In den dunklen Stunden steigt die Zahl der Raubüberfälle in den Straßen
Nach einer kriminologischen Studie, die Zahlen für London und Glasgow ausgewertet hat, fördert die nächtliche Dunkelheit die Straßenkriminalität - und irgendwie könnte auch die Temperatur dabei eine Rolle spielen
Warum die Kriminalität oft in kalten Ländern niedriger ist, könnte nicht nur an den dortigen sozialen Verhältnissen liegen, sondern schlichtweg auch am Wetter. Allerdings fördert Dunkelheit die Kriminalität viel stärker. Kriminologinnen vom University College London haben die Kriminalitätsstatistik von London und Glasgow 2002-2003 analysiert, um zu überprüfen, ob in der Dunkelheit mehr Straßenräubereien geschehen als am Tag. Dazu wurde der Tag in jeweils sechsstündige Abschnitte unterteilt. Die Studie von Lisa Tompson und Kate Bowers erschien in der Zeitschrift Journal of Research in Crime and Delinquency.
Bislang habe man vor allem die jahreszeitabhängigen Veränderungen kriminellen Verhaltens untersucht. Aber man sei noch zu keiner universellen Erklärung dafür gekommen. So wird beispielsweise in der "dunklen Jahreszeit", also in den Wintermonaten, wenn die Nächte lang sind, mehr eingebrochen. Die Häufigkeit variiert auch an verschiedenen Wochentagen .Samstag und Sonntag sind Einbrüche, so eine britische Studie, an der Kate Bowers auch mitgewirkt hat,am wenigsten häufig. Ab Montag steigt die Häufigkeit an, der Höhepunkt liegt am Freitag.
Allgemein steigt die Kriminalität mit höheren Temperaturen innerhalb einer Region, gibt es mehr kältere Tage als gewöhnlich, sinkt sie. Allerdings senken Temperaturextreme, gleich ob heiß oder kalt, wieder die Kriminalitätsrate. Es scheint auch eine Abhängigkeit von den Klimazonen zu geben, so dass allgemein höhere Temperaturen mit höherer Kriminalität verbunden sein könnten. Daher wird auch schon mal in einer letztes Jahr veröffentlichten Studie davor gewarnt, dass steigende Temperaturen durch die Klimaerwärmung in den USA auch die Kriminalität erhöhen werde. Neben der Temperatur scheint auch das Wetter eine Rolle zu spielen, bei Regen oder Schnee sind wohl auch die Kriminellen nicht so gerne draußen unterwegs.
Jahreszeiten sind, so Lisa Tompson und Kate Bowers, geprägt durch die unterschiedlichen Temperaturen und die Länge von Tag und Nacht, von Helligkeit und Dunkelheit. Obgleich es in Städten eine mehr oder weniger gute Straßenbeleuchtung gibt, lag die Vermutung natürlich nahe, dass des Nachts, wenn es trotz aller Straßenbeleuchtung dunkler ist, die Kriminalität im öffentlichen Raum ansteigt. Bei Einbruchsdiebstählen, Raub oder Vergewaltigung sei ein Zusammenhang mit der Dunkelheit schon belegt, nicht aber bei Straßenraub. Die Einführung der Straßenbeleuchtung geschah schließlich einst vornehmlich aus dem Grund, die Kriminalität und Tumulte in den Städten einzudämmen.
Nicht verwunderlich also, dass eben ein solcher Zusammenhang zwischen Tag und Nacht in London und Glasgow zu erkennen war. Die Wissenschaftlerinnen haben allerdings nur den Beginn der Dunkelheit nach Sonnenuntergang einbezogen, nicht aber die unterschiedliche künstliche Beleuchtung und auch nicht, ob es einen klaren oder bedeckten Himmel mit Mond oder nicht gab. Nicht berücksichtigt wurde auch, wie viele Menschen sich gerade auf der Straßen befanden, als die Tat begangen wurden. In den dunklen Stunden finden in London 160 Prozent mehr Raubüberfälle als am Tag statt, in Glasgow allerdings nur 20 Prozent mehr. Schaut man sich die monatlichen statistischen Ergebnisse aus, erkennt man keinen Trend für bestimmte Monate, insgesamt ging in den beiden untersuchten Jahren die Zahl der Straßenüberfälle zurück. Hätte man sich nur die Tage angeschaut, wären die tageszeitlichen Schwankungen auch nicht entdeckt worden.
