Inflation Reduction Act der USA: Die Lektion

Seite 2: Deutschland muss seine Überschüsse rückführen …

Deutschland hat sich zu Beginn der 2000er Jahre unter dem Deckmantel des Euro dadurch absolute Vorteile verschafft, dass die Löhne über Jahre nicht so stark gestiegen sind, wie sie angesichts der deutschen Produktivitätszunahme und dem europäischen Inflationsziel hätten steigen müssen.

Da die Bewertung des Euro sich nach dem Durchschnitt der europäischen Inflationsraten richtete, wurde das deutsche Lohndumping nicht durch eine entsprechende Aufwertung des Euro ausgeglichen. So entstand ein absoluter Vorteil gegenüber den Europäern, die Mitglied der EWU waren und gegenüber allen anderen Handelspartnern.

Die Überschüsse haben in Deutschland Arbeitsplätze und Einkommen zulasten der Handelspartner geschaffen. Noch schwerer wiegt im Korsett der Europäischen Währungsunion, dass es die mit den Überschüssen einhergehende Verschuldung des Auslandes war, die es Deutschland in den vergangenen zehn Jahren erlaubt hat, die Verschuldung seines eigenen Staatshaushalts in engen Grenzen zu halten.

Alle Länder, die, wie Frankreich und Italien, nicht in ähnlichem Masse auf die Verschuldung des Auslandes bauen konnten, mussten die Staatsfinanzen viel stärker zur Stabilisierung der Volkswirtschaft einsetzen und kollidierten mit der Regel zur Schuldenbegrenzung in den europäischen Verträgen.

…und eine binnenwirtschaftliche Entwicklungsstrategie finden

Europa braucht einen Neuanfang, der wie in den USA auf den heimischen Markt und weniger auf den Weltmarkt setzt. Das kann aber nur gelingen, wenn Deutschland mit einer ganz neuen wirtschaftspolitischen Ausrichtung vorangeht.

Dabei müssen die Einkommen der großen Masse der Menschen im Vordergrund stehen. Nicht der beste Niedriglohnsektor der Welt ist gefragt, wie ihn voller Stolz ein sozialdemokratischer Bundeskanzler einst nannte, sondern die beste Teilhabe aller Bürger an den wirtschaftlichen Erfolgen.

Würden die Sozialdemokraten endlich verstehen, worum es in der Wirtschaft geht, wäre das ein wirklich sozialdemokratisches Programm.

Sozialer Ausgleich ist nicht nur gut für das soziale Gewissen, er ist die entscheidende Voraussetzung für erfolgreiches Wirtschaften. Verabschieden muss man sich allerdings von den Dogmen über den internationalen Handel.

Gäbe der US-amerikanische IRA dafür einen Anstoß, könnte er für Deutschland und Europa segensreich sein.

Der Wirtschaftswissenschaftler Heiner Flassbeck ist Herausgeber des Online-Portals flassbeck-economics.com. Zuvor war er Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und Chef-Volkswirt bei der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung.

Vom Autor erscheint monatlich eine Kolumne zu Hintergründen wirtschaftlicher Entwicklungen und zur Wirtschaftspolitik.