Infrastruktur ist keine Ware unter anderen
Störungen können alles lahmlegen
An einem Tag im November 1997 entfernte ein Mann eine Stahlstütze von einem 27 Meter hohen Masten, der das Stromkabel trug, das das Wasserkraftwerk Kafue Gorge in Sambia mit dem südafrikanischen Stromnetz verbindet. Er wollte sie zu Armreifen verarbeiten, um sie an Touristen zu verkaufen. Der Mast stürzte um, riß zwei weitere Masten mit sich und löste eine Kettenreaktion aus, die schließlich einen Stromausfall in sechs Ländern verursachte.
Die ersten großen Stromschwankungen ließ das 250 Kilometer von Kafue entfernte Hwange-Kraftwerk in Nordwest-Simbabwe zusammenbrechen. Darauf folgten die riesigen Turbinengeneratoren im Kariba-Damm. Dann kehrte sich der Stromfluß nach Sambia von einem Wasserkraftwerk in Kongo um und floß wieder zurück. Südafrika verlor seine Verbindung mit dem riesigen Wasserkraftwerk von Cabora Bassa in Mozambique und alle Stromverbindungen zwischen Südafrika, Simbabwe und Sambia wurden unterbrochen. Die Zivilisation mit all ihren Zielen und Zwecken wurde während 12 Stunden lahmgelegt, die nötig waren, um das Schlammassel aufzulösen und die Versorgung wiederherzustellen. Die Kosten allein für die Kraftwerke gingen in die Millionen. Die Verluste der Konsumenten in einem so großen Gebiet und in so vielen Ländern ließen sich unmöglich schätzen.
Nicht nur die bizarre Ursache des Kafue-Vorfalls macht ihn interessant. Wichtig dabei war, daß er nicht durch Krieg, durch einen terroristischen Anschlag, durch einen Atomunfall oder als Folge einer unzureichenden Wartung oder einer veralteten Ausrüstung verursacht wurde. Der wirkliche Schaden war nur klein, aber trotzdem war dies ein Vorfall mit lähmenden negativen Folgen. Wie beim großen New Yorker Stromausfall im Jahr 1977 oder bei den bekannten Nuklearunfällen in Three Mile Island, Sellafield und Tschernobyl ließ es alle plötzlich an die entscheidende lebenserhaltende Bedeutung der Infrastruktur erinnern, zu der nicht nur Straßen, Brücken und Dämme gehören, sondern auch der kontinuierliche Betrieb der Strom- und Kommunikationsnetze, die überall die moderne Zivilisation tragen - und deren Funktionieren überall als selbstverständlich gilt.
Auch wenn schwere Störungen der globalen Infrastruktur der Elektrizität im Vergleich mit der das ganze Jahr über und täglich 24 Stunden regelmäßig gelieferten Leistung selten sind, so treten sie doch häufiger auf, als wir dies uns vorstellen. Nur ein paar Monate vor der Störung von Kafue Gorge gab es den großen Stromausfall in Quebec, wo Tausende unter arktischen Bedingungen für fast zwei Wochen keinen Strom mehr hatten. Der nächste Vorfall sollte nicht lange auf sich warten lassen. Ende Februar diesen Jahres wurde es in Auckland, dem Standort des Sky Tower mit 328 Meter, dem höchsten Bauwerk der südlichen Erdkugel, und der größten Stadt in Neuseeland mit 1,1 Millionen Einwohnern, dunkel, nachdem kurz nacheinander vier riesige Stromkabel ausfielen. Diese unterbrochenen Stromkreise ließen das zentrale Geschäftsviertel der Stadt von Notgeneratoren abhängig werden, die nicht für einen kontinuierlichen Betrieb gemacht oder mit der notwendigen Menge an Treibstoff aufgefüllt waren, während der Rest der Stadt auf ein einziges Hilfskabel beschränkt war, das kaum genügend Energie für die Krankenhäuser und Notfalldienste lieferte. Im Unterschied zu den relativ dünn besiedelten Gebieten bei den Stromausfällen in Quebec und Sambia - und mit großer Sicherheit im Unterschied zu den schnell erfolgten Reparaturen nach der Störung von Kafue Gorge -, war die Agonie von Auckland kritisch und langwierig.