Geht man von den täglichen Routinetätigkeiten der Menschen aus, dann liegen günstige Bedingungen für das Geschehen einer Straftat dann vor, so die Autorinnen, wenn ein motivierter Täter auf ein geeignetes Opfer in Abwesenheit eines "Wächters" stößt, also wenn sich die Wege von Tätern und Opfern räumlich und zeitlich kreuzen. Das geschieht bei Raubüberfällen meist in der Dunkelheit oder in dem selektiv beleuchteten öffentlichen Raum. Dunkelheit oder schlechte Beleuchtung verbirgt den Täter.
Warum steigt die Zahl der Raubüberfälle in der Nacht in London viel stärker als in Glasgow an?
Während in den beiden untersuchten Städten die Zahl der Raubüberfälle in der Dunkelheit deutlich anstieg, gibt es zwischen London und Glasgow auch Unterschiede, die den Vergleich interessant machen. So ist die Zeit der Dunkelheit im Sommer in London mit 5, 46 vs. 4,21 Stunden länger als in Glasgow, was sich im Winter aber umkehrt, wo es in London 14,50 Stunden dunkel ist, in Glasgow aber 15,27 Stunden. In Glasgow gibt es sehr viel mehr Regentage als in London, in London ist es wärmer als in Glasgow. Aber warum steigt die Zahl der Raubüberfälle während der Dunkelheit in London so viel stärker als in Glasgow? In London lässt sich ein Effekt bei Dunkelheit und Temperatur feststellen. Bei Dunkelheit steigt die Zahl der Raubüberfälle, aber auch wenn es wärmer wird, allerdings ist dieser Effekt deutlich geringer. Pro Grad Celsius wärmer steigen die Straßenüberfälle um 1 Prozent. In Glasgow ließ sich hingegen kein signifikanter Zusammenhang zwischen der Straßenkriminalität und der Temperatur feststellen. Allerdings erhöht sich die Zahl der Raubüberfälle nicht über die einzeln vorhergesagten Effekte, wenn es sowohl wärmere Temperaturen und Dunkelheit gibt.
Wenig verwunderlich, dass zwischen 4 und 10 Uhr am wenigsten Raubüberfälle angezeigt werden. Da ist es zwar im Winter teilweise noch dunkel, aber es sind auch weniger Menschen unterwegs. Zwischen 10 Uhr und 16 Uhr steigt die Zahl der Raubüberfälle, zwischen 16 Uhr und 22 Uhr, also in der Zeit, wo die Differenz hinsichtlich der Dunkelheit zwischen Sommer und Winter groß ist, geschieht etwa ein Drittel der Raubüberfälle. In Glasgow, wo es im Winter früher dunkel wird, etwas mehr als in London. Und dann finden 40 Prozent der Raubüberfälle in London in der Zeit zwischen 22 und 4 Uhr statt, in Glasgow nur noch 29 Prozent. Nur auf zwei Städte, in London auch nur auf zwei Stadtteile, könnte allerdings die Ergebnisse der Studie weiter verzerrt haben.
Trotzdem: Warum spielt also in Glasgow die Temperatur keine Rolle? Ganz so ist vielleicht auch nicht, sagen die Wissenschaftlerinnen und verweisen letztlich auf das schlechte Wetter in Glasgow, wo die Täter – und deren Opfer – sich weniger gerne draußen aufhalten, wenn es richtig kalt wird, was eben häufiger in der Dunkelheit der Fall sein dürfte: "Ein Grund kann in der Variation der externen Bedingungen für die Annehmlichkeit liegen: Die Temperaturen können in Glasgow manchmal sehr kalt sein und die Regenwahrscheinlichkeit ist höher. Vielleicht begrenzen gelegentlich extreme Wetterbedingungen die Zahl der geeigneten Opfer und Täter auf den Straßen."
Auf jeden Fall senkt das kühlere Wetter in Glasgow nicht die Kriminalität. Die Stadt liegt, was Morde und Gewalttätigkeiten betrifft, an erster Stelle in Großbritannien und damit vor London, das an zweiter Stelle kommt. In Glasgow kommen 2,74 Morde auf 100.000 Einwohner, in London 1,67. Und auch bei den Gewalttaten liegt Glasgow mit 1.800 pro 100.000 deutlich vor London mit 1.400. So einfach ist das also nicht mit der Wetter-, Temperatur- und Dunkelabhängigkeit der Straßenkriminalität, auch wenn Morde und Gewalttaten natürlich auch in geschlossenen Räumen vorkommen. Und wenn zumindest die These von dem Zusammenhang mit der Dunkelheit stimmt, dann bliebe auch erklärungsbedürftig, warum nicht Straßenüberfälle in den Wintermonaten, wo die dunkle Zeit am längsten ist, häufiger sind, was aber zumindest bei den beiden untersuchten Jahren nicht der Fall ist.