Inside ENFOPOL
Neue Strategie: Aufteilung des Pakets
Nach der ersten Protestwelle gegen die ENFOPOL-98-Pläne wiegelt das deutsche Bundesinnenministerium mit formellen Argumenten ab. Wie ein internes Memorandum aus dem britischen Innenministerium beweist, setzen die ENFOPOL-98-Befürworter nun auf eine Zersplitterungsstrategie. Ein Blick auf interne Kommunikations- und Organisationsstrukturen von ENFOPOL zeigt jedoch, daß die EU-Überwachungspläne international koordiniert werden.
Die Arbeitsgruppe ENFOPOL
Langsam beginnt sich der Nebel um ENFOPOL zu lichten. Erarbeitet wurden die EU-Abhörpläne von der Arbeitsgruppe K 4 „Polizeiliche Zusammenarbeit“ - in Englisch trägt die Gruppe die Bezeichnung „Enforcement Police“. Alle Dokumente dieser Gruppe tragen daher das Kürzel ENFOPOL. Die Gruppe beschäftigt sich nicht nur mit dem Abhören von Telekommunikation, sondern auch mit Rowdytum bei Sport- Großveranstaltungen, DNS-Analysemethoden zum Nachweis von Kinderschändern oder technischen Standards für Polizeitechnik.
In diese Arbeitsgruppe gehen Papiere aus anderen informellen Arbeitsgruppen wie dem ILETS, dem International Law Enforcement Telecommunications Seminar ein. Referatsleiter der nationalen Polizeien, nicht nur von EU-Mitgliedsstaaten, sondern auch der USA und Kanada, erarbeiten im ILETS gemeinsame Vorschläge und technische Richtlinien oder legen Standards fest. Das ILETS traf sich erstmals im November 1993 auf Einladung des FBI hin Quantico. Zu den Teilnehmern zählten einige EU-Länder, Kanada, Schweden, Norwegen, Finnland, Hong Kong, Australien, Neuseeland und die USA.
ILETS erarbeitete 1994 die International User Requirements (IUR) zum Abhören von Telekommunikation. In den USA kam es ziemlich schnell zu handfesten Ergebnissen: der auf den IUR basierende FBI-Vorschlag "The Communications Assistance for Law Enforcement Act" wurde im US-Kongreß verabschiedet und am 25. Oktober von US-Präsident Clinton unterzeichnet. Von Nicht-EU-Staaten wurden die IUR in einem Memorandum of Understanding als völkerrechtlich bindend gezeichnet. Die EU ist jedoch sechs Jahre später immer noch nicht viel weiter. Zwar wurden mit Beschluß des Rates der EU vom 17. Januar 1995 die IUR bereits umgesetzt - doch nur für Telekommunikation. Internet- oder Satellitenkommunikation wurde hier noch nicht erfaßt. Die neuen Technologien erforderten eine Anpassung, die im ENFOPOL 98-Papier erfolgte, die Ratsempfehlung steht jetzt im Mai an.
Für die Amerikaner geht der Prozeß zu langsam voran. Seit Jahren bemühen sie sich um Rechtshilfeabkommen in der Strafverfolgung - umsonst. Spätestens seit Herbst 1998 setzen sie neben den Verhandlungen mit dem Brüsseler Beamtenapparat auch auf bilaterale Verhandlungen. Von Einzelvereinbarungen mit den EU-Staaten versprechen sich die US-Unterhändler schnellere Ergebnisse.
Die Verhandlungsstrategie der Amerikaner hat jedoch noch einen anderen Effekt: Es kommt Bewegung in den EU-Apparat, der jetzt bis Mai das Papier durch den Rat bringen will. Im Juni treffen sich zudem die G8-Staaten zu einem Gipfel in Köln. Auf der Tagesordnung steht auch die internationale Verbrechensbekämpfung. Die Ratsempfehlung könnte die direkte Vorbereitung für ein internationales Abkommen sein.