Vor dem Stromausfall arbeiteten im zentralen Geschäftsviertel von Auckland über 60000 Menschen und lebten 5000 in Wohnungen, die mit einem Lift erreichbar sind. Als schließlich das Ausmaß der notwendigen Wiederherstellungsarbeiten für die Stromversorgung deutlich wurde, sah sich die Regierung gezwungen, alle diese Bewohner zu evakuieren und alle Geschäfte der Innenstadt aufzufordern, für eine Woche zu schließen oder woandershin zu gehen. Zur selben Zeit schlossen die zwei Universitäten Aucklands ihre Pforten und machte der Hafen dicht, wodurch die Schiffe zu anderen Zielorten umgeleitet werden mußten. Innerhalb von Tagen war das Stadtzentrum zu einer Geisterstadt geworden, in der Polizisten zur Abschreckung von Plünderern patrouillierten. Unvermeidlicherweise dehnte sich der auf eine Woche vorhergesagte Notfall auf zwei und schließlich auf drei Wochen aus. Die Elektrizitätskrise von Auckland war viel leichter zu berechnen als die Kosten des Stromausfalls im ländlichen Quebec oder Südafrika und die Verluste werden jetzt auf annähernd 330 Millionen Dollar geschätzt, bis wieder ein akzeptables Ausmaß an zeitweiliger Stromversorgung hergestellt war.
Die Bedeutung des Stromausfalls in Auckland war nicht auf die finanziellen Kosten oder den Schaden und die Unbequemlichkeiten beschränkt, die weitaus schlimmer gewesen wären, wenn er sich im Winter ereignet hätte. Ebenso lehrreich waren die Reaktionen der neuseeländischen Regierung und die drastischen Maßnahmen, die ergriffen werden mußten. Zuerst wurden mobile Generatoren aus dem ganzen Land, dann von Australien und schließlich aus der gesamten ostasiatischen Region eingeflogen. Als es später offensichtlich wurde, daß sich das Problem nicht schnell lösen ließ, begann das privatisierte Elektrizitätsunternehmen ein Notkabel vom nationalen Netz neben den Eisenbahngleisen in die Stadt zu legen. Das machte nicht nur rechtliche Notstandsmaßnahmen der neuseeländischen Regierung nötig, weil es Umweltschutzgesetze verletzte, sondern man sagte vorher, daß man drei Monate bräuchte, um die Versorgung herzustellen.
"Die Schwierigkeit ist, daß die Elektrizitätsunternehmen einfach nicht anerkennen, daß Strom nicht irgendeine Ware ist, sondern wie Straßen und Brücken ein wesentlicher Bestandteil der Infrastruktur des Landes." Diese Worte vom Vorsitzenden des früheren Verwaltungsausschußes der Aucklander Strombetriebe kann auf alle Städte der Welt bezogen werden - und nicht nur hinsichtlich der Stromversorgung. Es gibt Eisenbahnnetze, Tunnels, Brücken und Viadukte, die langsam, aber sicher zerfallen. Es gibt Wasser- und Gasröhren, die lecken, und Flughäfen, die unter dem Stau zusammenbrechen, der durch fehlende Verbesserungen entstanden ist. Architektur, das sichtbare Symbol jeder neuen Entwicklung, kann innerhalb von Tagen durch eine fehlende, falsche, ungeschützte oder irreparabel zerstörte urbane Infrastruktur an den Rand des Verfalls gebracht werden. Und doch behandeln sie die dafür verantwortlichen Menschen, wie der Vorsitzende sagte, als wäre sie nur eine Ware unter anderen.
Aus dem Englischen übersetzt von Florian Rötzer