Intellektuelles Tagträumen zwischen Miami und Donauwellen

Ein Email-Gespräch mit dem österreichischen Electronic-Mood-Musiker Curd Duca.

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Mit einer Serie durchnummerierter CD's unter dem Titel , die aber gar nicht so anzuhören sind, verschaffte sich Curd Duca innerhalb weniger Jahre eine Fangemeinde in der elektronisch-digitalen Musikszene und darüber hinaus. Seit einiger Zeit schon begann mit "Elevator" eine neue Reihe, dazwischen Projekte, wie z.B. eigenwillige Wagner-Variationen. Was macht die Musik des Österreichers mit Wohnsitz in Wien und Miami so interessant für so viele Menschen? Nachdem er in Telepolis bereits ausführlich vorgestellt wurde, kommt er nun selbst zu Wort, im Email-Dialog mit Jörg Heiser.

Curd Duca in Miami, Foto Armin Medosch

: Bisher war deine Musik, so weit sie trotz ihrer Dämmerschlafhaftigkeit und wegen ihrer verdichteten Kürze auch in eine andere Richtung als z.B. Ambient wies, weitgehend wort- und stimmlos. Voll präsente Stimmen lenken zu sehr ab vom Schwebezustand der Töne, sie signalisieren Äusserung, Botschaft, selbst dort, wo sie nichts sagen. Allenfalls ein paar entrückte Micky Mouse-Stimmen tauchten hin und wieder aus den Tiefen deines Sound-Alls auf wie lachgasbesoffene Astronauten auf Weltraumspaziergang. Auf deiner neuen CD "Elevator II" aber bringst du das Element Stimme wieder ins Spiel. Es sind meist weibliche Timbres: nur kurze Ahnung und Klang unter anderem im ambivalent betitelten zweiten Stück "dusty" (also wie in "staubig", aber auch Dusty Springfield, die legendäre Sängerin, die hier nocheinmal kurz vor ihrem Tode geehrt worden ist). Zur Gewissheit wird die Präsenz weiblichen Gesangs im fünften Track "touch": als wäre die Aufnahme einer hauchenden Barsängerin im Aktenvernichter zerstückelt worden, schält sich erst durch das rekonstruierende Hören die Zeile "...Heaven to Touch..." heraus. Dir scheint es um das mitschwingende Atmen zu gehen, um das, was Roland Barthes einmal "grain", die Rauheit, die "Körnung" der Stimme genannt hat. Das, worin der Körper - oder auch das Unbewusste - sich in der singenden Stimme ausdrückt: Lust, Zwänge, die Zerrissenheit dazwischen. Entsprechend taucht dann auch in Track 13 ("uaahh") die Karikatur eines Boxkampf-Stöhnens samt Actionfilm-Klatschgeräuschen, zum Beat getaktet, auf, begleitet von Spannungs-Querflöte à la Aktenzeichen XY. Geht es dir also nicht um die ursprüngliche Rhythmik von stimmlichen Äusserungen, geschweige denn deren Inhalt, sondern um ihren Sound, gefiltert in den Klischees weiblicher Erotik und männlicher Gewalt?

curd duca: die männliche gewalt war eher ein zufalls/neben-produkt ... ist aber eine interessante gegenüberstellung ... quasi die essenz aus mortal kombat versus frauenstimmen im cut-up ...

"grain" trifft es recht gut ... eine taktile / haptische qualität ...

etwas allgemeiner betrachtet ist das genau die art von interesse, die ich auch anderen soundquellen entgegenbringe ... mir gefällt eigentlich in den seltensten fällen ein musikstück "total" ... meist ist es nur ein element, das ich herausnehme ... ob das jetzt der wagner ist oder eine sängerin ... das ganze werk hält meist nicht stand ... die lieder sind zu banal, die melodien klischeehaft ... aber es gibt manchmal diesen magischen moment ... oder eine qualität, die es sich lohnt, herauszuarbeiten ...

ich könnte im grunde jede musik verwenden ... es gibt in meiner musikalischen sozialisation vieles, das stoff bieten würde für weitere erkundungen ... wende mich halt nach und nach den verschiedensten dingen zu ... rock ... volksmusik ... easy listening ... ethno ... jazz ... klassik ... klassische avantgarde ...

habe im vorjahr diesen workshop geleitet an der schule für dichtung ... sound sample poetry ... das hat sich mit meinem erwachten interesse an stimmen gut getroffen ...

