Invasion der Paketfresser

Mit Pac-Man begann Erfolgswelle japanischer Spiele in den Vereinigten Staaten und Europa

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

I gotta pocket full of quarters, and I'm headed to the arcade.
I don't have a lot of money but I'm bringing everything I've made.
I've gotta callus on my finger, and my shoulder's hurtin' too.
I'm gonna eat 'em all up, just as soon as they turn blue.
'Cause I've got Pac-Man Fever, Pac-Man Fever.
It's driving me crazy, driving me crazy.

Genau das tat Pac-Man. Die kleine, gelbe Scheibe mit dem dreieckigen Mund an der Seite machte die Menschen verrückt. Die Single "Pac-Man Fever" der Band "Buckner & Garcia" stieg 1982 auf Platz Neun der US-Charts. Pac-Man war die erste Videospielfigur, die zum Popstar wurde. 1980 stellte des Unternehmens Namco die ersten Spielautomaten in Japan auf. 1981 trafen dann die ersten Pac-Man Automaten in den Arcades der Vereinigten Staaten ein. Seitdem wurde "Pac-Man" Namcos Schätzungen zufolge 60 Milliarden mal gespielt. 100 Milliarden Dollar nahm Namco durch "Pac-Man" ein. In den Vereinigten Staaten gab es Pac-Man Musikalben, Pac-Man Cornflakes, sogar eine Pac-Man Fernsehserie, die von 1982 bis 1984 jeden Samstagmorgen bei ABC lief. Am Weihnachtsabend 1982 war gar der Film "Christmas comes to Pac-Land" zu sehen.

Während Atari einige Hunderttausend nicht verkaufte Steckkarten in der Wüste von New Mexiko verbuddelte, hatten japanische Unternehmen offenbar das Geheimnis des erfolgreichen Videospiels entdeckt. Namco, Nintendo und Sega eroberten den amerikanischen und europäischen Markt für Heimkonsolen und Spielautomaten, als die Videospielindustrie der Vereinigten Staaten zusammenbrach.

Das gelang ihnen durch neue Spielkonzepte. Bereits im April 1980 hatte Nintendo eine Niederlassung in Manhattan eröffnet, um die eigenen Automatenspiele in den Vereinigten Staaten zu vertreiben. Der erste Import war ein Flop. Dabei glich "Radarscope" sehr amerikanischen Spielen wie "Spacewar!". Der Einleitungssatz verrät das ganze Spielkonzept: "Captain, your duties are to shoot 48 UFOs! Good Luck!" Von den 3000 importierten Automaten verkaufte Nintendo in den Vereinigten Staaten allerdings nur 1000. Das Spielkonzept war altvertraut amerikanisch - und genau das machte "Radarscope" langweilig.

Und dann kam dem 22jährigen Japaner Toru Iwatani die Idee, ein Spiel übers Essen zu machen. Iwatani hatte keine formale Ausbildung. Er fing 1977 bei Namco mit dem Ziel an, einmal Flippertische zu gestalten. Iwatani betonte immer:

"Ich habe kein spezielles Interesse an Computern. Ich will Bilder schaffen und durch sie mit Menschen kommunizieren. Ich bin auch kein Programmierer, das machen meine Mitarbeiter."

Iwatani wollte ein Spiel für Frauen und Männer erfinden. Sein erster Entwurf eines Videospiels sah so aus: Der Spieler sitzt in einem großen Berg Essen fest und muss sich seinen Weg herausfressen.

"Aber dann erkannte ich, dass das Ziel des Spiels dabei unklar geblieben wäre. Also schuf ich ein Labyrinth und versteckte Essen darin."

Das Ziel bei dieser Spielstruktur versteht nicht nur jedermann - es ist auch eine ironische Spiegelung des Konsumismus, die wohl der Autor Steven Poole erstmals entdeckt hat: Pac-Man muss fressen. Je mehr er frisst, desto mehr Punkte erhält der Spieler. Um eine Spielstufe - ein sogenanntes Level - abzuschließen, muss Pac-Man alle 240 Essenpakete darin verschlingen. Dann steigt er auf. Ihn verfolgen dabei vier Geister. Erwischt ihn einer, ist das Spiel aus. Pac-Man kann seine Feinde sogar schlucken - aber nur, wenn er zuvor ein besonderes Energiepaket gefressen hat.