Warum das Parlament machtlos ist
Gegenüber der Presse behauptet jetzt das Bundesinnministerium, daß die ENFOPOL-98-Entschließung „nur im Rahmen nationalen Rechts“ realisiert werden kann. Etwas anderes war auch nie vorgesehen. Um die Funktionalität der Entschließung wirklich beurteilen zu können, ist ein genauerer Blick auf die Konstruktion des EU-Apparates nötig: Innerhalb der sogenannten 3. Säule des Maastrichter Vertrags von 1993 wird die „Zusammenarbeit der Justiz- und Innenminister“ geregelt. Hier beraten sich die Minister der Mitgliedstaaten im Rat und können einstimmig gemeinsame Maßnahmen verabschieden oder Abkommen zur Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten empfehlen. Der Rat kann selbst keine rechtlich verbindlichen Beschlüsse abgeben, sondern nur Empfehlungen aussprechen.
Da die Innen- und Justizpolitik die Souveränität der Mitgliedsstaaten berührt, werden alle relevanten Entscheidungen von den Staaten selbst getroffen. Dies hindert sie jedoch nicht daran, innerhalb der 3. Säule Entscheidungen vorzubereiten und im Rahmen multilateraler Verträge miteinander zu koopieren. Prominentestes Beispiel ist Europol oder das Schengen-Abkommen, das nur von einigen EU-Ländern unterschrieben wurde. Das Europäische Parlament kann anders als beispielsweise im Bildungs- und Kulturbereich Ratsempfehlungen im Bereich „Innen & Justiz“ nicht per Veto kippen. Wenn Parlamentsabgeordnete jetzt über die „Stoppt Enfopol“-Aktion angeschrieben werden, können sie wie der EU-Bürgerbeauftragten Södermann rein formell nichts unternehmen. Protestieren kann er nur dann, wenn die Ratsempfehlung nicht veröffentlicht wird. Öffentliche Äußerungen von Parlamentsmitgliedern und Jakob Södermann können allerdings einen gewissen politischen Druck ausüben.
Die 3. Säule ist nicht, wie jetzt die Reaktionen der deutschen oder britischen Regierung auf die ENFOPOL-Kritik glauben machen wollen, ein zahnloser Tiger. Die Beratungen innerhalb der Arbeitsgruppen zielen pragmatisch auf eine verbesserte Kooperation. Das fängt bei der Formulierung technischer Richtlinien an, die dann von den nationalen Behörden übernommen werden und hört bei Europol auf. Rein organisatorisch dienen die Arbeitsgruppen der Vorbereitung politischer Entscheidungen in den einzelnen Mitgliedstaaten.
Damit die Entscheidungen nicht widersprüchlich, sondern weitgehend konform ausfallen, werden sie in den Arbeitsgruppen fachlich vorbereitet. Die Arbeitsgruppen selbst formieren sich nach Bedarf zu bestimmten Themen und können, wie beim ILETS, auch Vorschläge aus Nicht-EU-Staaten bearbeiten. Die Ergebnisse der Arbeitsgruppen werden in sogenannte Lenkungsgruppen eingebracht. Es gibt drei Lenkungsruppen Asyl, Polizei und Justiz, die sich mit Fragen der Rechtshilfe und des Zivilrechts befassen. Diese Gruppen bereiten die Papiere für den sogenannten K-4-Ausschuß, der nach dem Artikel 4 des Maastrichter Vertrags benannt ist. Er koordiniert auf Staatssekretärsebene die Zusammenarbeit der nationalen Innen- und Justizressorts und fungiert als Vorstufe für die Beschlüsse der Minister.
Die flexible Strukturierung der EU-Arbeitsgruppen innerhalb der 3. Säule ermöglicht eine lockere, aber effektive Zusammenarbeit innerhalb eines Fachgebiets, ohne auf politische Rahmenbedingungen Rücksicht nehmen zu müssen. Nicht nur die Arbeitsgruppe ENFOPOL, sondern auch andere Gremien funktionieren ohne formelle Anbindung an herkömmliche Arbeitsstrukturen von Regierungen. Dieselben Leute, die in diesen Arbeitsgruppen sitzen, können in anderen Gremien der EU oder in internationalen Arbeitsgruppen wie dem ILETS sitzen. Über diese personelle Schiene können die Ergebnisse der Arbeitsgruppen reibungslos in die jeweiligen bürokratischen Kanäle eingeschleust werden. Das ganze Vorgehen ist keineswegs illegal, sondern im 1997 verabschiedeten Amsterdamer Vertrag ausdrücklich gewollt. Ziel ist die allmähliche Vereinheitlichung der Gesetzgebung in den einzelnen Mitgliedsländern und das politische Zusammenwachsen der Europäischen Union. Ratsempfehlungen haben daher, auch wenn sie rechtlich nicht bindend sind, enorme Signalwirkung und werden als europäische Legitimation nationaler Gesetzesanpassungen benutzt.