: Eigentlich könnte man auch die technische Verstörung und Zerstückelung der Loops und der Stimmen selbst schon als ein gewalttätiges Element bezeichen. Die Störgeräusche, die an den "Klebestellen" zwischen einzelnen Samples entstehen, retuschierst du teilweise absichtlich nicht weg, stattdessen vervielfältigst du sie wieder, es knackt und stottert manchmal wie kurz vorm Zusammenbruch. Es ist, als würdest du testen, wie weit du mit der Kurz-Loop-Kanonade gehen kannst, ohne die heitere Melancholie deiner Musik zu zerstören. Was hat dich zu dieser Verschärfung deines Sounds geführt?

curd duca: heitere melancholie ist gut formuliert ... ich sehŽs aber gar nicht als gewalttätig, sondern als psychedelisch ... die wahrnehmung bleibt bei meinen experimenten immer das maß der dinge ... man soll sich im hören entspannen können und sich dem guide gerne anvertrauen ...

vieles in meiner arbeit ist von zufällen diktiert ... welche platten ich gerade zur verfügung habe ... meine sprunghaften interessen ... in hohem maß auch die technik ... vor ein paar jahren war mal mein sampler kaputt ... ich hab dann 2 jahre lang ohne gearbeitet ... hab das positiv gesehen ... als eine interessante weichenstellung ... hat meine ästhetik beeinflußt ... so wie jetzt eben ein schnellerer computer mit coolen soundprogrammen

Aber ist es nicht auch die letztlich emotional begründete Suche nach gebrocheneren Musikzuständen?

curd duca: ich sehe es als ein ganzmachen ... ein heimholen der stimme aus der welt der ästhetischen rückständigkeit musikalischer konventionen in eine traumartige präsenz ... einen zustand des reinen klanges ... durch die vielen schnitte entsteht anstelle von linearität eine gleichzeitigkeit verschiedener standpunkte ... wie im kubismus ... das spielen mit der zersplitterung ... das ansprechen von mehreren ebenen zugleich ... entspricht der struktur und gesetzlichkeit von wahrnehmung ... ein versuch, in einer schizophrenen situation ganzheitlich und organisch zu erleben ...

wichtig ist dabei der human factor ... der musikalische audruck ... meine zielvorstellungen: nicht konstruktivistisch, wie fast alle elektronische musik, sondern von subjektivem eingreifen belebt ... improvisatorisch in einem ähnlichen sinn wie im jazz ... und rhythmisch offen wie in der spätromantik ... mehr dem atem verpflichtet als dem klopfenden takt ... sehe mich zur zeit irgendwo zwischen musique concrete und jazz ...

wende mich von vielen paradigmen der 80er jahre ab ... dem grooveterror der drum machines .. loops ... dark and distressed athmospheres ... distortion ... repetitive patterns ...

ziel: experimentell, aber nicht nervig ... versuche, ernste kunst zu machen mit den eigenschaften: soothing, relaxing, light, transparent, gentle, peaceful, warm, soft, low key, calm ...

: Zu einem Zeitpunkt, als noch kaum jemand von einem Easy Listening-Revival auch nur träumte, 1991, hast du im Eigenverlag eine CD mit minimalistischen elektronischen Stücken unter dem Titel "Easy Listening Vol. 1" herausgebracht. Darauf folgte eine Serie von vier, regulär vertriebenen CD's bis einschließlich "Easy Listening Vol. 5" (1997). Wie kamst du dahin, wie verlief die musikalische Vorgeschichte?

curd duca: mir scheint die tatsache wichtig, daß ich schon sehr verschiedene dinge gemacht habe... hip hop tracks ... minimalistische volksmusik ... harte, verzerrte musik mit zerfetzten rhythmen ... ich habe neulich einem freund meine musik aus den 80er jahren vorgespielt... der war völlig verblüfft, dass ich diesen background habe ... freie improvisation zwischen "ernster avantgarde", new wave und free jazz ... beeinflußt von glenn branca ... residents ... ornette coleman ...

ich arbeite gerade das archiv meiner früheren band "auch wenn es seltsam klingen mag" auf ... ca 60 cassetten (1981 - 86) ... ich kondensiere das auf 12 CD's ... akkordeon-walzer, vertrackte lieder, ausgedehnte improvisationen mit inspirierten momenten ... das, was wir damals "gah" nannten (zielloses, offenes suchen mit viel leerraum) und maschinenmusik (eine art kraftvoll-pulsierender free jazz) ... damals hab ich für mich die schroffen töne abgehandelt ... dann gibtŽs noch die gruppe "8 ODER 9" (1982 - eigentlich immer noch) ... die platten hießen "8 ODER 9 führen durch die ruinen ihrer musik", "grausamer süden", "liebende arme", "höllenaugen" ...

