Israelische Luftangriffe auf Syrien: "Ungewöhnliche Umstände"
Berichtet wird von einem Schlagabtausch zwischen der IDF und iranischer al-Quds-Einheiten. Vieles bleibt im Dunkeln, auch die Möglichkeiten der syrischen Flugabwehr
Der militärische Schlagabtausch zwischen Israel und Iran in Syrien hat in den letzten Tagen an Intensität zugenommen. Es kam zu mehreren Angriffen der IDF und mindestens einem Raketenangriff, der auf israelisches Gebiet zielte, abgefeuert mutmaßlich von iranischen Streitkräften, zumindest wird dies so in israelischen Berichten dargestellt. Von syrischer Seite heißt es, dass viele israelische Raketen abgeschossen wurden. In israelischen Berichten ist davon nicht die Rede.
Times of Israel berichtet von 21 Toten infolge der "israelischen Vergeltungsschläge" in der Nacht von Sonntag auf Montag. 12 Tote sollen Mitglieder der iranischen Revolutionären Garden sein, 6 Tote würden zur syrischen Armee gehören und 3 Tote hätten eine "andere, nicht-syrische Staatsangehörigkeit". Als Quelle dieser Angaben wird das in London ansässige syrische Observatorium für Menschenrechte genannt. Bei allen Schwierigkeiten, die Angaben dieser Quelle mit sich bringen1, ist die hohe Zahl der Toten ein Hinweis darauf, dass dieser Schlagabtausch eine ungewöhnliche Dimension hatte.
Ungewöhnlich waren die eingesetzten Waffe, worauf Beobachter deuten und die Vorgehensweise der israelischen Armee, die wiederum behauptet, dass iranische Militärs in Syrien Ungewöhnliches vorhatten.
Wie immer in solchen Fällen geht es dabei um einen Austausch von Signalen, die an den militärischen Gegner, dessen Verbündete und andere Insider gerichtet sind; die Öffentlichkeit bekommt davon nur eine Ahnung, ähnlich wie die Skifahrer im syrisch-israelischen Grenzgebiet im Hermon-Gebirge, die am vergangenen Sonntag merkwürdige Geschehnisse am Himmel sahen.
Die Raketen über den Golanhöhen
Diese wurden von der IDF als Abschuss einer iranischen Rakete erklärt, die von iranischen al-Quds-Einheiten (Teil der Revolutionären Garden) von syrischem Boden aus Richtung Israel gezielt wurde, um dann vom Luftabwehrsystem Iron Dome rechtzeitig vernichtet zu werden.
Um welchen Typus einer Boden-Boden-Rakete es sich hierbei genau handelte, ob es die einzige war und wie gut Iron-Dome reagiert hat, das wissen nur die Militärs beider Seiten genau.
Laut der israelischen Webseite Ynet (Online-Auftritt von Yedioth Ahronot) waren es mehrere Raketen über dem Hermon, die von Iron Dome abgefangen wurden, so heißt es in einer Bildunterschrift des Artikels. Im Artikel selbst wird aus dem Kreis der IDF-Sprechereinheit zitiert, wo lediglich einer Rakete gesprochen wird, die in Richtung der nördliche Seite der von Israel besetzten Golanhöhen flog und vom Iron Dome über syrischem Gebiet abgeschossen wurde.
In einem weiteren Bericht von Ynet, der am Dienstag erschien, heißt es, dass es sich um eine außergewöhnliche Rakete handelte und das israelische Militär gut vorbereitet war. Es sei kein Zufall gewesen, dass es der Iron Dome war, der die Rakete abfing und nicht das Abwehrsystem David's Sling. Die Armee habe schon frühzeitig geahnt, dass sich die Quds-Einheiten in Syrien auf eine Vergeltung für Israels Angriffe im Mai (Israel hat angeblich "praktisch" die gesamte iranische Militärinfrastruktur in Syrien zerstört) planen:
Die Iraner hatten Vorbereitungen getroffen, um eine Rakete mit fortgeschrittener Technik abzufeuern. Dies soll eine Reichweite von über 200 Kilometern haben und eine Sprengladung von Hunderten von Kilos transportieren können. Für die Iraner war dies (der Abschuss der Rakete, Einf. d. Verf.) eine bezeichnende Antwort. Wäre die Rakete in einer der Städte im Norden Israels eingeschlagen, hätte dies zu einem anderen Resultat geführt.
Ynet
Die Darstellung von Ynet feiert den neuen Chef der IDF, Aviv Kochavi. Mit dem Abschuss der Rakete gehe diese Runde gegen den al-Quds-Chef Kasem Soleimani an den neuen Kommandeur der israelischen Streitkräfte.
Die Maschine der iranischen Fluggesellschaft Mahan
Den Anfang der ersten Runde machte in der Darstellung des israelischen Newsportals ein Angriff israelischer Kampfjets auf syrisches Territorium am Sonntagnachmittag unter "außergewöhnlichen Umständen". Auch Ministerpräsident Netanjahu soll diesem Angriff anders als üblich eingestanden haben. In der Darstellung des israelischen Mediums wurde ein Flugzeug der iranischen Mahan Airlines von der Landung auf dem internationalen Flughafen von Damaskus abgehalten, da es beschossen wurde.
