Internet für alle oder der Mangel an Gelegenheit

Die Burda-Stiftung und das Wirtschaftsministerium fordern Chancengleichheit im, am und vorm Netz

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Die Zahlen sagen alles: auch nach einer jahrelang vor sich hin dümpelnden Diskussion über die digitale Kluft und Strategien zu ihrer Schließung liegt Deutschland in puncto Internetnutzung weit zurück hinter den skandinavischen Ländern oder den USA. Auch wenn Frauen langsam aufholen, sind die Surfer nach wie vor überwiegend jung, männlich und gut gebildet. Das Wirtschaftsministerium macht sich daher Sorgen um den Standort Deutschland. "Zulos" - öffentliche Zugangs- und Lernorte - könnten Experten zufolge bei allen Bevölkerungsschichten mehr Lust aufs Netz machen. Ein am Donnerstag und Freitag in Berlin stattfindender Kongress soll neue Wege zur Vernetzung aufzeigen.

Deutschland steht bei der Internetnutzung an der Spitze - der südosteuropäischen Staaten. "Das ist kein befriedigender Platz", findet Herbert Kubicek, Informatikprofessor an der Universität Bremen und seit Jahren entschlossener Kämpfer gegen die digitale Spaltung der Gesellschaft. Den aktuellen Statistiken der Studie @facts von Seven One Media zufolge liegt Deutschland absolut gesehen mit 27 Millionen aktiven Surfern ab 14 Jahren in Europa zwar ganz weit vorne. "Relativ gesehen sind die Prozentwerte aber deutlich niedriger als in vielen Nachbarstaaten", weiß Kubicek. So sind letztlich erst rund 40 Prozent der Bundesbürger "drin", während sich etwa schon über 60 Prozent der Norweger online tummeln.

Was den Forscher insbesondere mit Schrecken erfüllt, ist die Tatsache, "dass der Anteil der unterrepräsentierten Gruppen größer wird", sich also eine Art Teufelskreis einstellt. So sind bei Frauen und Senioren zwar hohe Steigerungsraten beim Zugang zum Netz zu verzeichnen - "aber von welchem Niveau aus", gibt Kubicek zu bedenken. Die größte "Sprengwirkung" zwischen Usern und Losern insgesamt sieht der Informatiker beim Faktor Bildung.

Das zeigt sich besonders bei den Jugendlichen, von denen mehr als 50 Prozent bislang nicht am Netz sind. Wie eine Erhebung des Münchner Instituts für Jugendforschung ergab, hatten von den Befragten mit Hauptschulabschluss nur 28 Prozent einen Internetzugang zu Hause. 39 Prozent gaben an, noch nie einen Ausflug in den Cyberspace unternommen zu haben. Trotz der Aktion "Schulen ans Netz" sind die Hauptschüler sogar im Unterricht benachteiligt: Nur 31 Prozent berichten von einen Internetzugang an der Schule. In Gymnasien können mit 66 Prozent mehr als doppelt so viele Jugendliche auf online gespeicherte Informationen zurückgreifen. Im gesamtgesellschaftlichen Durchschnitt nutzen Bürger mit Hochschulabschluss zu mehr als 50 Prozent das Netz, während nicht einmal 10 Prozent der Hauptschulabsolventen zu den Datenreisenden gehören.

Das Internet im Kanon der Bildungsrechte

Die vermeintliche digitale Kluft ist damit auch hier zu Lande vor allem eine Reproduktion traditioneller sozialer Brüche (Der Mythos von der digitalen Spaltung). Nichtsdestoweniger will nun die Burda-Akademie zum Dritten Jahrtausend gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWi endlich für "Chancengleichheit im Netz" sorgen und das "Internet für alle" schaffen. Anstöße soll ein am heutigen Donnerstag und am morgigen Freitag stattfindender Kongress gleichen Namens geben.

Das Thema der Beherrschung des Internet "ist auf einer Stufe mit Lesen und Schreiben angekommen. Daher gibt es auch einen Anspruch darauf, den Umgang mit dem Netz zu lernen", erläutert Akademie-Präsidentin Christa Maar die Motivation zur Durchführung der Konferenz. Da die kompetente Nutzung der Wissensressourcen im Internet "in den Kanon der Bildungsgrundrechte" aufzunehmen sei, gelte es nun, die Debatte über rein technische Anschlüsse in den Hintergrund zu stellen und in eine inhaltliche Diskussion einzusteigen.

Von Studien, die mittelfristig von einem harten Kern von mindestens rund 8 Prozent Internet-resistenten Bundesbürgern ausgehen (Das E-Desaster droht), hält Maar dabei wenig. "Ich würde nicht von Verweigerern sprechen." Eher von einem "Mangel an Gelegenheit" zur Erkundung des konkreten Nutzens des Internet. Das scheint zumindest das Institut für Jugendforschung bei einer nicht-repräsentativen Umfrage bei 14- bis 18-Jährigen herausgefunden zu haben: Ihr Desinteresse am Netz ist vor allen in fehlenden Zugangsmöglichkeiten begründet. "Ich habe keinen PC", lautet eine der Standardantworten der Jugendlichen.

