Interaktiv im öffentlichen Raum
Der Chaos Computer Club lässt "Pong" auf einer Hochhausfassade spielen und strahlt ein überdimensionales "Peace"-Zeichen aus
Der Berliner Alexanderplatz erinnert ein wenig an den Times Square in New York. Hochhausarchitektur, breite Straßen, grelle Lichtreklamen an den Fassaden, eine Fernseh-Großbildanzeige, überwiegend blinkende Werbung. Diese Vereinnahmung eines zentralen Ortes der Berliner Innenstadt durch den Kommerz wird vielfach kritisch beäugt. Graffiti ist die Low-Tech Antwort auf diese Einschreibung des herrschenden Diskurses in die öffentlichen Räume der Städte. Bis Ende des Jahres gibt es nun auch eine Hightech-Variante, die sich genau an der schmalen Grenze zwischen Werbung und spielerischer Wiedergewinnung bewegt. Der Chaos Computer Club hat sich im Rahmen der Aktivitäten zu seinem 20. Geburtstag etwas ganz besonderes einfallen lassen: eine Hochhausfassade als Computerdisplay.
Das ehemalige "Haus des Lehrers", ein architektonischer Klassiker der DDR-Moderne, war in den vergangenen zwei Jahren bereits ein begehrter Ort der Berliner Clubszene. Direkt gegenüber von Fernsehturm und Alexanderplatz gelegen, wurde es genutzt für verschiedene Parties, Ausstellungen und Installationen. Der neue Betreiber, der Anfang nächsten Jahres mit Sanierung und Umgestaltung beginnen will, ist seit Jahren mit den Hackern vom Chaos Computer Club freundschaftlich verbunden, denn in den von ihm betriebenen Haus am Köllnischen Park findet traditionell kurz nach Weihnachten mit dem Chaos Communication Congress das größte deutsche Hackertreffen statt. Da die Congresshalle am Alex, in der die Ausstellung zu 20 Jahren CCC derzeit läuft, direkt neben dem Haus des Lehrers liegt, bot er den Hackern das leerstehende Gebäude zur vorübergehenden Nutzung an. Die Computerfreaks sahen in der Hochhausfassade mit ihrer Fenstermatrix sofort etwas anderes: Die Grundlage für einen überdimensionalen Bildschirm. Die Idee war dabei gar nicht neu. "Das wollte wir schon immer gerne mal machen, aber wir hatten nie eine solche Gelegenheit", erzählt CCC-Mitglied Tim Pritlove, der an dem Projekt beteiligt ist.
Schnell waren 144 Baustrahler und Relais gekauft, 5 Kilometer Kabel in den oberen acht Etagen verlegt und drei Steuerungscomputer programmiert. Innerhalb von knapp vier Wochen stand die Software zur Ansteuerung der einzelnen Bildpunkte, und das Projekt blinkenlights nahm die elektronische Arbeit auf. Aus einer Hochhausfassade wurde so eine monochrome Matrix mit 8x18 Pixeln, die in ihren Dimensionen sämtliche Werbetafeln am benachbarten Alex um Längen schlägt. Ein wahrer Hack: "Kreativer Umgang mit Technologie", wie Clubmitglied Andreas Lehner es beschreibt. "Atypisches Benutzerverhalten" nannte das die Bundespost in den achtziger Jahren, als der CCC mit Akustikopplern seinen Anfang nahm
Der Chaos Computer Club macht damit nun Werbung in eigener Sache, durch Laufschriften mit "www.ccc.de" und das bekannte Logo mit dem verknoteten BTX-Kabel. Also nur eine weitere Variante der Lichterwerbung? Nein, denn überwiegend werden Bildchen und Animationen gezeigt, die mit dem Club nichts zu tun haben und oft auch gar nicht von den Hackern selber stammen. Der partizipative Anspruch ist nämlich das eigentlich Interessante dabei: Jeder kann kleine Textdateien mit blinkenlights-Grafiken oder -Animationen an den CCC schicken (blinkenpaint), der diese dann bei Gefallen auf der Fassade abspielt. Um die Teilnahme noch einfacher zu machen, wurde sogar ein eigenes Design-Programm Blinkenpaint geschrieben, mit dem man auf einem Foto des Hauses die Lichter an- und ausknipsen und so die Steuerdateien erzeugen kann. Mehr als hundert Leute haben sich inzwischen schon das Programm heruntergeladen, und über fünfzig Animationen sind bisher eingetroffen. Sie wurden bereits am letzten Wochenende im Rahmen der Wizards of OS-Lounge vorgestellt.
Besonders reizvoll ist die Echtzeit-Variante der Interaktivität. Durch Anruf der Nummer 0190-987654 erscheint auf der Fassade ein Klassiker der Computerspiele: Pong. Mit den Tasten 8 und 5 wird das Paddle auf und ab bewegt, und der fenstergroße Ball wandert über das Haus des Lehrers. Der Effekt ist wirklich beeindruckend: Man steht als kleiner Mensch auf dem Alexanderplatz und durch Drücken von zwei Tasten auf dem Handy kontrolliert man eine ganze Hochhausfassade. Leider gewinnt der Computer dabei immer, denn er leidet nicht unter der Verzögerung, die durch den weiten Weg des Signals von der Handy-Tastatur über das Mobilfunk- und Festnetz zum Haus des Lehrers bedingt ist. Gerechter sind daher Spiele gegen andere: Ruft jemand anders zur gleichen Zeit an, übernimmt er die Rolle des Computers und steuert das Paddle auf der anderen Seite. In Kürze soll auch das von vielen Mobiltelefonen bekannte Spiel "Snake" verfügbar sein, eventuell gibt es auch noch eine "Tetris"-Version.
Trotz des gebührenpflichtigen Telefons sind die Hacker allerdings nicht in der Lage, das Projekt aus eigener Kraft weiter zu finanzieren. Derzeit wird ein Sponsor gesucht, damit blinkenlights auch nach dem Ende der 20-Jahrfeiern des CC als unabhängiges Kunstprojekt bestehen kann. Derzeit wird ein offizieller Wettbewerb vorbereitet, bei dem alle eingeschickten Animationen im Web begutachtet und beurteilt werden können. Neben den Kategorien "Grafik" und "Story" wird die Jury auch einen Preis für "Generator" vergeben. "Wir gehen davon aus, dass noch andere Animationsprogramme geschrieben werden, mit denen man viel mehr machen kann als mit unserem", freut sich Pritlove. Man darf gespannt sein, ob einem gewitzten Hacker auch hierzu ein atypisches Benutzerverhalten einfällt.
Nach dem Beginn der amerikanisch-britischen Bombenangriffe auf Afghanistan wurde das Fassadendisplay nun auch als Mittel der politischen Meinungsäußerung genutzt. Zwischen den hüpfenden Männchen und wandernden Punkten erscheint auf der Fassade regelmäßig ein riesiges "Peace"-Zeichen. Mitten in Berlin und kurz vor der Beteiligung von deutschen Soldaten an den Kämpfen in Afghanistan ist dies eine nicht zu unterschätzende Botschaft. Aus dem politischen und medialen Diskurs mögen die Kriegsgegner derzeit ausgegrenzt werden, der öffentliche Raum im Herzen der Hauptstadt aber gehört auch ihnen.