Interpol fahndet nach 173 potenziellen IS-Selbstmordattentätern
Liste soll im befreiten Mosul entdeckt worden sein
Interpol fahndet der Tageszeitung Die Welt zufolge nach 173 Personen, die im Verdacht stehen, von der Terrororganisation IS zu "Märtyrern" - also Selbstmordattentätern -ausgebildet worden zu sein. Die 175 Namen stammen angeblich aus einer Personalkartei, die bei der Befreiung der irakischen Stadt Mosul erbeutet wurde.
Neben den bürgerlichen Namen, den Kampfnamen und den Geburtsdaten kennt Interpol auch die Herkunftsländer der selbstmordattentatsbereiten Salafisten: Die klare Mehrheit davon kommt mit 132 Personen aus dem Irak. Der Rest stammt vorwiegend aus arabischen Ländern, aber auch aus Staaten wie Tadschikistan und Bangladesch. Die sechs europäischen Gefährder auf der Liste haben die Staatsangehörigkeiten von Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Bosnien-Herzegowina und Deutschland.
Nummer 70 aus Solingen
Ob der als Nummer 70 auf der Liste stehende deutsche Selbstmordattentatswillige Sami J. aus der nordrhein-westfälischen Messerstadt Solingen noch eine Gefahr darstellt, ist allerdings fraglich: Nicht deshalb, weil er seine Gesinnung geändert haben könnte, sondern weil ein IS-naher arabischer Twitter-Kanal und kurdische Medien im Juli seinen Tod meldeten. Angesichts der generellen Unzuverlässigkeit von schwer oder gar nicht nachprüfbaren Meldungen aus der Region muss das jedoch nicht unbedingt stimmen.
Sami J. alias "Abu Assid al-Almani" fiel den Sicherheitsbehörden bereits auf, bevor er vor fünf Jahren über Ägypten und die Türkei nach Syrien reiste: Als führendendes Mitglied und mutmaßlicher informeller Kassenwart der Salafistensekte Millatu Ibrahim. Was aus seine Frau und seinem Kind wurde, die ihm in das "Kalifat" folgten, ist nicht bekannt.
Der junge Mann war einer von geschätzten 6000 Dschihadisten aus Europa, die sich dem IS anschlossen. Von den Frauen, die das machten, wurden nach der Befreiung von Mosul vier als deutsche Staatsangehörige identifiziert - darunter die 16-jährige Sächsin Linda W., die dort einem tschetschenischen Terroristen ein Kind gebar.
Mosul dreieinhalb Wochen nach der Befreiung
Dreieinhalb Wochen nach der Befreiung sieht es in Mosul der Süddeutschen Zeitung zufolge aus wie in Dresden 1945. Die Details, die Bewohner über das Regime der Salafisten erzählen, erinnern an Margaret Atwoods Dystopie The Handmaid's Tale: Auch hier durften Läden, in denen Frauen einkauften, nicht einmal mit Schildern werben.
Kritik gibt es aber nicht nur an der Terrororganisation IS, sondern auch an den schiitisch dominierten Befreiern der Stadt, denen Amnesty International "mutmaßliche Kriegsverbrechen" vorwirft (vgl. Das Massaker von Mosul: "Wir töteten sie alle. Daesh, Männer, Frauen und Kinder"). Wie viele Zivilisten bei der Einnahme der ehemaligen Millionenstadt ums Leben kamen, ist unklar: Während die Anti-IS-Koalition Anfang Juni lediglich 484 Tote zählte, spricht Amnesty International heute von "bis zu 5805", was die Koalition energisch zurückweist. Weitere Vorwürfe gab es bezüglich der "Rehabilitierungscamps", in die 170 Familien von IS-Terroristen verbracht worden sein sollen. Der Human-Rights-Watch-Sprecherin Belkis Wille zufolge wurden die meisten davon geschlossen, nachdem die UN eine "Kollektivbestrafung" kritisierte.
Rückkehrer?
Von den angeblich 840.000 Mosulern, die nach der Einnahme der Stadt durch den IS 2014 flohen, will der Großteil einer Einschätzung des deutschen Entwicklungshilfeministers Gerd Müller zurückkehren. Damit das möglichst schnell geht, will der CSU-Politiker 100 Millionen Euro zusätzliche Entwicklungshilfemittel aus Deutschland überweisen, mit denen zerstörte Infrastruktur repariert werden soll.
Ob Müllers Einschätzung (die ihm bei einem Vor-Ort-Termin im Nordirak vermittelt wurde) zutrifft, ist fraglich: Viele Kurden, die vorher einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung der Stadt ausmachten, haben sich inzwischen in der Erdölstadt Kirkuk angesiedelt, die von kurdischen Milizen kontrolliert wird. Die Frage nach der Zugehörigkeit der beiden Städte zum Kurdenterritorium, die eigentlich durch Volksabstimmungen beantwortet werden sollte (vgl. Rache, Referendum oder Religion?), hat sich damit durch die normative Kraft des Militärischen erledigt: Kirkuk, ihr "speergewonnenes Land", das die irakische Armee 2014 praktisch aufgab, werden die Kurden - alleine schon wegen der Erdölfelder - nicht mehr hergeben, auf Mosul haben sie jetzt faktisch verzichtet.