Infowar um Mazedonien

Internet-Informationsquellen zum Mazedonien-Konflikt

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Die Nato beendet ihren Mazedonien-Einsatz, aber eine Nachfolgemission unter deutscher Führung ist schon in Sicht und im Internet tobt der Infowar. Eine kurze Einführung in Kriegsberichterstattung und Informationsbeschaffungsmöglichkeiten zum Mazedonien-Konflikt

"Nie wird so viel gelogen, wie vor der Wahl während des Kriegs und nach der Jagd", meinte Otto von Bismarck einmal. Der Reichskanzler wußte, wovon er sprach, wer er doch Spezialist auf allen drei Gebieten. Kann die Lüge nach der Jagd meist als Angeberei Prestige süchtiger Männer abgebucht werden, ist die Lüge vor der Wahl oft eine notwendige Voraussetzung für den politischen Erfolg. Die Lüge im Krieg ist gar unverzichtbarerer Teil des selben. Nur durch die Konstruktion eines Feindbildes mit all seinen Verkürzungen, kann der Einsatz von Waffengewalt gerechtfertigt werden. Das gilt um so mehr im Medienzeitalter, in dem der Kampf um die Deutungshoheit von Konflikten für deren Ausgang oft wichtiger scheint als die militärischen Kräfteverhältnisse selbst.

Was kann also der interessierte Beobachter eines Kriegsgeschehens tun, dem am Verstehen gelegen ist und nicht an Propaganda? Ein erster Ratschlag könnte lauten: Hinterfrage jede Information und Analyse mit kritischem Blick. Ein zweiter: Informiere Dich aus möglichst vielen unterschiedlichen Quellen. Wenn am Ende dann oft auch Ratlosigkeit herrscht, so weiß man doch, dass die Wahrheit bestimmt nicht aus dem Munde einer Kriegspartei stammt, auch wenn diese tausendmal versichert diese kundzutun. Bestes Beispiel: Verteidigungsminister Rudolf Scharping und seine aufgewühlten Erzählungen vom "entsetzlichen Terror" der serbischen Soldateska im Kosovo, die er mit Naziverbrechen gleichsetzte. Heute weiß jeder, der es will, dass Scharping schamlos und wissentlich log oder übertrieb, um die Heimatfront während des immer länger dauernden Nato-Bombardements Jugoslawiens bei der Stange zu halten. (vgl. Telepolis: Der Kosovo, die UCK und Psychedelia à la Rudolf Scharping, Barbara Galaktionow und Reinhard Jellen 10.06.2001)

Bleiben wir bei Scharping und beginnen wir unsere kurze Rundreise durch die Cyberwelt der Mazedonien-Kriegsberichterstattung. Die Bundeswehr wird in den kommenden Monaten eine zentrale Rolle in Mazedonien spielen, denn zum ersten Mal werden die Deutschen einen Nato-Einsatz leiten. Unter Führung der Bundeswehr soll nach dem offiziellen Ende der Nato-Waffeneinsammelaktion Essential Harvest die Nachfolgemission Amber Fox anlaufen. Diese soll in Zukunft das Land stabilisieren, da die Gefahr eines Bürgerkrieges keineswegs gebannt ist. Denn die UCK hat in den vergangenen zwar über 3.000 Waffen abgegeben, aber niemand geht davon aus, dass sie sich tatsächlich entwaffnet hätte. Unter der slawisch-mazedonischen Bevölkerung wächst gleichzeitig der Widerstand gegen die Gesetzesreformen, welche der albanischen Minderheit Autonomierechte einräumt und das Staatsgebilde zu teilen droht.

Unter www.bundeswehr.de findet sich die Page des Verteidigungsministeriums. Im Feld "Mazedonien. Essential Harvest" finden sich neben kleinen Fotos mit Erfolgsmeldungen von der Front ("Mazedonische Rebellen unmittelbar vor der Waffenabgabe") ein Text, in dem mit Selbstlob nicht gespart wird. Während sich die mazedonische Regierung über die einseitige Parteinahme der Nato auf seiten der UCK beschwert, schreibt die Bundeswehr: "Das Unternehmen trägt damit zur Stabilisierung der Balkanregion bei." Dennoch finden sich auch interessante Texte, zum Beispiel eine deutsche Übersetzung des "Friedensvertrags" zwischen der albansichen und mazedonischen Seite vom 13. August. Hier kann man im Original nachlesen, mit welchen Maßnahmen die "Autonomie" der albanischen Bevölkerung gestärkt werden soll.