Deine letztjährige CD "Elevator I" schien so etwas wie eine abschließende Essenz deiner Easy Listening-Reihe zu repräsentieren - und zugleich einen Neuanfang?

curd duca: ich sehŽs als etwas weiterweisendes ... ein aufbruch in eine neue richtung ...

Aber der Titel der neuen "Werkreihe" "Elevator" verweist doch schon auf den Begriff der Fahrstuhlmusik, der wiederum eng mit dem des Easy Listening verknüpft ist.

curd duca: ich sehe den begriff metaphorisch ... fortbewegungsmittel ... in technischer und auch geistiger hinsicht ... etwas, das sich nach oben bewegt ... (ich denk seltsamerweise immer: nach oben) ...

Aber eine Kontinuität ist schon zu erkennen. Aus der Reihe fällt da schon eher deine ebenfalls auf Milles Plateaux erschienene CD mit elektronischen Variationen auf Richard Wagner (dem du aber eigentlich auch eine unverhoffte Easy-Listening-Leichtigkeit erschliesst).

curd duca: auch das "aus-der-reihe-fallen" hat bei mir schon geschichte ... in den achziger jahren hab ich hip hop gemacht ... vorletztes jahr hab ich für ein projekt bei der ars electronica das "ballet mechanique" von georges antheil re-mixed ... und letztes jahr die musik des elektronik-pioniers max brand ... und in meiner schublade liegen halbfertige charlie-parker-tracks ...

Du benutzt für deine Stücke meist kurze, deskriptive Titel wie "mancini touch" , "dark swing" oder "vroom", die mitunter wie Computer-Dateinamen wirken...

curd duca: die titel sind mir wichtig ... eine art poetisches feld ...

Ab wann war dir eigentlich klar, dass du genügend Spass und Ideen dafür haben würdest, das minimalistische Grundkonzept der Easy Listening-Serie - und nun mit "Elevator" ja wieder eine Reihe - so lange zu verfolgen, und das, ohne dich zu wiederholen?

curd duca: nach der ersten hab ich mir gedacht : das warŽs, jetzt fällt mir nix mehr ein ... erst bei der zweiten habe ich die möglichkeit gesehen, eine ganze reihe zu machen... aber auch dann hab nach jeder CD geglaubt, das war jetzt die letzte ... jetzt hör ich überhaupt auf mit dem musikmachen...

Du hast das Glück, deine Zeit zwischen Wintern in Miami und Sommern in Wien aufteilen zu können. Haben die jeweiligen Städte und ihre sehr unterschiedlichen Szenerien bzw. das Pendeln zwischen ihnen einen direkten Einfluss auf deine Musik?

curd duca: in miami bin ich wie ein mönch in klausur ... sehr zurückgezogen ... die antithese zur vergnügungsmaschine south beach ... hier kann ich in ruhe meine ideen verfolgen ... in der wärme der subtropen ... umgeben von einem leichten latin-beat ... in diesem umfeld kann man sich besser entspannen und ausbreiten ... da wird auch sicher die musik anders ...

Es gibt eine Menge Leute im Elektronikmusik-Bereich, die ihre musikalische Sozialisation am liebsten nicht thematisiert haben wollen, weil es ihnen z.B. peinlich ist, daß sie mal Gitarrenpop gemacht haben, oder weil sie dem Ideal der Anonymität anhängen: nur den Insidern bekannt, für das Publikum ein geheimnisvolles Phantom oder einfach nur ein Name. Kann man sagen, daß da eine Art Post-Historizität propagiert wird, während du auf Geschichtlichkeit beharrst?

curd duca: ich habe da keine leichen im keller ... einfach sich ständig im lauf der zeit verändernde interessen ... und dinge, die konstant bleiben ...

Deine Samples bewegen sich interessanterweise genau an der Grenze zwischen "echtem" Zitat und vom Ursprung abstrahiertem Soundfile

curd duca:: ich bevorzuge es, samples als klangobjekte zu sehen ... als abstrakte , a-historische texturen ... so mache ich meine entdeckungen ...

