Iren können erneut über Abtreibung abstimmen
Kabinett hat Referendum für Ende Mai angesetzt
Der irische Ministerpräsident Leo Varadkar hat bekannt gegeben, dass sich sein Kabinett gestern darauf einigte, die Bevölkerung Ende Mai über das auf der katholischen Insel bestehende Abtreibungsverbot abstimmen zu lassen. Den konkreten Termin soll das Parlament bestimmen. In der Vergangenheit hatte sich der Sohn eines indischen Arztes und einer irischen Krankenschwester für eine vorsichtige Lockerung des im europaweiten Vergleich recht strengen irischen Abtreibungsrechts ausgesprochen, dass eine Unterbrechung nur dann erlaubt, wenn die Schwangerschaft das Leben der Mutter gefährdet.
Vor 35 Jahren durften die Iren schon einmal über Abtreibungen abstimmen. Damals ging es nicht um eine Legalisierung oder eine Lockerung des Abtreibungsrechts, sondern darum, ob das Abtreibungsverbot in der Verfassung verankert werden soll. 67 Prozent der Teilnehmer an diesem Referendum stimmten damals für einen entsprechenden achten Zusatzartikel. Ein großer Teil der damaligen Wähler lebt heute nicht mehr. Dafür sind andere hinzugekommen, denen es beispielsweise nichts ausmacht, dass Varadkar nicht lügt, wie es Politiker und Priester früher machten, sondern seine Homosexualität offen auslebt.
Einer aktuellen Umfrage des MRBI-Instituts im Auftrag der Irish Times nach würden inzwischen 56 Prozent der Iren für eine Herausnahme des Abtreibungsverbots aus der Verfassung stimmen. Explizit dagegen sind nur 29 Prozent, weitere 15 Prozent geben sich unentschieden. Gefragt, ob sich ihre Einstellung zur Abtreibungsfrage im letzten Jahr veränderte, gaben 19 Prozent der Befragten an, sie stünden einer Legalisierung nun offener gegenüber. Zugunsten eines Abtreibungsverbots hatte sich die Meinung nur bei drei Prozent der Befragten geändert.
Debatte soll "respektvoll" geführt werden
Varadkar meinte gestern, er hoffe, dass die in Debatte, die Irland in den nächsten vier Monaten bevorsteht, "respektvoll" geführt wird. Eine Warnung vor Entgleisungen wie in anderen Ländern, wo die Auseinandersetzung unter anderem zum Mord an einem Arzt und zur Verwüstung einer Kirche führte. Wurden früher vor allem Verfechter legaler Abtreibungen behindert, gibt es inzwischen auch Milieus, die die Äußerung von Argumenten gegen Abtreibungen verhindern wollen.
Ob ein Verbot tatsächlich zu weniger Abtreibungen führt, ist umstritten. Eine 2016 in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet veröffentlichten gemeinsamen Studie des Guttmacher-Instituts der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und des Bixby Center der University of California nach, für die sich Forscher Abtreibungsgesetze und Abtreibungsdaten aus der ganzen Welt ansahen, ergab keinen signifikanten Zusammenhang: In Ländern in denen Abtreibung komplett verboten oder nur erlaubt ist, um das Leben der Mutter zu retten, trieben 37 von 1.000 Frauen ab; in Ländern, in denen der Abbruch weitgehend legal ist, 34 von 1.000. Das zeigt nach Meinung der Hauptautorin Gilda Sedgh vom Guttmacher-Institut, dass solche gesetzlichen Einschränkungen Abtreibungen nicht verhindern, sondern lediglich die gesundheitlichen Risiken für Frauen erhöhen, die den Abbruch dann unter potenziell unsichereren Umständen vornehmen lassen (vgl. Abtreibungsrate sinkt in entwickelten Ländern).
Abtreibungskliniken auf Schiffen
Von einem Anstieg von Abtreibungen durch eine Legalisierung geht dagegen die Donohue-Levitt-Hypothese aus, die den statistisch sehr auffälligen Rückgang der Kriminalität in den USA der 1990er Jahre zumindest zum Teil auf die 1973 gefällte Roe-v.-Wade-Entscheidung des US Supreme Courts zurückführt. In Irland dagegen stiegen sowohl die Mord- als auch die allgemeinen Verbrechensraten zwischen 1951 und 2007 steil an. Danach sank die Zahl der Morde wieder, aber die Zahl der Sexualverbrechen nahm stark zu.
Ist eine Frau in Irland ungewollt schwanger, kann sie allerdings eine Reise nach England, Schottland oder Wales unternehmen und den Eingriff dort vornehmen lassen, wo er sogar bis zum sechsten Monat möglich ist. Darüber hinaus gibt es seit 1999 auch Abtreibungskliniken auf Schiffen. In Nordirland, das ebenso wie England, Schottland und Wales zum Vereinigten Königreich gehört, gilt dagegen ein ähnlich strenges Abtreibungsrecht wie in der Republik Irland.