Iran: Bevölkerungswachstum und Bildungspolitik
Im Iran hat der schnellste Geburtenrückgang der Welt stattgefunden
Der Iran hat nicht nur die niedrigste Geburtenrate der islamischen Welt, sondern gehört weltweit zu den Ländern mit einer niedrigen Reproduktionsziffer. Darüber hinaus wurde zwischen dem Kaspischen Meer und dem Persischen Golf in den vergangenen Jahrzehnten der schnellste Geburtenrückgang weltweit festgestellt.
Wofür europäische Staaten rund ein Jahrhundert benötigten, das Absinken der durchschnittlichen Kinderzahlen pro Frau um rund Zweidrittel, erfolgte im Iran in etwa nur 25 Jahren. In dieser Zeit sank die durchschnittliche Kinderzahl je Frau von 6,9 Kindern auf 1,7, was den Wert einiger EU-Mitgliedsstaaten wie Irland, Frankreich und Großbritannien unterschreitet, in Deutschland liegt die Kinderzahl bei 1,3. In den USA liegt dieser Wert bei knapp 2, in Israel bei knapp 3.
Unmittelbar nach der Islamischen Revolution von 1979 war die iranische Geburtenrate noch eine der höchsten der Welt. Diese demografische Entwicklung ist umso erstaunlicher, da das Regime der Islamischen Republik zu Beginn Geburtenplanung als unislamisch ablehnte. Erst mit dem Ende des blutigen Krieges gegen den Irak fand in Teheran ein Umdenken statt. Trotz der ideologischen Dogmen des Regimes erkannte man die Notwendigkeit, das damals explodierende Bevölkerungswachstum einzudämmen, möglicherweise auch aufgrund der Erfahrung, dass die Islamische Republik - einige Jahre zuvor - selbst durch die Unzufriedenheit einer jungen, schnell wachsenden Bevölkerung an die Macht gespült wurde. Flankiert von umfangreichen staatlichen Investitionen entwickelte Teheran in der Folgezeit eine der modernsten Bildungs- und Gesundheitspolitiken in der ganzen Islamischen Welt.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sank die Geburtenrate auf unter 2,1 Kinder pro Frau, dem magischen Mittelwert, ab dem eine Bevölkerung ihr Wachstum einstellt. In diesem Zeitraum verbesserte sich der Lebensstandard der Bevölkerung dramatisch. So stieg das Pro-Kopf-Einkommen zwischen 1990 und 2011 von umgerechnet 4.500 US-Dollar auf mehr als 11.500 Dollar - bis vor dem Beginn der westlichen Sanktionen.
Alleine durch die politischen Steuerungsmaßnahmen, sind diese Entwicklungen nicht zu erklären. Es besteht aber kein Zweifel, dass dadurch der Modernisierungsprozess der iranischen Gesellschaft beschleunigt wurde. Die Bevölkerung wird allerdings noch weiter wachsen, schon aufgrund des hohen Anteils der jungen Menschen, die in Zukunft aber deutlich weniger Kinder haben werden, als ihre Eltern und Großeltern. Etwas mehr als die Hälfte der iranischen Bevölkerung ist unter 35.
Dieser demografische Wandel wurde von einer Bildungsexplosion begleitet, die besonders den jungen Frauen zu Gute kam. Gemäß einer Studie von iranischen und australischen Demografen waren 2002 62% der angenommen Bewerber für einen Studienplatz weiblich. Hierbei handelt es sich um einen Wert, der manche Feministinnen im Westen entzücken würde.
Inzwischen scheint sich die Regierung in Teheran aber mehr vor Frauen mit Geist zu fürchten, als vor einer revolutionären Jugend, hervorgerufen durch Geburtenüberschüsse. Die Unruhen von 2009 wurden ja auch überwiegend von der akademischen Jugend getragen. Revolutionsführer Chamenei und auch Präsident Achmedineschad haben schon öfter die niedrige Geburtenrate beklagt, beziehungsweise als Problem für die Nationale Sicherheit interpretiert (Ahmadinedschad orientiert sich an deutscher Familienpolitik).
Die Tatsache, dass die unruhigen ethnischen und religiösen Minderheiten eine weit höhere Geburtenrate haben, besonders die Araber in Chuzestan, wie auch die sunnitischen Belutschen, beides Regionen in denen separatistische Unruhe herrscht, mag auch ein Grund für die Besorgnis des Regimes sein. Chamenei verkündete kürzlich vollmundig das Ziel, die aktuelle Bevölkerungszahl von ca. 75 Millionen - langfristig auf 150 Millionen Einwohner verdoppeln zu wollen. Noch aber muss Iran in den nächsten Jahrzehnten mit einer schrumpfenden Bevölkerung rechnen, die auf der anderen Seite vergreist. Eine Trendwende in der Geburtenrate ist bislang nicht zu erkennen.
Aus diesem Grunde sollen Frauen weniger studieren, dafür aber mehr und früher Kinder bekommen, so der Revolutionsführer. Bei der Vergabe von Studienplätzen haben im vergangenen Jahr die meisten Universitäten auf Anordnung des Wissenschaftsministeriums in Teheran Frauen aus 77 Studienfächern verbannt (Iran sperrt Dutzende Studiengänge für Frauen).
Ob dieses Vorhaben von Erfolg gekrönt sein wird, ist angesichts des hohen bildungspolitischen Entwicklungsstandes des Irans doch eher fraglich. Gemessen am Humankapital verfügt diese Nation, die fast so alt ist wie die Menschheit selbst, über ein gewaltiges Potenzial.