Das Portraitfoto des Präsidenten Boris Trajkovski eröffnet die Website der mazedonischen Regierung. Unter der Rubrik "R. Mazedonia" wird das Jahrhunderte lange Streben des mazedonischen Volkes gegen Okkupatoren und äußere Feinde nach einem unabhängigen Nationalstaat beschrieben. Die Unabhängigkeitserklärung vom 25. Januar 1991, als sich das zwei Millionen Einwohner Land aus der jugoslawischen Föderation verabschiedete, erscheint so als der erfüllende Endpunkt einer tausend jährigen Notwendigkeit. Dass die Mehrheit der Mazedonier sich noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts eher als Bulgaren oder Serben betrachteten, wenn sie überhaupt über ein "Nationalbewusstsein" verfügten, spielt bei dieser Darstellung keine Rolle. Außer den Presseerklärungen Trajkovskis finden sich kaum Informationen zum aktuellen Konflikt.

Die gibt es aus offizieller mazedonischer Perspektive dafür bei der staatlichen Nachrichtenagentur MIA Die meisten Artikel sind im Verlautbarungston gehaltene Informationen über Erklärungen von Politikern. Mit Pressestimmen angereicherte Nachrichten bietet die Agentur MAKFAX. Ähnlich arbeitet die Agentur OK.MK. Surft man über diese drei Pages, kann man sich über den aktuellen Stand des Konfliktes informieren, wie er von den Nachrichtenagenturen in alle Welt transportiert wird. Die Nachrichtenagentur B92 aus Belgrad bietet für die allgemein am Balkangeschehen Interessierten einen schönen Service. Jeden Abend verschickt sie die wichtigsten Meldungen des Tages. Subscribe unter www.b92.net.

Eine ausgesprochen Nato-kritische slawisch-mazedonische Perspektive eröffnet dagegen RealityMacedonia. Hier werden Berichte über Gräueltaten "albanischer Terroristen" an der slawisch-mazedonischen Bevölkerung publiziert. Wenn ein propagandistischer Ton auch manchmal unverkennbar ist, finden sich doch viele Fakten und Darstellungen von Ereignissen, über die sich die westlich orientierten Agenturen eher ausschweigen. So sind auf der Page Fotos von Protesten slawischer Mazedonier zu betrachten, welche gegen die von ihnen vermutete Kooperation der Nato mit der UCK protestieren. In einem Artikel mit ausführlicher Link-Sammlung wird über die Zusammenarbeit der UCK mit islamistischen Mujahedin und der Gruppe des weltweit meist gesuchten Mannes, Osama bin Laden, berichtet. Außerdem wird über die Albanische National Armee (ANA bzw. AKSh) berichtet, eine neue albanische Guerilla, die sich von der UCK abgespalten hat, ein ausdrücklich großalbanisches Projekt verfolgt und wohl noch für manches Aufsehen sorgen wird.

Analysen sind genauso interessensgebunden wie Informationen. Interessant ist es jedoch allemal, wie die Ereignisse aus unterschiedlichen Perspektiven eingeschätzt werden. Zu den spannendsten Analysen der Balkankonflikte zählen die Reports der International Crisis Group (ICG), einer Beratungsinstitution, in deren Vorstand so illustre Persönlichkeiten wie der ex-Chef der Nato in Europa, General Wesley Clark, sitzen. Die unregelmäßig erscheinenden Analysen, die stets mit Handlungsanweisungen für Militärs und Politiker der Nato-Staaten versehen sind, können unter www.crisisweb.org abgerufen werden.

Eher an das Spektrum der Nichtregierungsorganisationen und Journalisten richten sich die Berichte des Institute for War and Peace Reporting (IWPR) aus London, die unter www.iwpr.net stehen. Mehrmals die Woche verschickt das IWPR seine Berichte und Analysen, in denen die Ereignisse auf dem Balkan aus einer kritisch pro-westlichen Perspektive begleitet werden, auch per E-Mail.

