Israel und Russland: Eskaliert der Ukraine-Krieg in den Nahen Osten?

Sergei Lawrow. Bild: Kremlin.ru/CC BY 4.0

Eigentlich hatte sich Israels Regierung aus dem Ukraine-Krieg raushalten sollen. Aber nicht mit dem russischen Außenminister Sergei Lawrow

Der italienische Fernsehsender Rete 4 ist nicht für seine Nachrichtenkompetenz bekannt. Zum Konzern des ehemaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi gehörend, hat sich die Station vor allem mit einer Vorliebe für alles, was Quote bringt, gemacht. Und Wählerstimmen.

Doch nun war es nicht der große Boss Berlusconi, dem eine Plattform geboten wurde, sondern der russische Außenminister Sergei Lawrow, der vor die Kameras trat und einen knapp dreiviertelstündigen Monolog ablieferte, der seinen Höhepunkt in der Aussage fand, Hitler habe auch jüdisches Blut in sich gehabt, weshalb auch die jüdische Herkunft des ukrainischen Präsidenten nicht ausschließe, dass das Land von Nazis regiert werde: "Das weise jüdische Volk sagt, dass die eifrigsten Antisemiten in der Regel Juden sind."

In Israel ist man entsetzt, kann gerade noch an sich halten: Der russische Botschafter wurde "zum klärenden Gespräch" zu Außenminister Ja'ir Lapid zitiert und der reinen Lehre nach wäre es dies dann gewesen, vielleicht eine diskrete Bitte um Entschuldigung ausgesprochen worden oder eine andere Geste des diplomatischen Mea Culpa.

Denn letztlich gibt es auch eine Sache, in der Russland und Israel einander brauchen: Das russische Militär unterstützt in Syrien die Regierung des dortigen Präsidenten Baschar al-Assad. Und Israel fliegt dort immer wieder Luftangriffe. Damit sich nicht die russischen und die israelischen Militärs gegenseitig in die Quere kommen, sprach man sich bisher vorher ab.

Das war auch der Hauptgrund dafür, warum sich Israels Regierung bisher in Sachen Ukraine eher zurückhaltend neutral gab, die internationalen Sanktionen gegen Russland nicht umsetzte, keine Waffen lieferte.

Putin entschuldigt sich

Doch momentan ist nichts so wie immer. Anstatt dezent verbal abzurüsten, lege man in Moskau erst noch mal kräftig eine Schippe drauf, bevor Präsident Wladimir Putin dann zum Hörer griff, Ministerpräsident Naftali Bennett anrief, um Entschuldigung bat und am Donnerstag eine Grußbotschaft zum israelischen Unabhängigkeitstag schickte, in der er "Freundschaft und gegenseitigen Respekt zum Wohle der Region" betonte.

Aber vorher, wie gesagt, schob das russische Außenministerium einige antisemitische Aussagen nach und behauptete zudem, dass israelische Söldner an der Seite des Asow-Regiments kämpfen. Diese Einheit hatte einst personelle Verbindungen in die ukrainische Neonazi-Szene; ob diese weiter bestehen, ist umstritten.

In einer dem Kreml zugerechneten Telegram-Gruppe wurde eine Namensliste samt Passnummern herumgeschickt. Tatsächlich handelt es sich dabei um Mitarbeiter des israelischen Außenministeriums und der Jewish Agency, die nach Kriegsbeginn an drei Grenzübergängen zu Polen die Evakuierung von Botschaftsmitarbeitern koordinierten.

Seitdem wird darüber gerätselt, ob Israels Regierung dafür abgestraft werden sollte, dass man bei den Vereinten Nationen gegen Russland und für einen Ausschluss aus dem Menschenrechtsrat gestimmt hat, oder ob mehr dahintersteckt, denn auch Putins Grußbotschaft zum Unabhängigkeitstag wirkt eher kryptisch.

Was meint er mit dem gegenseitigen Respekt zum Wohle der Region? Will er die Koordination in Sachen Syrien fortsetzen? Mehr Respekt von klein gegenüber groß anmahnen? Noch Tage zuvor hatte Russlands Verteidigungsminister einen Anruf seines Amtskollegen Benny Gantz abgelehnt.