Im Ynet-Bericht heißt es, dass Maschinen der iranischen Fluggesellschaft Mahan (gegen die übrigens seit Montag ein Betriebsverbot in Deutschland verhängt wurde), im Verdacht stehen, dass sie Unterstützung für al-Quds-Einheiten oder die Hizbollah nach Syrien liefern. Ob die Maschine, die am Sonntag am Flughafen in Damaskus landen sollte, ebenfalls verdächtige Fracht hatte, darüber sei nichts bekannt, so der Bericht. Interessant sind, davon abgesehen, drei Dinge.
Russland soll informiert gewesen sein
Zum einen wurde dem Bericht zufolge russische Stellen vorab über den Angriff informiert, zum anderen sollen laut syrischem Fernsehen 100 Prozent der abgefeuerten israelischen Raketen von der syrischen Luftabwehr abgefangen worden sein, was laut Ynet nicht notwendigerweise der Wahrheit entsprechen muss - "es könnte ja auch sein, dass es sich bloß um israelische Warnschüsse handelte, um das Flugzeug zum Umkehren zu bringen".
Zum dritten ist interessant, was als "syrische Antwort" beschrieben wird: "Boden-Boden-Raketen wurden abgefeuert, augenscheinlich hinter der Tarnung von Feuer aus dem Flugabwehrsystem, um Israel zu täuschen". Hier taucht nun die Rakete wieder auf, die später auf den Golanhöhen gesehen wurde: "Inmitten des Luftabwehrfeuers war die Boden-Boden-Rakete, die auf den Berg Hermon zielte. Die Raketen aus dem Luftabwehrsystem starteten erst, als die israelischen Flugzeuge längst außer Reichweite waren oder sogar schon wieder zurück auf ihrer Basis."
Die avancierte iranische Rakete mit 200-Kilometer Reichweite und einer Sprengladungskapazität von mehreren hundert Kilo wurde demnach derart getarnt abgefeuert?
Israelische Vergeltungsschläge
Sicher ist, dass die israelische Luftwaffe den Angriff der Rakete mit mutmaßlich iranischem Hintergrund, die bei den Golanhöhen abgefangen wurde, mit mehreren Vergeltungsschlägen beantwortete. Innerhalb rund einer Stunde wurden in der Nacht von Sonntag auf Montag laut IDF zehn Ziele in Syrien angegriffen: vier, die als al-Quds-Ziele ausgewiesen werden und sechs Ziele der syrischen Flugabwehr.
Bei letzterem ist stets die große Frage, ob die syrische Armee die gefürchteten, hochgelobten und gut verkäuflichen russischen Flugabwehrsysteme S-300 und S-400 einsetzt. Es geht hier um einen Wettbewerb, dem große Aufmerksamkeit in vielen Verteidigungsministerien weltweit sicher ist. Für diesmal heißt es, dass keine dieser Systeme eingesetzt worden seien, wie Ha'aretz mit Bezug auf russische und syrische Quellen berichtet.
Indessen verweisen Beobachter, die der israelischen militärischen Einmischung in Syrien ablehnend gegenüberstehen, darauf, dass von 45 abgefeuerten israelischen Raketen 30 abgefangen wurden. Der syrische Präsident Assad habe ein Flugabwehrsystem, von dem er vor 2011 nur hätte träumen können, "dank der israelischen Angriffe", so der belgische Journalist Elijah Magnier.
Zeichen
Magnier zufolge war der Zeitpunkt der israelischen Angriffe auch ein Zeichen gegenüber dem gleichzeitig stattfindenden arabischen Wirtschaftsgipfels in Beirut. Das Signal läuft in der Darstellung Magniers hauptsächlich auf eine Machtdemonstration Israels hinaus. Dabei werde allerdings der Aufwand, den Israels Luftwaffe mittlerweile mit dem syrischen Abwehrsystemen habe, unterschlagen. Die syrische Nachrichtenagentur Sana berichtet in einem Video von abgefangenen Raketen, dazu ist Beifall zu hören.
In seinem Lagebericht macht Magnier auf Informationen ("Sources on the ground") aufmerksam, die ihm berichtet hätten, dass der Iron Dome am Sonntag "nur eine von fünf syrischen(!) Präzisionsraketen abgeschossen" habe. Das sei dann auch die Erklärung für die außerordentlich heftigen Vergeltungsangriffe des israelischen Militärs in der Nacht von Sonntag auf Montag.
Laut SOHR, die damit Erklärungen stützt, wie sie vonseiten der israelischen Regierung seit langer Zeit wiederholt abgegeben werden ("iranische Proxies dürfen sich nicht in Syrien festsetzen und aufrüsten"), wurden bei den Angriffen unterschiedlich gelegene Lager und Stellungen iranischer Einheiten und der Hizbollah angegriffen. Die Wahrheit kennen nur die Insider, die die Zeichen des jüngsten militärischen Kräftemessens lesen können.
Bislang ist es so, dass Israel in Syrien trotz der russischen Luftabwehrsysteme häufig angreift. Es war laut Medienberichten der dritte Angriff auf syrisches Territorium in diesem Jahr.