Die Verbindung zwischen Verschlingen und Konsumieren stellt die Figur Pac-Man nicht allein auf einer Meta-Ebene her, sondern auch auf einer sehr sinnlichen. Iwatani nennt immer wieder eine vor ihm liegende, angeschnittene Pizza im Schnellrestaurant als Inspiration für die Physiognomie Pac-Mans. Hinter dem in Japan begeistert aus den Vereinigten Staaten übernommenen Konzept des Schnellrestaurants, der totalen Automatisierung der Nahrungsproduktion, versteckt sich eine Ideologie der Gleichschaltung der Gesellschaft und Kultur: "Die Organisation kann dem Individuum nicht trauen; das Individuum muss der Organisation trauen", sagte schon der Gründer von McDonald's Ray Kroc.

Die totale Uniformität des Mottos "ich bin was ich esse/was ich kaufe" schafft Pac-Man auf einer abstrakteren, wesentlich deutlicheren Ebene: Der Selbstwert ist über die beim Spiel erzielte Punktzahl - des Highscore - exakt mess- und bezifferbar. Die Angst, ein anderer könnte mehr Punkte erzielen, trieb die Pac-Man Spieler ebenso an wie der Reiz, selbst an der Spitze der Highscore- Liste des "Pac-Man" Automaten in ihrer Bar zu stehen. Über seine Erfahrungen mit Highscores erzählt Apple-Gründer Steven Wozniak gern diese Anekdote:

"Mein Name stand so oft mit einem neuen Tetris-Highscore im Nintendo Power Magazine, dass sie ihn nicht mehr druckten. Also benutze ich einen falschen Namen - Vornamen und Nachnamen rückwärts. Eines Tages sah ich Evets Kainzow in der Zeitschrift und dachte: Mein Gott, sein Punktestand ist besser als meiner!" Dann las er Evets Kainzow rückwärts.

Ein Ende gab es nie: Pac-Man konnte immer noch mehr essen, der Spieler immer noch mehr Punkte erzielen. Erst im Juli 1999 gelangte der Amerikaner Bill Mitchell an die letzte Grenze: In der 256. Runde bei 3333360 Punkten blieb der Punktezähler stehen und der Monitor des Pac-Man Automaten begann zu blinken. Die Techniker hatten nicht gedacht, dass jemand stundenlang an einem Spielautomaten stehen würde, um bis hier her zu kommen.

"Pac-Man" war der Beginn der japanischen Invasion auf dem amerikanischen und europäischem Videospielmarkt. Als nächstes kam Nintendo. Das 1889 von Fusjiaro Yamauchi gegründete Unternehmen stellte ursprünglich Spielkarten für das japanische Gesellschaftsspiel Hanafuda her. Ab 1907 druckte Nintendo Karten westlichen Stils. Der Vertrieb über die Läden des staatlichen Tabak-Monopols machte Nintendo zum größten Spielkarten- Hersteller des Landes.

1949 übernahm der 21jährige Hiroshi Yamauchi die Unternehmensführung. Er kaufte Lizenzen von Walt Disney, um Karten mit Mickymäusen und Donaldenten zu drucken. 1977 lizenzierte Nintendo die Heimvideokonsole "Odyssey" des US-Unternehmens Magnavox für Japan. Doch das eigene Vordringen auf dem amerikanischen Markt für Videospielautomaten ging zunächst nur schleppend voran. Die Automaten mit klassischen Spielkonzepten wie "Radarscope", "Sherrif" und "Space Fever" waren Misserfolge. Wie bei Namco riss dann ein junger Mann das Ruder herum, der vom Programmieren keine Ahnung hatte, sondern sich als Spieldesigner verstand. Shigeru Miyamoto hatte Industriedesign studiert, bevor er 1977 zu Nintendo kam. Seine erste Aufgabe war das Design der Hülle der Spielautomaten "Radarscope" und "Sheriff". Miyamoto hörte Beatles Platten, spielte auf dem Banjo und zeichnete ständig Comics in sein Skizzenbuch - er war kein typischer Programmierer. Über die damaligen Spiele sagt Miyamoto heute:

"Die Welt war begeistert, dass sich überhaupt etwas bewegte, und niemanden schien aufzufallen, wie primitiv und kindisch die Spiele waren. Als ich anfing, Videospiele zu erfinden, gab es in der Industrie kaum Leute, die etwas von Grafik, Kunst oder Musik verstanden. Spiele wie Space Invaders, bei denen Raumschiffe als Lichtpunkte über den Bildschirm sausen, die andere Raumschiffe abschießen, wurden von Programmierern geschrieben, die sich gut mit Chips auskannten, sich aber sonst kaum Gedanken machten."

