In der Bundeswehr gärt es
Seite 2: Was ist zeitgemäße Traditionspflege?
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Einen dritten Weg zur Traditionspflege schlägt der General a.D. Helge Hansen in einem Gastbeitrag für das Militärblog "Augen geradeaus!" vor: Deutsche Militärtraditionen abseits der Wehrmacht, er nennt die Preußischen Heeresreformen oder den militärische Widerstand im Dritten Reich, seien als Identifikationspunkte ungeeignet, befindet er, denn "sie sagen einem jungen Soldaten im Einsatz in Afghanistan, im Kosovo oder in Mali wenig bis gar nichts, weil viel zu abstrakt":
Sie genügen ganz offensichtlich nicht den emotionalen Bedürfnissen des jungen "Kämpfers" oder der "Rettungssanitäterin" im Einsatz auf deren Suche nach Beispielen, Richtpunkten für Mut, Tapferkeit und kameradschaftliches Eintreten angesichts der Gefahren für Leib und Leben.
Helge Hansen
Hansen spricht sich in seinem Beitrag dagegen aus, zeitgemäße Traditionspflege top-down zu verordnen, "dazu noch wissenschaftlich selektiert durch das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr". Besser sei ein Bottum-up-Ansatz: Soldaten sollten aus ihren Einsätzen in Afghanistan, Mali oder anderswo "beispielhaftes Handeln" berichten, "quasi als nachprüfbare Augenzeugenberichte, die die traditionswürdigen militärischen Tugenden verdeutlichen". "Damit wäre der Ausgangspunkt für eine zeitgemäße Traditionspflege in unseren Streitkräften geschafft." Dass sich die "Inhaberin der Befehls-und Kommandogewalt über die Streitkräfte von diesen distanziert" sei "ein bisher beispielloser, öffentlich bekundeter Vertrauensentzug", so Hansen weiter.
Neue Regeln ab 1. Juli
Gegen Rechtsextremismus in der Bundeswehr gibt es nun seit 1. Juli eine neue Vorab-Gewissensprüfung. Sie soll verhindern, dass Rechtsextreme sich in der Bundeswehr an der Waffe ausbilden lassen können. Außerdem soll zusätzlich zum Polizeilichen Führungszeugnis auch Erkenntnisse von Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt hinzugezogen werden können. Die Planungen für diesen neuen "Basischeck" sind allerdings schon älter. Ursprünglich sollte damit unterbunden werden, dass Islamisten in die Bundeswehr gelangen.
Doch in der Truppe ist die noch schärfere Abgrenzung zu Rechtsextremismus und Wehrmacht nicht überall willkommen. Das zeigte sich kürzlich bei einem Gedenkappell zum 99. Todestag des Jagdfliegers Manfred von Richthofen beim Luftwaffengeschwader 71 in Wittmund. Dazu hatte die Traditionsgemeinschaft Richthofen eingeladen unter dem Titel "100 Jahre vom Jagdgeschwader 1 zum Taktischen Luftwaffengeschwader 71 Richthofen". Der als "roter Baron" bekannt gewordene Jagdflieger hatte das erste deutsche Jagdgeschwader gegründet, ein Jahr, bevor er selbst im Luftkampf tödlich verwundet wurde.
Kein Bezug zu Richthofen
Doch der kommandierende General der Luftwaffe untersagte den Titel: "Durch diesen missverständlichen Titel wird eine direkte Verbindung des Taktischen Luftwaffengeschwaders 71 Richthofen zu den ehemaligen Richthofen-Geschwadern der Kaiserzeit sowie des Dritten Reichs hergestellt und damit eine ungebrochene Traditionslinie unserer Luftwaffe zur Wehrmacht impliziert (...) Ich weise Sie an, während der Veranstaltung das gewählte Motto in Bezug auf das vorgenannte Traditionsverständnis richtigzustellen und keinen Zweifel an der kritischen Auseinandersetzung der Luftwaffe mit der Geschichte zu belassen. Ich erwarte diesbezüglich eine eindeutige Klarstellung", zitierte Oberstleutnant Gero Finke als stellvertretender Kommodore des Wittmunder Geschwaders auszugsweise laut Nordwest-Zeitung.
Das sei bei den mehr als 100 Besuchern des Gedenkappells auf "Kopfschütteln, Unverständnis und Schweigen" gestoßen, berichtet die Lokalzeitung weiter. Auch Finke könne sich das nur mit der anstehenden Bundestagswahl erklären. Es gebe wohl einen "Absicherungsaktionismus". Er verstehe nicht, warum er sich von den "Gräueltaten eines menschenverachtenden mörderischen Regimes" distanzieren solle, hinter denen er selbstverständlich nie gestanden habe. "Dem Applaus für seine Rede bei der Gedenkfeier folgte die Kranzniederlegung am Richthofen-Gedenkstein in der Wittmunder Kaserne", so die Nordwest-Zeitung.
Kritik an der Ministerin statt am Rechtsextremismus
Nicht noch mehr Distanzierung von der Wehrmacht, lautet also die Kritik am Kurs von Ursula von der Leyen. Wie die Linken-Abgeordnete Christine Buchholz zutreffend bemerkte, dreht sich die aktuelle Debatte gar nicht um den Rechtsextremismus in der Bundeswehr, sondern darum, ob die Maßnahmen dagegen zu hart sind.
Die Kritik kommt nicht aus linken oder pazifistischen Kreisen, sondern aus der Mitte und von rechts. Sie richtet sich nicht nur gegen Amtsführung der Ministerin. Für Ursula von der Leyen kann das noch gefährlich werden - viel gefährlicher, als wenn Kriegsgegner am Tag der Bundeswehr gegen das "Zurschaustellen und Vorführen von Kriegsgerät" protestieren.