Iran: Soziale Netzwerke, Zensur und Manipulation
Wenn wertvolle Berichterstatter blockiert oder gelöscht werden und Bots die die Narrative des Establishments verbreiten unangetastet bleiben
Obwohl Twitter tatsächlich oder angeblich im Iran "verboten" ist, diente es wie andere "soziale Medien" als wertvolle Informationsquelle, zumindest wenn man unterschied zwischen reinen Propagandabots und realen Menschen, die von vor Ort berichteten. Inzwischen stellte ich fest, dass Studenten und Referenten von iranischen Hochschulen (zum Beispiel @seyedmousavi7), mit denen ich über Twitter kommuniziert hatte, plötzlich verschwunden waren. Die bekannte alternative Analystin des Mittleren Ostens, Sharmine Narwani schrieb dazu:
Twitter und @Jack [Anmerkung des Autors: gemeint ist der Gründer von Twitter] haben einen der zuverlässigsten Vor-Ort-Quellen während der Iran-Proteste suspendiert. Seine Fotos, Daten und [Twitter]Threads stellten sich im Nachhinein als seltene akkuraten Beschreibungen der Ereignisse heraus. (…)
Narwani
Die "Säuberung"
Der Iran ist nun das neueste Opfer, welches das Schicksal Russlands teilt, beschuldigt zu werden, das Internet zu missbrauchen, um Chaos bei seinen Gegnern auszulösen. Dabei ist aber die Beweislage der Wirksamkeit solcher angeblicher Aktionen wenig überzeugend. Trotzdem hatte Twitter im August 2018 erklärt, ungefähr 800 Konten gelöscht zu haben, die angeblich in "koordinierte Manipulation" von Nachrichten verwickelt gewesen wären. Dabei gibt es sehr wohl eine andere Seite der Geschichte. Tausende von Seiten, viele davon offensichtlich automatisiert, die versuchen, die islamische Republik Iran als Feind des Westens und Unterdrücker des eigenen Volkes darzustellen, wurden nicht gesperrt, obwohl sie ganz offensichtlich Teil einer Propaganda-Kampagne sind.
Der Wendepunkt hin zu einer massiven Internetkampagne gegen den Iran war die Wahl von Donald Trump. Hunderte von neuen Konten wurden eröffnet. Die Mehrheit dieser Seiten ist die vollkommen einseitige Darstellung, ja die Verbreitung von bewussten Fake-News, Beleidigungen von anderen Twitter-Nutzern, die positive Nachrichten über den Iran verbreiten, ad hominem Angriffe gegen neutrale oder wohlwollende Berichterstattung über den Iran.
Da die meisten Journalisten, die über den Iran berichten, gar keinen Zugang zum Land haben, werden ihre meist sowieso vorhandenen Vorurteile durch diese Seiten bedient. Diese Journalisten glauben, sie könnten durch die "Sozialen Netzwerke" erkennen, welche Trends gesetzt werden, wohin eine Gesellschaft tendiert. Und diese Kampagnen, wie sie zum Beispiel Ende 2017 bis Anfang 2018 gegen den Iran gefahren wurden, waren durchaus erfolgreich. Obwohl eigentlich jeder hätte erkennen müssen, was hinter den Twitter-Konten und den Aussagen stand (Die Kopftuchikone der USA).
Die Manipulation bei Twitter durch programmierte "Bots" wurde inzwischen so perfektioniert, dass der "Bot" sogar in der Lage ist, auf Fragen und Bemerkungen sinnvoll automatisiert zu antworten. Dadurch können Trends verbreitet werden, die sonst nie zu Trends geworden wären, sondern als Einzelmeldungen unbeachtet geblieben wären.
Die Bot-Fabrik des Imperiums
Al Jazeera veröffentlichte ein Video, in den Marc Owen Jones, ein Hochschullehrer für Studien über den Mittleren Osten an der Exeter University, erklärte, wie nachgewiesen wurde, dass Hunderte, ja Tausende von Konten an einem einzigen Tag erschaffen wurden. Die meisten der Konten waren im Umfeld eines Hashtags zum Iran-Regime-Change zu beobachten gewesen. Von Ende Dezember 2017 an (dem Beginn der Unruhen, die über den Jahreswechsel im Iran beobachtet wurden) bis Mai waren diese Konten besonders aktiv gewesen und laut Jones muss man aus den Fakten schließen, dass es sich zum allergrößten Teil um Bots handelte.