Miyamoto hingegen versteht sich als Künstler. Die Kunst seiner Spiele macht nicht ihre Erzählung aus. Ihre Struktur, ihr Gameplay zeichnet sie aus. Der Arbeitsprozess läuft bei einem Spiel Miyamotos in umgekehrter Richtung als etwa bei einem Film:

"Wir machen zuerst die Regeln, dann entwerfen wir die besten Charaktere für dieses Spielsystem. Zuletzt denken wir uns eine Geschichte aus, die zu all dem passt."

Anschaulich wird das bei "Donkey Kong", das Miyamoto 1980 als erstes Spiel für Nintendo entwarf. Am Anfang stand das Konzept, die Spielfigur mittels geschickter Sprünge ein hohes Gerüst aus Plattformen hinaufzunavigieren. Damit hat Miyamoto das Genre des "Jump and Run" mitbegründet. Als Handlungsort wählte er eine Baustelle. Aus dem einfachen Grund, weil es auf Baustellen eine Menge Gerüste zum Hüpfen gibt. Ein Lagerhaus wurde eingefügt, damit der Spieler über herabrollende Fässer springen muss. Der Held des Spiels hieß konsequenterweise zunächst schlicht Jumpman. Er ist Schreiner und besitzt einen Affen, den er nicht sehr freundlich behandelt.

"Wie demütigend, für einen Affen, solch einem kleinen, gemeinen Mann zu gehören", sagt Miyamoto. Also entführt der Affe Jumpmans Freundin, die im Spiel befreit werden muss. Einen richtigen Namen erhielt der Held eher zufällig bei der amerikanischen Nintendo-Tochter: Mario, nach dem Vermieter der Nintendo- Lagerhallen Mario Seagle. Die Nintendo-Vertreter, die "Donkey Kong" den Arcade-Besitzern verkaufen sollten, waren skeptisch. Einige kündigten, weil sie ein Spiel mit dem Titel "Dummer Affe" in Konkurrenz zu Titeln wie "Totale Zerstörung" für einen sicheren Misserfolg hielten. Sie irrten: Nintendo verkaufte 67000 "Donkey Kong" Automaten in den Vereinigten Staaten.

Das Geheimnis von Miyamotos Design ist einfach gesagt die Balance. Der Schwierigkeitsgrad verhindert Frustration ebenso wie allzu schnelle Erfolge. 1983 veröffentlichte Nintendo die erste eigene Heimkonsole. In Japan als Famicom (für Family Computer), in den Vereinigten Staaten und Europa 1985 als NES (für Nintendo Entertainment System). Miyamoto erkannte damals eine bedeutende Tatsache:

"Bei einer Konsole wie dem Famicom kommt es nicht mehr darauf an, wie viele Münzen Leute hineinwerfen. Ein Spiel für eine Heimkonsole kann nur als Erfolg gelten, wenn die Menschen nach zwanzig oder dreißig Stunden Spiel immer noch Befriedigung verspüren."

Miyamoto hat die Tradition der geheimen Orte, der versteckten Zusatzpunkte und Extra-Levels begründe, in der vom Rollenspiel angehauchten "Zelda" Reihe kam der mystische Hintergrund eines jungen Elfen, der sein Königreich retten muss, hinzu.

Miyamoto ist klar, dass seine Geschichten auch wegen der Zielgruppe nicht zu komplex sein dürfen. Er spricht selbst von einem eher jungen Publikum:

"Wir sind da sehr aufmerksam aufgrund der Tatsache, dass viele Kinder unsere Spiele spielen. Ich versuche, nie Gewalt als ein Ausdrucksmittel zu verwenden. Es ist einfacher, Menschen zum Weinen als zum Lachen zu bringen, es ist einfacher Gewalt zu benutzen, als bestimmte Gefühle zu beschreiben."

