Iran: Die Macht der Straße
Neue Proteste gegen die Regierung und Revolutionsführer Khamenei
Nur wenige Stunden, nachdem die iranische Regierung und die Revolutionsgarden die Verantwortung für den Abschuss der ukrainischen Linienmaschine, bei dem 176 Menschen starben, übernommen hatten, gingen die Iraner wieder auf die Straßen. Was mit heftiger Kritik in den sozialen Medien begann, weitete sich rasch zu einem Protest in mehreren Städten aus.
Nach einer Trauerfeier für die Opfer - überwiegend Iraner und Kanadier mit iranischen Wurzeln - an der Teheraner Amir Kabir Universität, ging ein Demonstrationszug durch die Straßen der Hauptstadt. Den Studenten schlossen sich rasch weitere Menschen an. Rücktritte seien nicht ausreichend, es müsse Anklagen geben, forderten sie.
Zuvor hatte Präsident Rohani zugesagt, die Verantwortlichen für den Abschuss des Flugzeugs würden zur Rechenschaft gezogen, dabei aber keine konkreten Schritte angekündigt. Der Regierung und den Behörden warfen die Demonstranten Inkompetenz und Verbrechen vor. Rasch waren auch Slogans zu hören, die sich gegen Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei (oft auch: Chamenei) richteten und seinen Rücktritt forderten.
Khamenei hatte Berichten zufolge bereits am Tag des Abschusses, dem Mittwoch, erfahren, dass das iranische Militär die Maschine versehentlich angegriffen hatte. Die Streitkräfte waren nach dem iranischen Angriff auf US-Militärbasen im Irak in erhöhter Alarmbereitschaft und rechneten mit einem Gegenschlag, dabei hielten sie das Flugzeug offenbar für einen Angreifer (10 Sekunden für eine Entscheidung im Kriegslärm).
Weshalb in dieser Situation überhaupt zivile Flugzeuge vom Flughafen Teheran starten durften, ist noch unklar. Bis gestern hatten Regierung und Behörden behauptet, es handele sich um einen Unfall, hatten zugleich aber Experten aus mehreren Ländern gebeten, bei der Untersuchung des Vorfalls zu helfen.
Das Eingeständnis am Samstag hat die Wut in der iranischen Bevölkerung gegen die Regierung neu entfacht. Erst im November hatte es landesweite Massendemonstrationen gegeben, die brutal niedergeschlagen wurden. Dabei gab es mindestens 300 Tote. Während die Proteste im November vor allem von einfachen Arbeitern ausgingen und sich gegen die desolate wirtschaftliche Lage richteten, für die neben den US-Sanktionen auch die Korruption von Regierung und Behörden verantwortlich ist, waren es am Samstag überwiegend Studenten und urbane Mittelschicht.
Die Bilder der Demos erinnerten frappierend an die Massendemonstrationen gegen die Wahlfälschungen im Jahr 2009. Ein Kernslogan der gestrigen Demos lautete: "Arbeiter und Studenten vereinigt euch!"
Am späten Abend wurden die Proteste, die sich auf mindestens drei Großstädte ausgeweitet hatten, von der Polizei gewaltsam aufgelöst. Dabei wurde zwischenzeitlich auch der britische Botschafter festgenommen, allerdings nach kurzer Zeit wieder freigelassen.
Via Twitter sagte US-Präsident Donald Trump den Demonstranten seine Unterstützung zu. In deren Ohren dürfte das wie Hohn klingen, sind doch die Sanktionen und der amerikanisch-iranische Dauerkonflikt maßgeblich mitverantwortlich für ihre Situation.
Die Regierung in Teheran steht nun noch enger mit dem Rücken zur Wand als je zuvor. Sollten sich die Proteste einmal mehr intensivieren und das Ausmaß vom vergangenen Jahr erreichen, wird es kaum möglich sein, im Licht der jüngsten Ereignisse noch einmal mit so brutaler Gewalt gegen die Menschen auf den Straßen vorzugehen.