Inflation in Deutschland so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr

Seite 2: Der große Aufschwung lässt auf sich warten

Denn aus verschiedenen Gründen zeigt sich, dass der große Aufschwung in diesem Jahr jedenfalls nicht, wie allgemein erwartet, kommen wird, wobei Lieferengpässe - die ebenfalls inflationstreibend wirken - auch eine Rolle spielen.

Einige Beobachter sehen deshalb schon die Gefahr des "Schmetterlingseffekts" aufziehen. Thomas Meier, Portfoliomanager bei MainFirst Asset meint, dass eine "Disruption der Lieferketten" zu den kleinen Veränderungen mit großen Wirkungen führen könnten.

Dass die Wirtschaft wieder durchstarten würde, wenn es gelingen würde, die Pandemie wieder in den Griff zu bekommen, erweist sich inzwischen als Trugschluss. Das hatte die große Mehrheit der Ökonomen noch im Frühjahr gepredigt. In Spanien musste die Regierung gerade eingestehen, dass ihre bisherigen Prognosen viel zu optimistisch waren.

Die Statistiker im Königreich gehen nun davon aus, dass die Wirtschaft im zweiten Quartal nur um schwache 1,1 Prozent gewachsen ist, dabei waren zuvor 2,8 Prozent erwartet worden. Hier machen sich, wegen der enormen Strompreise und der Spekulation am Strommarkt, auch verstärkt Konjunktursorgen breit. Es wird befürchtet, dass die hohen Energie- und extremen Strompreise die Wirtschaft abwürgen könnten.

Das Münchner ifo-Institut hat gerade seine Wachstumsprognose für Deutschland im laufenden Jahr um fast einen Prozentpunkt auf 2,5 Prozent gesenkt und spricht dabei auch das Problem der Lieferketten an. "Die ursprünglich für den Sommer erwartete kräftige Erholung nach Corona verschiebt sich weiter", sagt ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser.

Es geht nun davon aus, dass es im kommenden Jahr eine kräftige Erholung um 5,1 Prozent geben wird. "Derzeit schrumpft die Produktion der Industrie als Folge von Lieferengpässen bei wichtigen Vorprodukten." Die Konjunktur sei gespalten, meinte er.

Weniger Geld für die Haushalte

Ob die Entwicklung tatsächlich im kommenden Jahr deutlich besser wird, bleibt abzuwarten und darf mit Fragezeichen versehen werden. Denn die hohe und steigende Inflation bringt auch mit sich, dass den Haushalten das Geld aus der Tasche gezogen wird, die durch Lohnerhöhungen nicht aufgefangen werden. Kaufkraft wird abgezogen, der Konsum könnte darüber alsbald schwächer werden. Zudem wird der Druck auf die Notenbanken stärker, die Geldschwemme zurückzufahren, was auch die Konjunktur belasten dürfte.

Zaghaft beginnt die EZB schon, auf die Entwicklung zu reagieren. Sie will die Anleihekäufe nun im vierten Quartal etwas zurückfahren. Der Erwerb von Staats- und Unternehmenspapieren soll im Rahmen des Corona-Notkaufprogramms PEPP "moderater" als bisher ausfallen, wurde auf der letzten Sitzung des EZB-Rats entschieden.

Dabei wird so getan, als wären die Anleihekäufe allein der Corona-Lage geschuldet. Dabei waren die sogar wieder ausgeweitet worden, als sich schon vor der Corona-Krise Rezessionszeichen mehrten. Real hatte die EZB sie nie eingestellt.

Angesichts der Tatsache, dass die Inflation im Euroraum steigt und inzwischen auf 3,4 Prozent angelangt ist, ist diese Aussage der EZB einigermaßen skurril:

Um sein symmetrisches Inflationsziel von zwei Prozent zu unterstützen und im Einklang mit seiner geldpolitischen Strategie, geht der EZB-Rat davon aus, dass die EZB-Leitzinsen so lange auf ihrem aktuellen oder einem niedrigeren Niveau bleiben werden, bis er feststellt, dass die Inflationsrate deutlich vor dem Ende seines Projektionszeitraums zwei Prozent erreicht und sie diesen Wert im weiteren Verlauf des Projektionszeitraums dauerhaft hält, und er der Auffassung ist, dass die Entwicklung der zugrunde liegenden Inflation hinreichend fortgeschritten ist, um mit einer sich mittelfristig bei zwei Prozent stabilisierenden Inflation vereinbar zu sein.EZB

Die EZB räumt dabei gleichzeitig auch ein, "dass die Inflation vorübergehend moderat über dem Zielwert liegt". Was moderat ist, sagt sie natürlich nicht. Auch mittelfristig ist ein sehr dehnbarer Begriff. Ist eine Inflation wie in Deutschland oder Spanien noch moderat, die doppelt so hoch wie das Inflationsziel ist?

Auch in Italien und Frankreich liegen die Raten schon 50 Prozent über der Zielmarke. Sind solche Werte ein halbes Jahr, ein Jahr oder zwei Jahre für die EZB akzeptabel? Klar ist, dass die Zweitrundeneffekte zunehmen werden, sie sich in höheren Lohnforderungen in Tarifauseinandersetzungen umso stärker niederschlagen werden, je länger die Inflation hoch bleibt.

Der Streik der Lokführer weist schon in diese Richtung. Da sogar die Bundesbank davon ausgeht, dass die Inflation im Euroraum weiter steigen wird, wird auch der Druck auch auf die EZB unter Christine Lagarde weiter zunehmen, die expansive EZB-Geldpolitik endlich zu drosseln.

Nullzins-Politik aufgeben

Erste Länder tun das längst, so hat Norwegen gerade die Nullzins-Politik aufgegeben und den Leitzins einen Viertel-Punkt auf 0,25 Prozent erhöht, um der steigenden Inflation zu begegnen. Die war in Norwegen mit 3,4 Prozent auf den Wert im Euroraum gestiegen. Allgemein wird davon ausgegangen, dass dort in vier weiteren Schritten bis Ende 2022 der Zinssatz auf 1,25 Prozent normalisiert wird.

Allein ist das nordeuropäische Land damit nicht. Die tschechische Nationalbank hat ihren Leitzins gerade auf 1,5 Prozent verdoppelt, weil die Inflation auf 4,1 Prozent auf einen Wert wie in Deutschland gestiegen ist. In Ungarn wurde der Leitzins zuletzt sogar schon wieder auf 1,65 Prozent angehoben. Auch andere Länder haben schon die Leitzinsen erhöht oder stehen vor einer wahrscheinlichen Leitzinserhöhung wie in den USA.

Die US-Notenbank hatte, anders als die EZB, schon nach der Finanzkrise die Zinsen wieder normalisiert, bevor sie dann durch Trump nach unten geprügelt worden waren, um vor den Wahlen die Konjunktur anzukurbeln.

Zwar hat die FED noch keine Zinserhöhung und Drosselung der Anleihekäufe beschlossen, doch zumindest eine Drosselung der Anleihekäufe, die schon länger debattiert wird, wird auf der nächsten Zinssitzung im November erwartet. Die US-Notenbank bereitet die Finanzmärkte auch immer deutlicher auf eine Zinserhöhung vor, die vermutlich aber erst im kommenden Jahr realisiert wird.

Das wäre ein Jahr früher als bislang angepeilt. Die Lagarde-EZB zeigt allerdings noch keine Signale an, dass alsbald aus den Anleihekäufen ausgestiegen werden oder sogar die Leitzinsen angehoben werden könnten.