Die Journalisten, die für Al Jazeera recherchierten, stießen dann auf eine Bot-Fabrik in Albanien, die speziell Anti-Iran-Bots produziert. Zwischen 2013 und 2016 hatten die USA (nach ihrem Angriffskrieg und der Besetzung des Iraks) auf Bitten der UNO 2.900 Mitglieder einer iranischen Exilgruppe, die sich Volksmodschahedin des Iran (MEK bzw. Mojahedin-e-Khalq) nannte, nach Albanien umgesiedelt, in die Nähe der Hauptstadt Tirana ("Iranische Opposition" oder Terrorsekte in Europa?). Mitglieder der Organisation, denen der Ausstieg gelungen war, bestätigten den Reportern, dass ein Teil der schwer bewachten Anlage eine Troll-Fabrik dieser Organisation ist. Hier sollen Manipulationen im industriellen Stil erzeugt werden, um den Regime-Change im Iran zu unterstützen. Ein ehemaliges MEK Mitglied sagte in dem Bericht aus:
Wir erhielten täglich unsere Befehle, welche die aktuellen Probleme des Irans herausstellten. So zum Beispiel die hohen Preise, hohe Arbeitslosenquote, Armut, wir mussten sie der Welt berichten, indem wir sie in Tweets zum Ausdruck brachten und dem Regime der islamischen Regierung anlasteten. Das war unsere tägliche Aufgabe.
Ein anderes ehemaliges Mitglied der Organisation erklärte, wie sie die Aufgabe erhalten hatten, eine Zeitung, die positive Berichte über den Iran veröffentlicht hatte, oder Politiker, die sich positiv geäußert hatten, anzugreifen. Andererseits sollten sie Reden von John Bolton oder John McCain verbreiten und positiv kommentieren. Sie sollten vorspiegeln, dass sie Menschen im Iran waren. Menschen, die sich positiv über iranische Politik äußerten, wurden hingegen von den Tastatur-Soldaten der MEK als Marionetten des Regimes verleumdet, als "exportierte Soldaten des Mullah-Regimes".
Es war nicht die Aufgabe, eine rationale Diskussion zu führen, sondern Gefühle zu erzeugen, Zweifel oder Zustimmung und durch die gegenseitige Bestätigung den Schein eines Trends zu erzeugen. Täglich wurden Order ausgegeben, welche Hashtags zu unterstützen waren. Dazu gehörten #NationalDemonstrations, #IranRegimeChange, #IranOver. Die Aussteiger erklärten, dass es ihr Job war, die Proteste bestmöglich zu verbreiten und als natürliches Aufbegehren der Mehrheit der Iraner darzustellen.
Es sollen mehrere tausend Twitter-Konten sein, die von 1.000 bis 1.500 Mitgliedern der MEK betreut werden, um die Meinung in den Sozialen Medien zu beeinflussen. Den Akteuren war erklärt worden, ihre Ausrüstung wären Waffen und ihre Tweets die Munition die gegen Gegner eingesetzt würden. Private oder anderweitige Nutzung war verboten.
Der Bericht erklärt, dass inzwischen bestätigt wurde, dass der größte Teil der negativen Berichte über den Iran in den Sozialen Medien künstlich und von außerhalb des Iran erzeugt worden war. Es wird dargestellt, dass die Organisation, die nun vom CIA genutzt wird und der Bolton versprach, sie bis nächstes Jahr im Iran an die Macht zu bringen, keinerlei Unterstützung im Iran selbst hat. Zu tief sitzt noch die Erfahrung, dass die MEK auf der Seite des Irak gegen das eigene Land gekämpft hatten, und welche schrecklichen Attentate sie im Iran begingen. "Ein großer Teil des Protests im Iran war von jenen missbraucht worden, die das Bot-Netzwerk beherrschten, die die MEK unterstützten und sie nutzten", so der Bericht.
Al-Jazeera berichtet, dass Großbritannien die Listung der MEK als Terrororganisation im Jahr 2008 beendete, die EU folgte im Jahr 2009. Die MEK hatte mächtige Freunde gewonnen. Die USA folgten im Jahr 2012. Offensichtlich unternahm Twitter nichts gegen diese Bots des CIA-Verbündeten, sehr wohl aber wurden echte Nutzer aus dem Iran gelöscht, wie eingangs berichtet, und es ist wegen der offensichtlich stattfindenden Zensur durch die Anbieter der sozialen Netzwerke heute wesentlich schwerer, authentische Berichte aus dem Iran zu erhalten.
Von Jochen Mitschka ist kürzlich das Buch erschienen: "Schattenkriege des Imperiums - Der Krieg gegen den Iran". Siehe auch den das Buch begleitende Blog, der die vielen hunderte Quellen und Links, ein Interview mit dem Autor und eine Vorstellung des Buches enthält.