Nintendos Spielwelten haben eine kindliche Ästhetik, was sie auch attraktiv für viele Erwachsene macht: Pilze springen aus dem Boden, Goldmünzen müssen eingesammelt werden und die meisten Figuren haben recht große Augen. Nintendo betonierte mit dieser Ästhetik in den achtziger Jahren die Aufteilung in den Konsolenmarkt für jüngere und Heimcomputer für ältere Spieler. Warum auch nicht?

Bereits 1986 gehörten Nintendo 90 Prozent des amerikanischen Marktes für Heimkonsolen. In Europa war Sega zwar stärker als in Japan und den Vereinigten Staaten, doch gerade der amerikanische Markt für jüngere Spieler brachte Nintendo genug Geld: Mit dem dritten Teil von "Super Mario Bros." wurden in Japan und den Vereinigten Staaten 880 Millionen Mark umgesetzt.

Downloads

Mame (Multi Arcade Machine Emulator) ist ein Programm, mit dem einige Tausend alte Automaten- und Videospiele emuliert werden können. Die ROMS zur Emulation müssen gesonderten Seiten gesucht und dann in ein entsprechendes Mame-Verzeichnis kopiert werden. Das Urheberrecht verbietet das Laden von ROMs, die man nicht als Original besitzt.

Mame32 (für alle Windows-Versionen ab 95):

Emulationen für Macs, MacMame

ROMs für Mame

Emulatoren anderer Systeme und für andere Plattformen:

www.aceroms.com: sehr umfangreiche französische Seite mit Verweise auf zahlreiche Emulatoren.
www.power3d.com: weitere umfangreiche französische Seite mit Verweise auf zahlreiche Emulatoren.

Pacman

Marcel Silvius: Pacman Roms und Emulatoren
Java-Version von Norbert Kehrer.

Bücher

- Reiji Asakura: "Revolutionaries at Sony". New York, 2000. S.3ff.
- Ulrich Dittler: "Software statt Teddybär - Computerspiele und die pädagogische Auseinandersetzung". München, 1993. S. 32; S. 65
- Steven L. Kent: "The First Quarter : A 25-year History of Video Games".Bothel, 2000. S.114 ff.; S. 125ff.; S. 137; S.247ff.; S.261ff.
- J.C. Herz: "Joystick Nation". London, 1997. S. 131 ff.
- Steven Poole: "Trigger Happy". London, 2000. S.42ff; S. 189ff.
- Eugene Provenzo: "Video Kids : Making Sense of Nintendo". Cambridge, 1991. S. 8ff.
- David Sheff: "Game Over; Nintendo's Battle to Dominate an Industry". London, 1993. S.13ff; S. 37ff.
- Mark J. P. Wolf: "The Medium of the Video Game". Houston, 2002

Zeitschriften

- Deborah Clayton: "King of Kong" in: San Jose Mercury News, 17 März 1999
- Manfred Dworschak: "Gefräßige Scheibe". in: Spiegel, 19. Juli 1999
- Moira Muldoon: "The father of mario and zelda". in: Salon, 2. Dezember 1998
- Sachiko Sakamaki Shigeru Miyamoto on the Art and Violence of Video Games, in: Time digital. 12.4.1999.
- Jürgen Scriba, Johann Grolle: "Mario ist ein Freund - Spiele-Designer Shigeru Miyamoto über Phantasie und Technik im Videospiel" in: Spiegel, 27. September 1999
- Megan Stine: TV Welcomes Pac-Man, in: HOT DOG! Magazin, Nr. 17 1983

Internet

- Kristopher Abel: Apocalyptic Clockmakers
- Kristopher Abel:Donkey Kong Triva And Fun Facts
- Jerry Buckner, Gary Garcia: Pacman fever Site
- Samuel Nils Hart: Sega Master System
- Samuel Nils Hart: Nintendo Entertainment System (NES)
- Susan Lammers: Programmers at Work
- Marcus & Mattias Liedholm: The man behind Mario
- Shigeru Miyamoto: Keynote Speech, Game Developer's Conference" 18 März 1999
- Jeff Morris: Pac-Man Page
- Lee K. Seitz : Buckner & Garcia's Pac-Man Fever
- Doug Trueman: The History of Pac-Man
- Ron Watt: Sarcastic Voyage