen, dass sich weder die NATO noch ihre Mitgliedsstaaten einschüchtern lassen sollten wir spezifische Maßnahmen ergreifen. Dazu gehören: Ein der neuen Sicherheitslage angemessenes Übungsprogramm, die notwendige Infrastruktur, die Lagerung von Equipment und Versorgung vor Ort und eine erweiterte NATO Response Force.
David Cameron
Der Text dieses Briefes entstammt fast wörtlich einem nur wenige Wochen zuvor veröffentlichten Diskussionspapier des Verteidigungsausschusses im britischen Unterhaus. In diesem Papier wird auch ein Bekenntnis Camerons für Investitionen in das Militär gefordert. Cameron kommt dem in seinem Brief nach: "Großbritannien ist eines von vier Nato-Ländern, die zwei Prozent ihres Haushaltes in die Verteidigung investieren. Ich rufe alle anderen Alliierten dazu auf, ihrerseits die größtmögliche Zusage für eine Erhöhung ihrer Verteidigungsausgaben zu machen. "
Doch gerade das britische "commitment" zum eigenen Verteidigungshaushalt wird von Kommentatoren aus Militär und Politik angezweifelt. Denn Großbritannien spart überall, auch beim Heer. Das stehende Heer wird von 102.000 Berufssoldaten auf 82.000 Berufssoldaten verringert. Seit Antritt der Cameron-Regierung wurden 9% beim Militär eingespart. Eine Reihe von prestigeträchtigen Rüstungsprojekten ist diesen Kürzungen zum Opfer gefallen, was in der Vergangenheit unter anderem vom Verteidigungsausschuss kritisiert wurde.
Doch spätestens seit Beginn der Ukrainekrise wirbt der Verteidigungsausschuss für eine Neuorientierung. Die vergangenen Jahre seien von Aufstandsbekämpfungsmissionen unter anderem in Afghanistan dominiert gewesen. Diese seien von eher kleinen Verbänden geführt worden. Durch die Ukrainekrise müsse man aber wieder auf Konflikte zwischen Nationalstaaten vorbereitet sein. Das bedeute eine Neuorientierung auf große Kampfverbände.
In diesem Zusammenhang merkt der Verteidigungsausschuss an, dass Russland in den vergangenen Jahren große Manöver mit bis zu 70.000 Soldaten durchgeführt habe. Das größte NATO-Manöver der jüngeren Vergangenheit sei demgegenüber nur von 6.000 Soldaten bestritten worden. Die NATO müsse deshalb dringend wieder regelmäßig Großübungen veranstalten. So solle etwa die Verlegung großer Truppenverbände nach Polen via Deutschland geübt werden.
Russische Kriegsführung, die keinen Nato-Bündnisfall auslöst
Der Ausschuss begründet diese Forderung auch mit neuen Militärstrategien Russlands, das mit seinem "next generation warfare" "unkonventionelle Angriffe mit asymmetrischen Mitteln" führe, es wird auch von "unconventional, ambiguous or non-linear" Kriegsführung gesprochen. Damit ist gemeint, dass Russland zunehmend Strategien zur Interessendurchsetzung verwenden soll, die zwar aggressiv sind, in sich aber keinen NATO-Bündnisfall auslösen.
Dazu zählt der Bericht russische Fernsehstationen zur "Manipulation russischer Minderheiten in Balkanländern". Es wird bedauert, dass das russischsprachige Programm der BBC da nicht mithalten könne und "außerdem nur im Internet abrufbar ist".
Als ein weiteres Beispiel für russische asymmetrische Kriegsführung führt der Verteidigungsausschuss einen Cyberangriff aus dem Jahr 2007 an. Deshalb wird von Großbritannien und der NATO der Ausbau der Cyberkriegskapazitäten gefordert. Ausdrücklich ist auch von der Entwicklung offensiver Kapazitäten die Rede.
Der Bericht behandelt auch den Einmarsch der "kleinen grünen Männer" in die Ukraine. Diese seien ein Beispiel dafür, wie russische Sicherheitsorgane andere Länder unter falscher Flagge infiltrieren. Das Hauptproblem dabei sei, dass solche Operationen nicht nachgewiesen werden können und deshalb von Russland bestreitbar seien. Das mache eine kollektive Reaktion der NATO schwierig. Deshalb müsse über eine neue Formulierung von Paragraph fünf des NATO-Vertrages nachgedacht werden. Dieser Paragraph definiert, unter welchen Umständen der Bündnisfall ausgerufen und eine militärische Antwort aus Sicht der NATO Staaten legitim ist.
Eine Ironie dabei ist, dass die Russland vorgeworfenen Methoden auch zum Repertoire der NATO gehören. Als ein Beispiel seien die so genannten Stay-Behind-Strukturen genannt, die während des Kalten Krieges in allen NATO-Staaten aufgebaut wurden. Über diese Strukturen finanzierte die NATO rechtsextreme paramilitärische Strukturen, um gegen eine mögliche sowjetische Bedrohung vorzugehen. In Italien werden solchen Verbänden schwerwiegende Terroranschläge angelastet, mit denen ein Wahlsieg der Kommunistischen Partei abgewendet werden sollte.
Der britische Verteidigungsausschuss fordert den Aufbau von permanenten NATO-Basen im Baltikum und Polen. Es sei nicht hinnehmbar, dass Russland einen Luftwaffenstützpunkt nur 40 Flugminuten von Riga entfernt unterhalte, es von der NATO aber nichts Vergleichbares gebe.
Außerdem wird die verstärkte Entsendung von so genannten Verteidigungsattachés nach Osteuropa empfohlen. Hier handelt es sich um NATO-Offiziere, die in den Botschaften von NATO-Staaten untergebracht sind. Von dort sollen sie ihre Gastgeberländer militärisch beraten, also Einfluss auf die Verteidigungspolitik der Gastgeberländer nehmen.
Alle diese Empfehlungen passieren in einem Kontext, in dem britische Eliten über die Rolle der Inselmonarchie in der Welt diskutieren. Auf der einen Seite befinden sich die imperialen Traditionen, auf der anderen die heutigen Realitäten. So schreibt Janan Ganesh in der Financial Times: "Britische Außenpolitik ist nicht, was sie einmal war, weil britische Macht nicht mehr ist, was sie einmal war. Große Strategien machen wenig Sinn für ein Land, das zwar noch militärisch stark und in globalen Institutionen gut vertreten ist, aber langsam zu einer mittleren Macht unter vielen wird."
Die Falken der britischen Politik fordern ein kostspieliges Wettrüsten. In Worten scheint Premierminister Cameron das zu unterstützen. Doch eine konkrete Umsetzung wird es von Großbritannien höchstens teilweise geben. Anderes kann sich eine zur internationalen Steueroase verkommene ehemalige Großmacht nicht leisten.