Nebelwerfer und Nebengleise
Wurde die Existenz der Arbeitsgruppe ENFOPOL noch bis vor wenigen Tagen vom Bundesinnenministerium bestritten, so wird inzwischen der ganze Vorgang nicht mehr komplett negiert, sondern heruntergespielt, in einzelne Stücke zerpflückt und auf eine völlig neue Zeitschiene gesetzt. Aufgrund der öffentlichen Kritik ist es den Verantwortlichen nunmehr klar, daß sie ihre Pläne, wie sie noch im „ENFOPOL 98“-Papier skizziert wurden, politisch ad hoc nicht durchsetzen können.
Anstatt nun das komplette Paket in eine Ratsempfehlung zu gießen, wird es in einzelne, leicht verdauliche Papiere zerteilt und durch verschiedene Arbeitsgruppen und Gremien wieder hochgespielt. Dazu gehört die in „ENFOPOL 98 Rev 2“ getroffene Einigung darüber, daß die Regeln, die derzeit für das Abhören von Telekommunikation gelten, auch auf die neue Kommunikationstechnologien wie Satelliten- und Internetkommunikation angewendet werden sollen. Die damit verbundenen rechtlichen und technischen Probleme werden in anderen Papieren behandelt. So wird beispielsweise die brisante Kryptofrage und die Frage des grenzüberschreitenden Abhörens auf ein bislang unbeobachtetes Nebengleis verschoben.
Aus einem internen Memorandum des britischen Innenministeriums vom 8. Februar geht diese Strategie eindeutig hervor. Darin heißt es: „Der Entschließungsentwurf wird separat vom Entwurf des gegenseitigen Rechtshilfeabkommens über die gesetzlichen Rahmenbedingungen zur Kooperation in Abhörangelegenheiten behandelt.“ Explizit weist das Memo darauf hin, daß die Entschließung keine „finanziellen Implikationen“ in sich birgt. Nach der Aufregung um die deutsche Telekommunikationsüberwachungsverordnung (TKÜV) gilt es als erwiesen, daß jede Vorgabe, aufgrund derer Provider Abhöreinrichtungen auf eigene Kosten installieren müssen, auf den erbitterten Widerstand der Wirtschaft stoßen wird. Um dennoch ans Ziel kommen zu können, werden daher die einzelnen Regelungsbereiche strikt voneinander getrennt und zeitlich separiert.
Grundrechtsdumping
Die heute brisanteste und dringendste Frage ist; Welchen rechtlichen Status hat das Land mit der Iridium-Bodenstation, also Italien? Gelöst wird diese Frage nicht von der ENFOPOL-Arbeitsgruppe, sondern von einer juristischen Arbeitsgruppe namens JUSTPEN. Wollen deutsche Behörden wissen, was während eines Iridium-Handy-Gesprächs zwischen Hamburg und Frankfurt gesprochen wird, müssen sie nach geltendem Recht erst einmal einen Antrag bei einem deutschen Staatsanwalt stellen. Dieser muß mit den italienischen Behörden Kontakt aufnehmen und eine Genehmigung nach italienischem Recht einholen.
Die Arbeitsgruppe JUSTPEN hat im November 1998 den Entwurf eines Rechtshilfeabkommen vorgelegt, der vorsieht, daß das Abhören in „Übereinstimmung mit den Anforderungen des inländischen Rechts“ stattfinden muß. Damit gelten die Rechte des Staates, der abhören will. Will also eine deutsche Behörde abhören, so kann sie dies nach ihren eigenen rechtlichen Regeln auf ausländischem Boden und unter Umständen mit ausländischen Bürgerinnen und Bürgern tun. Auf lange Sicht wäre daher eine Angleichung der unterschiedlichem nationalen Eingriffsbefugnissen nötig. Die Angleichung wird über die Jahre zu einem Grundrechtsdumping führen, wenn ein Staat mit vielen Eingriffsbefugnissen keine Rechte abgeben will und diejenigen Staaten mit höherem Grundrechtsschutz aus Gründen der Abhörbequemlichkeit folgen werden. Das wird jedoch eine Frage der nationalen Politik und damit auch der öffentlichen Diskussion sein.