Israels Regierung öffnet ein bisschen den Gazastreifen

Grenzübergang Erez im Norden des Gazastreifens (2005). Bild: Zero0000 / Public Domain

Nach einer kurzen und heftigen Konfrontation mit dem Islamischen Dschihad hat Regierungschef Lapid die Grenzen für mehr Arbeiter und Importe aus Gaza geöffnet.

Auf den ersten Blick ist alles wie immer: Der streng überwachte Grenzzaun zwischen dem Gazastreifen und Israel steht noch genau da, wo er schon seit Jahren steht. Und auf beiden Seiten gehen die Menschen dem Alltag nach, immer auf der Hut, wie viele sagen, immer in Sorge vor den nächsten Bomben, Raketen, die das Leben für Tage oder Wochen in Aufruhr versetzen.

Sorgen machen sich auch die Menschen in Gaza, die nach mehreren Kriegen und viel mehr Eskalationen zwischen Krieg und Frieden der Gewalt müde geworden zu sein scheinen. Umfragen oder Studien, die das schwarz auf weiß liefern, gibt es nicht, nur die vielen, vielen Aussagen von Bewohnern des völlig übervölkerten, unter einer maroden Infrastruktur und extremer Armut leidenden Landstrichs, die sich schon seit Jahren darin zuspitzen, dass es doch einen anderen Weg geben müsse, eine Lösung.

Gesichert ist, dass die Hoffnungslosigkeit, die schlechte Versorgungslage zu Fehl- und Mangelernährung, zu weit verbreitetem Drogenmissbrauch und häuslicher Gewalt geführt haben. Und auch zu einem verstärkten Zulauf durch Jugendliche für kleine, sehr radikale Gruppen wie den Islamischen Dschihad. Das bedeutet nicht, dass alle oder die meisten sich solchen Gruppen anschließen.

Die einst ziemlich kleine Organisation, die Anfang der 1980er Jahre unter dem Einfluss der islamischen Revolution im Iran gegründet wurde, ist nur jetzt um einiges größer geworden. Und: bewaffneter.

Jair Lapid. Bild: Haim Zach, Government Press Office (Israel) / CC-BY-SA-3.0

Wie sehr, das wurde Anfang August klar, nachdem Israels Regierungschef Jair Lapid einen sogenannten "Präventivschlag" gegen Ziele der Organisation dort angeordnet hatte. In der Folge wurden innerhalb von nur gut zweieinhalb Tagen ungefähr 1.000 Raketen auf Israel abgeschossen – viel mehr, als die israelische Regierung, die international anerkannte palästinensische Regierung in Ramallah und die Führung der Hamas, die den Gazastreifen seit 2007 kontrolliert und mit der offiziellen Regierung von Präsident Mahmud Abbas verfeindet ist, erwartet hatten.

Auf den zweiten Blick ist nun alles anders und eines ganz besonders: Die de-facto-Regierung der Hamas tritt seitdem, zumindest für den Moment, politischer, diplomatischer auf, aber auch so, als habe Israels Bombardement des Islamischen Dschihads ihr eine Last abgenommen.

Hamas: Der Schlüssel zum Ende des "Gaza-Problems"

Während der Angriffe hatte das Militär strikt darauf geachtet, nicht die Hamas anzugreifen, sie nicht zu schwächen. Denn nach so vielen Kriegen, Konfrontationen, so vielen Jahren, in denen sich die Hamas trotz allem im Sattel gehalten hat, ist allen klar geworden: Sie wird nirgendwo hingehen, ebenso wenig wie die Abbas-Regierung, die es seit 2007 in Gaza immer wieder versucht, aber nie auch nur den kleinen Zeh auf den Boden bekommen hat.

Die Hamas sei der Schlüssel zum Ende des Gaza-Problems, heißt es in Jerusalem und in der ägyptischen Hauptstadt Kairo, wo die dortige Regierung Gaza vor allem als potenziellen Rückzugsort für jene militanten Gruppen sieht, die sie auf der Sinai-Halbinsel bekämpft.

Für beide Seiten ist das eine dicke Kröte, die man schlucken muss: Die Hamas ist für viele sehr opferreiche Anschläge und für Tausende Raketenabschüsse auf Israel verantwortlich. Israel indes hält die Besatzung des Westjordanlandes, Ost-Jerusalems und die hermetische Abriegelung des Gazastreifen aufrecht. Dass man aufeinander zugehen muss, ist ein neuer Gedanke, der schwer zu Ende zu denken ist.

Der Druck wächst

Doch gleichzeitig ist der Druck enorm gestiegen, und einer der Gründe dafür ist der Krieg in der Ukraine. Die Zahlungen aus den Staaten der Europäischen Union und den USA an die palästinensische Autonomiebehörde und die Vereinten Nationen sind massiv gesunken, die Preise für Hilfsgüter sind indes stark gestiegen.

Jahrelang konnte die Regierung des ehemaligen Premierministers Benjamin Netanjahu darauf bauen, dass die Uno die Menschen im Gazastreifen schon irgendwie über Wasser hält. Die jetzt amtierende Regierung kann darauf indes nicht bauen und will es wohl auch nicht.

Und die Hamas muss die Probleme der Menschen in den Griff bekommen, wenn sie die Kontrolle behalten will, denn die Alternative wäre, dass sich schon bald Massenproteste und möglicherweise auch bewaffnete Konflikte mit Gruppen wie dem Islamischen Dschihad entwickeln.

Vor allem aber war die Hamas immer auch, wenn nicht sogar vor allem, eine Organisation, die sich mit sozialen Einrichtungen um die Armen kümmerte und sich damit fest in Teilen der palästinensischen Gesellschaft verankern konnte.

Ihr Aufstieg, die Verbreitung ihrer Ideologie und die Unterstützung für Terroranschläge in Israel und letztlich auch die Machtergreifung im Gazastreifen stehen in diesem Kontext. Verschlechtert sich die Lage weiter, ist es wahrscheinlich, dass diese Unterstützung wegbricht.

In diesem Zusammenhang erklärt sich auch, warum die Hamas nahezu nichts tat, um dem Islamischen Dschihad zur Seite zu springen.