Lässt sich nicht in der scheinbaren Beruhigtheit deiner Musik schon die dunkle Seite heraushören, also in dem Sinne, wie sich z.B. in dem Titel "Manson Chainsaw" dann doch Charles Manson und das Kettensägenmassaker von Ferne in die Beach-Boys-hafte Seligkeit schieben?

curd duca: in meiner welt hat charles manson schon auch seinen platz ... aber was ich suche ist so was wie die ruhe nach der läuterung ... offen für alle möglichen feinen strömungen ... das kann man manchmal wohl auch abgründig nennen ... ich unterscheide hier zwei arten von dunkel: das kalte, kranke, in der industrial-tradition stehende (von 80er jahre electronic body music bis illbient) ... und das warme, organische, alice-im-wunderland-artige ... im sinne eines LSD trips ... wo es staunen gibt und suchen und wohl auch etwas angst ... aber diese angst wird nicht zelebriert ...

Wenn ich z.B. glaube, in einem deiner Bläsersatz-Samples einen Peter-Thomas-Soundtrack herauszuhören ...

curd duca: ...peter thomas hab ich nie verwendet ... macht nix ... ich weiß, es ist schwierig, die samples herauszuhören ... daran sind schon viele gescheitert ... ich hoffe, das bleibt so (wegen der anwälte) ...

Werden da nicht auch die Abgründe der Elterngeneration von dir hervorgesamplet, die sich eskapistisch zwischen "Edgar Wallace" und "Raumschiff Orion" in ihrer Nachkriegs-Vorgartenidylle eingerichtet hatte?

curd duca: das ist bei mir nicht die elterngeneration, sondern ich selbst ... ich hab ja raumschiff orion und bert kämpfert selbst miterlebt ... da war ich so um die 10 jahre alt ... deshalb nehm ich diese musik wahrscheinlich auch ernster ... ich betreibe re-kontextualisierung ohne ironie ... aber diese diskussion trifft ja eher auf die easy listening serie zu, auf "elevator" 1 + 2 schöpfe ich ja überwiegend aus anderen quellen ...

Um ein Beispiel von "Elevator I" herauszugreifen: das Stück "les blue" beginnt mit einer absteigenden Streicherfigur, die sozusagen postwendend vom Sampler wieder spiegelbildlich aufsteigend zurückgeschickt wird; darauf folgt ein elegischer Streichorchester-Halbtonschritt, unterlegt von einem Bert-Kämpfert-Bass-und-Besen-Schlagzeug, was mich insgesamt ein bisschen an den Winnetou-Soundtrack erinnert. Dann kommen Astronauten-Stimmen hinzu, eine tastende Synthesizer-Melodie, gedämpfte Bläser - hat das nicht alles etwas sehr Phantasmatisches?

curd duca: winnetou ... du hast recht ... die weite ... und so etwas getragenes, würdiges ... eine art unrealer zauber ... nicht so sehr für das alltags-wachbewußtsein ...

Da sehe ich einen Unterschied zu dem Verständnis elektronischer Musik, wie es zum Teil z.B. von der Kölner Minimal Techno-Szene um Mike Ink vertreten wird: dort entspricht das Selbstbild, trotz aller Wald- und Wiesen-Zauberberg-Rethorik, weniger dem des versunkenen Musikers, der in seine Welt der Gespinste einlädt, also auch bis zu einem Grad etwas von sich preisgibt, als vielmehr dem des Architekten, der einem zunächst einmal einen nüchternen, zu besetzenden Raum zur Verfügung stellt (was ja nichts Schlechtes ist)...

curd duca: ja, absolut ... ich möchte den hörer in einen see (oder einen wohltemperierten swimmingpool) von emotionen und traumbildern tauchen ... als studierter architekt spielen bei mir struktur und form allerdings ebenfalls eine große rolle ... dadurch bleibt distanz ... es erfolgt keine identifikation ... die emotion ist da - aber du bist nicht die emotion ... die aufmerksamkeit ist viel weiter angelegt ... auch die technische vermittlung gehört zum erleben ... das digitale knacksen der loops und das analoge knistern der schallplatten ... die rauhheit der klangoberfläche ... das alles sind weitere schichten der emotion ... wobei das wort emotion zu eng ist ... vielleicht besser: psychisches erleben ... intellektuelles wachträumen ...

Mit Curd Duca unterhielt sich Jörg Heiser, Deutschlandredakteur der englischen Kunstzeitschrift frieze.

Die kleinschreibung der Antworten erfolgte auf Wunsch curd duca's.