Wer dagegen nach Einschätzungen sucht, in denen die Politik der Nato aus pazifistischer Perspektive einer schonungslosen Kritik unterworfen wird, sollte die Analysen der Transnational Foundation für Peace and Future Research (TFF) lesen. Die TFF-Einschätzungen haben den Vorzug, dass sie sich nicht nach der Logik des "Der Feind meines Feindes ist mein Freund"-Schema richten. Diesen Eindruck vermitteln dagegen die Texte auf der Webpage des International Action Centers (IAC) aus New York. Medienwirksame Gallionsfigur des IAC ist der ehemalige Generalstaatsanwalt der USA, Ramsey Clark, der heute Giftpfeile gegen die Außenpolitik der einzig übrig gebliebenen Weltmacht schießt. Auch wenn viele IAC-Berichte zu den Konflikten in Jugoslawien hohen Informationswert besitzen und oft den Finger in die richtige Wunde legen, stört doch die Verengung der Perspektive auf den "Hauptfeind". Berichte über die Exzesse der nationalistischen Politik eines Slobodan Milosevic, oder mazedonischer Nationalisten sucht man hier vergeblich.

In eine ähnliche Richtung tendiert das kurios anmutende Projekt www.amselfeld.com. Unter dem emblematischen Namen der heiligen Erde Serbiens, dem im Kosovo liegenden Amselfeld, auf dem 1389 die Serben gegen die Osmanen unterlagen, werden hier Informationen und Analysen verbreitet, die sich gegen die Nato-Politik auf dem Balkan richten. Dabei kommen krude Allianzen zustande. So verfügt der enttarnte DDR-Spion Rainer Rupp, alias "Topas", über eine eigene Rubrik, unter der er seine "Publikationen zur internationalen Politik" abheftet. Rupp war zwischen 1977 und 1989 Mitarbeiter der Nato-Zentrale in Brüssel und konnte dort für die DDR hochbrisante Geheimisse recherchieren. Ende 1993 wurde er enttarnt und saß bis Juli 2000 eine Haftstrafe ab. Neben Rupps mitunter hoch interessanten Analysen, stehen auf www.amselfeld.com Texte, die den heroischen Kampf der serbisch-orthodoxen Kirchen gegen den islamistischen Expansionismus ehren. So kann man da in einer Rede des Bischof Nikolaj Velimirovic zur "spirituellen Bedeutung des Kosovo lesen":

"Und die echten Serben - was im Amselfelder Sinne bedeutet: echte Christen - sollen dem Herrgott danken, daß Er ihnen Kosovo gegeben hat, Stolz und Trost und die unversiegbare Quelle der erhabensten Begeisterung, Reinigungsbad des Gewissens aller Geschlechter bis zum Ende der Zeit."

Wer schon jetzt wissen will, wo in Zukunft die Kommandoerklärungen zu den Anschlägen publiziert werden, die das Peace-Keeping in Mazedonien zu hintertreiben versuchen werden, kann zu www.shqiperiabashkuar.cjb.net surfen. Hier trifft man auf die Page des Nationalkomitee für die Befreiung und Verteidigung der Albanischen Territorien, dem auch die bereits erwähnte Albanische National Armee (ANA bzw. AKSh) untergeordnet scheint. Deren Führer, Valon Flamuri, bezeichnet das Abkommen von Ohrid als inakzeptabel und erklärte seine Unterzeichner Arben Xhaferi, Ymer Ymeri und Ali Ahmeti von den mazedonischen albanischen Parteien und der UCK zu "Verrätern". In einer Anordnung vom 8. August wird die Schaffung "enger sozialer Beziehungen und ein Zusammenlegen der Waffen mit allen UCK-Kommandanten, die diesen Verrat nicht hinnehmen und zu einer Fortsetzung des Kampfes bereit sind", gefordert. In dieser Anweisung werden die Kommandanten auch aufgefordert, slawisch-mazedonische Militär- und Polizeiverbände anzugreifen. Leider sind alle Texte auf albanisch, aber es steht zu vermuten, dass auch bald eine Übersetzung zu haben sein wird. Schließlich muss der Kampf der für die Befreiung und Verteidigung der Albanischen Territorien auch an der Front des Infowar gewonnen werden, das wissen auch albanische Nationalisten.