Hotline für Zulos

Kubicek setzt daher vor allem auf die "Zulos", die öffentlichen Zugangs- und Lernorte, um das viel beschworene "Internet für alle" möglich zu machen. Dort soll die Möglichkeit des "Ausprobierens mit Unterstützung" bestehen. Bestenfalls werde damit die "Kosten-Nutzen-Bilanz" des Netzes in den Augen der bisherigen Abstinenzler neu geschrieben. "Zus" mit mehr oder weniger "Los" gibt es schon zahlreiche in der Bundesrepublik. "Allein in Bremen haben wir 60 Einrichtungen für rund 600.000 Einwohner, die auf Orte wie Stadtbibliotheken oder Jugendheimen verteilt sind", erklärt Kubicek.

Damit derlei Netz-Terminals überhaupt zu finden sind, hat der Informatiker zusammen mit der in den USA im Bereich Digital Divide sehr aktiven Benton Foundation und mit freundlicher Unterstützung von AOL, der Alcatel-SEL-Stiftung für Kommunikationsforschung sowie der Burda-Akademie vor kurzem eine Datenbank mit öffentlichen Zugangspunkten erarbeitet.

Darin sind bereits über 18.000 Einrichtungen mit Öffnungszeiten, Ausstattung und eventuellen Preisangaben fürs Surfen enthalten. Die Suche erfolgt über die Eingabe von Postleitzahlen. Abzurufen sind die Informationen zum einen über eine - allerdings nicht besonders günstige - Hotline (0180/5383725), die auch in Kolumnen von Zeitschriften wie der Neuen Revue beworben wird. Andererseits ist die Auskunft auch unter www.internet.fuer.alle.de online zu beziehen. Ergänzt wird das Angebot von Freitag an durch das Netzwerk Digitale Chancen, das Betreiber von Zulos sowie Entscheider aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zusammenführen und Analysen zur "digitalen" Spaltung bereithalten soll.

Das staatliche Füllhorn bleibt zu

Wer beim Schlagwort "Internet für alle", das sich aus die Bundesregierung einschließlich Kanzler auf die Fahnen geschrieben hat, allerdings an subventionierte Flatrates oder gar kostenlose Netzzugänge von zu Hause aus denkt, ist schief gewickelt. Was zunächst nach dem großen Füllhorn klingt, ist letztlich doch eher nur ein "Markenzeichen", wie es Ulrich Sandl, Leiter des Referats "Dialog mit den gesellschaftlichen Gruppen und IT-Sicherheit" im BMWi ausdrückt. Man dürfe sich nicht an dem Slogan festklammern. "Er weckt unerfüllbare Erwartungen." Für Aktionen wie "Kids an die Maus" mit durch Ferienanlagen und Wohngebiete tourenden Internet-Trucks greift das Wirtschaftsministerium zwar schon in das Steuersäckel Doch den "berechenbaren Pauschalpreis" für die Auffahrt zum Datenhighway, den Politiker wie Wissenschaftler einstimmig herbeirufen, soll die Wirtschaft dann doch lieber selber schaffen.

Einen "öffentlich-rechtlichen", gebührenfinanzierten Zugang zum Internet, wie ihn Verfechter der Informationsgesellschaft hin und wieder fordern, wird es daher in nächster Zeit wohl kaum geben. "Die Grundversorgung muss über die Inhalte erfolgen", sagt Kubicek. So sollten Kommunen etwa Landesarchive mit Schlagwortfunktionen im Cyberspace errichten, mit denen die Bürger ohne langes Suchen an die gewünschten Informationen gelangen. Derartige "Veröffentlichungspflichten" könnten beispielsweise über die Informationsfreiheitsgesetze der Länder sowie des Bundes festgeschrieben werden.

Auf dem Kongress im Berliner Cinemaxx am Potsdamer Platz wird Politikern wie Erkki Liikanen, dem Europäischen Kommissar für Fragen der Informationsgesellschaft, Bundeswirtschaftsminister Werner Müller oder seinem Staatssekretär Siegmar Mosdorf ausreichend Gelegenheit gegeben, über derartige Vorschläge laut nachzudenken. Vortragstitel wie "Digitale Chancen nutzen - eine Herausforderung für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft" lassen aber auf kaum Konkretes schließen. Des Weiteren sollen während der Konferenz "Visionen einer Public Private Partnership" rund um die Vision des für alle zugänglichen Internet gesponnen werden. Nicht zu kurz kommen aber auch plastische Projektvorstellungen von Initiativen wie "Senioren", "Frauen" oder "Arbeitnehmer ans Netz".