Gekriselt hatte es zwischen beiden Regierungen schon länger, aber richtig ernst wurde es erst vor Kurzem: Im Mittelpunkt steht dabei die Alexander-Newski-Kirche, ein von außen recht unscheinbarer Bau aus dem 19. Jahrhundert, an dem die allermeisten Touristen vorbeilaufen. Gebaut hatte die Kirche einst die Kaiserliche-Orthodoxe-Palästina-Gesellschaft, die damals dem Zarenhof nahestand und heute als Kreml-nah gilt, um im damals vom Osmanischen Reich kontrollierten Heiligen Land Einfluss geltend zu machen.

Viele europäische Mächte taten das zu dieser Zeit, und anders als in den meisten anderen Fällen will die russische Regierung das Gebäude nun unter ihrer Kontrolle haben, was aber nicht so einfach ist, weil auch noch eine andere, vom Kreml unabhängige russisch-orthodoxe Organisation die Kirche beansprucht.

Die russische Flagge über der Jerusalemer Altstadt

Seit Längerem wird deshalb vor Gericht gestritten, und Putin forderte nun im April in einem Brief an Bennett die Übergabe der Kirche, die sich aus religiöser Sicht in 1A-Lage befindet, nämlich direkt neben der Grabeskirche, wenige hundert Meter vom Tempelberg entfernt. Eine Reaktion Bennetts steht bis heute aus und der Grund liegt auf der Hand: Dass in unmittelbarer Nähe des Epizentrums der drei Weltreligionen mitten im Ukraine-Krieg die russische Flagge über der Jerusalemer Altstadt weht, wäre wohl ein PR-Gau.

Dass das Ringen um diese ansonsten ziemlich unwichtige Kirche in Moskau mittlerweile Chefsache ist, legt aber auch die Vermutung nahe, dass die russische Regierung ihre Nahost-Politik neu ausrichtet, denn wie zu osmanischen Zeiten hat eine Präsenz in der Jerusalemer Altstadt politischen Symbolcharakter.

So verwaltet Jordanien den Tempelberg; die Türkei strebt ebenfalls um eine Rolle als Hüterin der heiligen muslimischen Stätten. Und die Hamas begründete Angriffe auf Israel mit dem Schutz der Heiligen Stätten in Jerusalem. Eine Präsenz direkt neben der Grabeskirche würde also Russlands Standing in diesem Kontext massiv aufwerten.

Die Hamas in Moskau

So traf am Dienstag eine Delegation der Hamas unter Führung des stellvertretenden Politbürochefs Mussa Mohammed Abu Marzuk in Moskau ein, wurde dort von hochrangigen Mitarbeitern des Außenministeriums empfangen. Reine Routine, teilte das Ministerium mit, außer, natürlich, dass es keine Routine ist, dass die Hamas bei Regierungen ein und ausgeht.

Offiziell ist Russland noch Teil des Nahost-Quartetts, das zwar nie irgendeine Art von Erfolg zu verzeichnen hatte, aber sich traditionell in der Position einig war, dass die palästinensische Regierung in Ramallah die Gesprächspartnerin ist und für den Dialog mit der Hamas, die seit 2007 den Gazastreifen regiert, die Unterhändler der ägyptischen Regierung zuständig sind.

Russland selbst hatte auch bislang keine erklärten Interessen rund um den Gazastreifen oder die Hamas. Nun sollte es in den Gesprächen, so die offizielle Version, um die Situation in den besetzten Gebieten und rund um die al-Aksa-Moschee gehen. Und normalerweise würde man vor dem Hintergrund der Zusammenstöße und Anschläge der vergangenen Wochen vermuten, dass sich nun auch die russische Regierung an einer Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts versucht.

Nur: So aufgeheizt ist die Stimmung, dass das Treffen allgemein als Bedrohung, als Vorbote einer veränderten Realität in der Region verstanden wird, einer Realität, in der Gruppen wie die Hamas, die Hisbollah und Staaten wie der Iran offen zu Partnern der russischen Regierung werden.

Schon seit Wochen blockiert Moskau ein Vorankommen beim Atomabkommen mit dem Iran und sucht stattdessen die Nähe zur iranischen Führung. Lawrows Aussagen dürften in den entsprechenden Kreisen im Nahen und Mittleren Osten wohlwollend gehört worden sein.